Sie sind seit gut vier Monaten in der Verantwortung – wie lautet Ihr erstes Zwischenfazit?

Zunächst einmal: Ich wurde von den Mitarbeitenden sehr herzlich empfangen, was mir den Einstieg ungemein erleichterte. Wir verfügen über ein eingespieltes, kompetentes und sehr motiviertes Team und auch die Zusammenarbeit mit dem Stiftungsrat und den verschiedenen Fachgremien funktioniert reibungslos. Gemeinsam mit dem Stiftungsrat entwickeln wir unsere Strategie laufend weiter. Wir wollen gezielt neue Anschlüsse aus Wachstumsbranchen gewinnen. Die überdurchschnittliche strukturelle Risikofähigkeit der Stiftung möchten wir erhalten. Wir beschäftigen uns intensiv mit der Digitalisierung und möchten auch in diesem Bereich unsere Effizienz steigern. Zudem wollen wir noch näher zu unseren Kundinnen und Kunden, sei es im Vertrieb oder in der Beratung.

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Der Gesprächspartner

Rolf Wehrli ist seit Februar CEO der SST Vita Dienstleistungs AG, einer Managementgesellschaft, die mit der Geschäftsführung der Sammelstiftung Vita beauftragt ist. Zuvor leitete er unter anderem den Bereich Vorsorge Zürich bei der Assepro Gruppe, einem unabhängigen Brokerunternehmen im Versicherungs-, Risiko- und Vorsorgebereich. 

Sie sind auch zu einem guten Zeitpunkt eingestiegen, das Anlagejahr war nach der Jahresendrally recht positiv…

Das stimmt, wir sind mit den Anlageerträgen des vergangenen Jahres sehr zufrieden. Auf unseren Vermögensanlagen haben wir eine Netto-Performance von 5,7 Prozent erzielt. Dadurch hat sich unsere finanzielle Risikofähigkeit weiter verbessert. Auch strukturell sind wir sehr gut positioniert, da wir im Vergleich zu anderen grossen Stiftungen einen geringen Anteil an Rentnerinnen und Rentnern haben – dieser beträgt rund 16 Prozent des gesamten Vorsorgekapitals.

Sie sind jetzt seit 20 Jahren im Vorsorgegeschäft. Was hat sich in dieser Zeit aus Ihrer Sicht zum Positiven und was zum Negativen verändert?

Vielleicht zuerst das Negative: Die Regulierung in der beruflichen Vorsorge hat stark zugenommen, die gesetzlichen Bestimmungen sind viel umfangreicher und komplexer geworden. Das führt dazu, dass die Normalbürgerinnen und -bürger das BVG kaum mehr verstehen. Zudem hat die Anzahl der Pensionskassen stark abgenommen, was zu einer entsprechend reduzierten Vielfalt der Vorsorgelösungen führt. Der administrative Aufwand ist wesentlich grösser geworden und viele Stiftungen können bzw. wollen sich diesen nicht mehr leisten. Ich bedaure diese Entwicklung, weil sich dadurch das Spektrum reduziert und das Persönliche in der beruflichen Vorsorge darunter leidet.

Die Regulierung in der beruflichen Vorsorge hat stark zugenommen.

… und die positive Seite?

Das Bewusstsein für die berufliche Vorsorge in der Bevölkerung hat stark zugenommen. Die Pensionskassen werden heute effizienter, professioneller geführt, man hat aus den Finanzkrisen und den daraus folgenden Sanierungsphasen viel gelernt. Zudem haben die erste BVG-Revision 2005 wie auch die Strukturreform 2011 im Governance-Bereich wichtige Entwicklungen gebracht. Und die technischen Parameter, wie z.B. der technische Zins und Umwandlungssatz, entsprechen dem veränderten Umfeld. Die heutigen Pensionskassen sind agiler und besser auf künftige Herausforderungen vorbereitet. Unsere Branche mag nach aussen verstaubt wirken, doch ist sie es ganz und gar nicht. Im Gegenteil, unsere Aufgaben sind unglaublich vielfältig: Wir befassen uns mit Anlagethemen, juristischen Fragestellungen sowie mit wirtschaftlichen, sozialen und sozialpolitischen Themen. Diese Vielseitigkeit macht mir unheimlich Spass.

Die Sammelstiftung Vita hat letztes Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum gefeiert. Wie hat sie sich in dieser Zeit entwickelt?

Vor gut 20 Jahren war die Sammelstiftung Vita die erste versicherungsnahe Stiftung, die aus der Vollversicherung in die Teilautonomie wechselte. Daher konnten wir früh sehr viel Erfahrungen in diesem Modell sammeln. Das ist wertvoll, denn der Trend geht weiter in diese Richtung. Besonders stark weiterentwickelt haben wir uns in den Bereichen Governance und Nachhaltigkeit. Dank der engen Partnerschaft mit Zurich Schweiz konnten wir stetig wachsen. Mittlerweile schenken uns 27ʼ000 Unternehmen mit rund 150ʼ000 Beschäftigten ihr Vertrauen.

Wir wollen gesund wachsen, im Interesse unserer Destinatärinnen und Destinatäre.

Was sind die Gründe für das Wachstum – und wie gross ist der Risikoappetit noch?

Unsere Grösse und unsere Stabilität tragen sicherlich dazu bei, dass wir im Markt wahrgenommen werden – wir sind ein bedeutender und beständiger Player. Das ist bei Ausschreibungen ein gutes Argument. Wachstum ist jedoch nicht gleich Wachstum: Wir wollen gesund wachsen, im Interesse unserer Destinatärinnen und Destinatäre. Dabei setzen wir ein Augenmerk auf attraktive Wachstumsbranchen und gute Versichertenstrukturen.

Welche Vorsorgelösungen fragen Unternehmen gerade besonders stark nach?

Derzeit werden vor allem flexible Lösungen gesucht. Das ist eine Folge des Wandels in der Arbeitswelt hin zu flexiblen Arbeitsmodellen. Unternehmen wünschen sich vermehrt anpassungsfähige Vorsorgelösungen. Dabei handelt es sich um Lösungen mit einer tieferen Eintrittsschwelle, einem teilzeitgradabhängigen Koordinationsabzug, dem früheren Alterssparen oder um Wahlsparpläne für die Versicherten, bei denen diese je nach finanziellen Möglichkeiten mehr für ihr Alter ansparen können. Unternehmen können mit solchen modernen Vorsorgelösungen ihre Attraktivität als Arbeitgeber steigern, was gerade in Zeiten des Fachkräftemangels bei der Personalgewinnung ausschlaggebend sein kann.

Es uns ein Anliegen, Aufklärungsarbeit zu leisten – wir sehen uns diesbezüglich in einer sozialen Verantwortung.

Sie haben die Komplexität im BVG erwähnt. Wie steht es um das entsprechende Finanzwissen auf Seiten der Versicherten und Rentenbeziehenden?

Nun, durch die mediale Berichterstattung rund um die Herausforderungen in der beruflichen Vorsorge ist das Thema mittlerweile stärker im Bewusstsein verankert. Das ist eine positive Entwicklung. Dennoch ist das Finanzwissen stark ausbaufähig, auch in der Schweiz. Das zeigt unter anderem die Studienreihe «Fairplay in der beruflichen Vorsorge», in deren Rahmen Vita und Zurich Umfragen durchführen. Viele der Befragten sehen in den Beiträgen für die 2. Säule eine Art Steuer oder Gebühr. Daher bin ich überzeugt, dass die Aufklärungsarbeit viel früher beginnen sollte. Die berufliche Vorsorge bzw. alle drei Säulen der Vorsorge sollten in den Lehrplänen der Oberstufe und Gymnasien stärker gewichtet werden. Der frühe Vogel fängt bekanntlich den Wurm.

Auf der anderen Seite ist das Bedürfnis nach Informationen auch bei den Unternehmenskunden gross. Diese beschäftigen sich ja nicht tagtäglich mit beruflicher Vorsorge, sondern fokussieren sich primär auf ihr Kerngeschäft. Als wichtiger Player im Markt ist es uns ein Anliegen, Aufklärungsarbeit zu leisten – wir sehen uns diesbezüglich in einer sozialen Verantwortung.

Gilt das auch für das Thema Nachhaltigkeit?

Natürlich spielt Nachhaltigkeit für uns eine sehr wichtige Rolle, vor allem in der Umsetzung der Anlagestrategie. Daher haben wir uns – als erste Schweizer Sammelstiftung – der «Net-Zero Asset Owner Alliance» (NZAOA) angeschlossen. Wir haben uns verpflichtet, bis 2050 auf Netto-Null umzustellen, die Reduktionsziele für Aktien, Unternehmensanleihen und Immobilien Schweiz sind etabliert. Die Komplexität bei der Umsetzung der Reduktionsziele ist nicht zu unterschätzen, doch wir haben unsere Ziele per Ende 2023 alle erreicht.

Wir setzen künstliche Intelligenz nur dann ein, wenn sie erstens zuverlässig ist und zweitens einen deutlichen Mehrwert schafft.

Wie gehen Sie mit den Themen Digitalisierung und künstliche Intelligenz um?

Eins ist klar: Wir werden künftig noch stärker den digitalen Weg gehen. Damit wollen wir nicht nur die Verwaltung effizienter gestalten, sondern auch das Kundenerlebnis verbessern. Unser Online Vorsorge-Check für Unternehmen ist nur ein Beispiel. Entscheidungsträger können damit spielerisch prüfen, wie zeitgemäss ihre Pensionskassenlösung ist. Und für die Versicherten gibt es einen Rentenrechner. Das Besondere daran ist: Er liefert einen umfassenden Überblick über sämtliche finanziellen Mittel nach der Pensionierung.

Klar gehört auch die künstliche Intelligenz zur Digitalisierung. Wo ich Grenzen sehe, ist beim Thema Datenschutz. Wir arbeiten mit sehr persönlichen und besonders schützenswerten Kundendaten. Daher setzen wir künstliche Intelligenz nur dann ein, wenn sie erstens zuverlässig ist und zweitens einen deutlichen Mehrwert schafft.

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Zum Schluss ein kurzer Blick in die Zukunft: Wird die nächste BVG-Reform durchkommen?

Die BVG-Reform hat viele positive Elemente, insbesondere für Teilzeitbeschäftigte und im Niedriglohnbereich. Eine Senkung des BVG-Umwandlungssatzes ist zudem längst überfällig. Doch es gibt auch kritische Aspekte: Mit den Kompensationsmassnahmen wird die systemfremde Umverteilung ausgebaut, zu Lasten der jungen Generation. Nach der Annahme der 13. AHV-Rente und der aktuell anspruchsvollen Diskussion rund um deren Finanzierung wird die BVG-Reform keinen einfachen Stand haben. Ich rechne so oder so mit einem knappen Abstimmungsergebnis.

Dieses Interview ist Teil der Market Opinion «Private Vorsorge zeitgemäss gestalten», die in Zusammenarbeit mit der Sammelstiftung Vita realisiert wurde.