Teodoro Martino, Sie haben in den letzten fünf Jahren mit der Wefox-Gruppe ein Brokerportal und eine Versicherungsgesellschaft lanciert. Kürzlich hat Venturelab Sie zum führenden Insurtech-Startup gekürt. Wie haben Sie das geschafft?
Wir haben die alte und die neue Welt zusammengebracht. Ich habe 24 Jahre Erfahrung in der Versicherungswelt und bin bestens vernetzt. Mein Know-how habe ich mit jenem von Dario Fazlic und Julian Teicke vereint: Das gab die Mischung, aus der Wefox hervorging.
Ihr Unternehmen wird heute auf über 1 Milliarde Dollar geschätzt. Hätten Sie damals geglaubt, dass es so weit kommen würde?
Ehrlich gesagt: ja. Ich bin kein utopischer Typ, ich wusste einfach, dass wir die beste Besetzung hatten, die möglich war. Wir waren in Bezug auf das Netzwerk und Wissen in den Bereichen Digitalisierung, Finanzen, Versicherungen super aufgestellt. Ausserdem waren wir jung und dynamisch, haben Tag und Nacht gearbeitet, vom ersten Tag an Vollgas gegeben. Nach drei bis vier Monaten hatten wir alle Kooperationen in der Schweiz unter Dach und Fach.
Und die Freundschaft – ist sie geblieben?
Das ist wie in einer Ehe, man muss dran arbeiten. Solange wir über alles sprechen können, auch privat, halten wir zusammen.
«Der Kuchen bleibt immer gleich gross. Wenn neue Player in den Markt kommen, müssen andere ein Stück abgeben»
Was waren die Reaktionen von aussen, als Sie mit dem digital ausgerichteten Broker inklusive App auf den Markt gingen?
Die Versicherungsgesellschaften haben natürlich keine Freudentänze aufgeführt. Sie hatten noch das in den Himmel gelobte Insurtech Knip im Kopf, das an seiner ausschliesslich digitalen Strategie gescheitert ist. Nun stand ich da – und kam schon wieder mit einem digitalen Geschäftsmodell. «Das wird nicht funktionieren», sagten deshalb manche.
Ausserdem bleibt der Kuchen immer gleich gross. Wenn neue Player in den Markt kommen, müssen andere ein Stück abgeben. Den Schweizer Versicherungen geht es gut, sie haben keinen finanziellen Druck. Deshalb denken sie noch traditionell, sind nicht innovativ, wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Aber ich habe alle Verhandlungsparteien gekannt und konnte sie schnell davon überzeugen, dass die Idee, die wir vorantreiben, Zukunft hat.
Mussten Sie denn die Zusammenarbeit suchen?
Die neue Welt alleine kommt in der Versicherungsbranche nicht so weit. Im Unterschied zur Startphase können wir es uns heute aber leisten, unsere Partner auszusuchen. Genauso wie die Investoren übrigens.
«Wir konnten aufzeigen, wo der Weg in der Insurtech-Szene hingeht.»
Sie können wählen, wen Sie als Investor ins Boot holen möchten?
Ja. Wir haben unglaublich viele Interessenten und müssen selektionieren.
Wie bringt man Grossinvestoren dazu, an das eigene Projekt zu glauben?
Wir konnten aufzeigen, wo der Weg in der Insurtech-Szene hingeht. Mit unserer jüngsten Tochter Koble haben wir kürzlich eine offene Schnittstelle entwickelt, damit die Verbindung von Versicherungen, Online-Plattformen und Kunden ganz einfach wird. Gesellschaften können ihre Produkte dort anbieten, ohne je einen Code schreiben zu müssen. Das funktioniert übrigens auch für Online-Shops und andere webbasierte Geschäftsmodelle. Unsere Wefox-App bietet den Kunden unkomplizierte, intuitive und jederzeit verfügbare Infos. Und unsere eigene Versicherungsgesellschaft One Insurance, die in Deutschland mit 500 Abschlüssen pro Tag bereits die Nummer eins im Privatkundensegment ist, versichert Fahrzeuge und Hausrat mit einem komplett neuen Ansatz: digital first. Wir beschäftigen heute weltweit knapp 600 Mitarbeitende, allein in der IT deren 120. Für One Insurance mussten wir aus regulatorischen Gründen eine grosse Summe hinterlegen, damit wir als Versicherungsgesellschaft eine Lizenz erhielten.
Es war ja nicht so, dass uns das alles in die Wiege gelegt worden wäre. Wir haben einfach Tag und Nacht gearbeitet, waren zu 100 Prozent überzeugt von unseren Ideen und vor allem: Wir haben sie umgesetzt, ohne sie lange zu hinterfragen. Das Problem bei traditionsreichen Unternehmen ist, dass sie sich schnell bremsen lassen. Wir hingegen machen es einfach – auch wenn wir dafür mal mit dem Kopf durch die Wand müssen!
Andere drängen aber auch auf den Markt. Stichwort Ecohub oder Sobrado, die ebenfalls Schnittstellen für den digitalen Datenaustausch schaffen. Auch Versicherungsgesellschaften investieren in Innovation.
Das stimmt. Die IG B2B hat Ecohub ins Leben gerufen, weil ihre heutige Technologie veraltet ist. Sobrado mit Swiss Life, Axa und weiteren Investoren im Rücken baut etwas Ähnliches wie wir es in Europa mit Koble gemacht haben. Da gehts im Kern darum, wer die Datenhoheit behält. Wir sind der Meinung, die Daten sollten nicht bei einer Versicherungsgesellschaft gesammelt werden, weil diese nicht neutral ist. Und ja, auch die Generali hat mit ihrer Garage eine Innovationsschmiede lanciert. Ich muss dazu einfach sagen: Bis sie die Prozesse umgesetzt haben, wird die Technologie nicht mehr auf dem neusten Stand sein. Solange die Träger die grossen Gesellschaften sind, bleiben die Vehikel langsam.
«Es ist ja nicht so, dass wir keine persönliche Beratung anbieten – sie findet einfach meistens nicht vor Ort statt.»
Was funktioniert denn bei Ihnen noch nicht so, wie Sie es sich wünschen?
Auch wir möchten noch viel stärker digitalisieren. Es gibt zahlreiche ältere Broker – in Deutschland übrigens noch mehr als in der Schweiz –, die weiterhin mit Stift und Papier arbeiten wollen.
Das Versicherungsgeschäft ist komplex. Eine Auto- oder Hausratversicherung online abzuschliessen, geht ja vermutlich. Aber im Vorsorgegeschäft brauchts doch den direkten Kundenkontakt!
Wir sind im Krankenversicherungs- und Vorsorgegeschäft sogar sehr stark. Es ist ja nicht so, dass wir keine persönliche Beratung anbieten – sie findet einfach meistens nicht vor Ort statt. Viele Leute haben heutzutage keine Lust mehr, am Feierabend den Versicherungsberater im Haus zu haben. Sie wollen schnell und einfach informiert werden, beispielsweise mal eine Stunde lang über den Mittag. Also vereinbaren wir Videocalls, teilen dort Dokumente, erklären am Bildschirm, beantworten Fragen. Das funktioniert sehr gut und hat sich während des Lockdowns noch verstärkt. Plötzlich hatten alle Zeit und wollten einen besseren Versicherungsschutz.
Wie gehts bei Wefox in den nächsten Jahren weiter?
Bei den bestehenden Märkten, vor allem in der Schweiz, Österreich und Deutschland, wollen wir noch viel mehr wachsen. Den Verkauf werden wir massiv stärken, eine richtig grosse Mannschaft aufbauen. Wer gross ist, hat einen ganz anderen Hebel als die kleinen Fische im Markt. Unsere Versicherungsgesellschaft One werden wir bis Anfang 2021 in der Schweiz lizenzieren und damit direkt ins Privatkundensegment einsteigen. Das haben in den letzten Jahren nur sehr wenige gewagt, zuletzt Smile – die wiederum der Helvetia gehört. Im Hintergrund arbeiten wir zudem an weiteren Geschäftsmodellen, aber es ist heute noch zu früh, um darüber zu sprechen.
Ist der Gang an die Börse ein Thema?
Das ist ein Thema und wird uns sicher noch weiter beschäftigen, je grösser wir werden.