Europas Insurtechs sind vor zehn Jahren mit grossen Ambitionen und vielen disruptiven Ideen gestartet, erleben aber seit bald drei Jahren einen harten Realitätscheck, der sich in mehreren Phasen vollzogen hat.  

Während der Anfang noch vom Leitgedanken «Google und Co. werden die Versicherer des nächsten Jahrhunderts sein» geprägt war, ist die anfängliche Euphorie hier der regulatorischen Realität gewichen. Das Credo lautete nunmehr: «Wenn du die Versicherer nicht substituieren kannst, dann spanne mit ihnen zusammen.» Die Zeit für neue Koexistenzmodelle schien gekommen, in der Insurtechs als digitale Vertriebskanäle oder MGAs (Managing General Agents) positioniert wurden, die ihr Geschäft auf Direkt- und Rückversicherungsbilanzen schreiben sollten. Was wurde nicht alles versucht? 

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Insurance-Smart-Contracts auf der Blockchain, «Insure as you go», parametrische Versicherung, dezentrale Versicherung, etc. Als die versprochenen Renditen ausblieben, brachen die Venture-Capital-Zuflüsse 2022 schlagartig ein und die schon prekäre Situation erreichte ihren Höhepunkt mit dem Anheben der Zinsen.

Über den Autor

Yannis Skiadas ist Partner und Vertriebsleiter des Versicherungsgeschäfts in Kontinentaleuropa bei Capco.
 

Notenbanken ziehen den Stecker

Die Bestandsaufnahme zum Jahresstart 2025 zeigt eindeutig, dass eine grosse Umwälzung durch die jungen Wilden nicht mehr zu erwarten ist. Zum Gamechanger der Industrie wurden die sprunghaften Zinsanstiege der Notenbanken im Kampf gegen die Inflation. Binnen weniger Monate verteuerte sich Kapital massiv. Dies führte zu einer weiteren Zäsur auf Seiten der Investoren – mit dem Ergebnis, dass Finanzierungsströme binnen weniger Wochen merklich austrockneten und hochfliegende Pläne einkassiert wurden. Anstelle der generösen Unterstützung für spektakuläre Ideen trat schnell die Notwendigkeit strengerer Businesspläne, der Innovationsspielraum schwand merklich.

Es lässt sich beobachten, dass nicht nur in der Venture-Capital-Szene, sondern auch beim zweitgrössten Geldgeber von Wagniskapital für Insurtech, der Assekuranz selbst, das Interesse schwindet. Hier ist mit der veränderten Zinslandschaft eine klare Rückbesinnung auf die Kernkompetenzen der Versicherungswirtschaft festzustellen. Allzu ambitioniert hatten Anbieter auf Wachstum und Expansion gesetzt. So zum Beispiel Swiss Re, die im letzten Quartal den Verkauf der Nicht-Leben-Sparte ihres ehemaligen Insurtech- und MGA-Wunderkindes Iptiq an die Allianz angekündigt hat. Krisen wie bei der Kompass Group in Deutschland sowie gestoppte Expansionsvorhaben bei grossen Akteuren wie Wefox und Getsafe dominieren die Nachrichten aus dem Sektor. 

Komplexität und Regulatorik zu häufig unterschätzt

Das ehemalige schweizerisch-deutsche Insurtech Unicorn Wefox kombiniert eine digitale Plattform mit einem eigenen Versicherungsunternehmen, setzt also auf den Direktverkauf von eigenen Wefox-Versicherungen neben der Vermittlung von Drittanbieterprodukten über ein Netzwerk von Maklern. Allerdings entpuppten sich die hauseigenen Versicherungsprodukte schnell als wahre Stolperfalle für die ökonomische Gesundheit des Anbieters. 

Während klassische Brokerangebote durch hohe Usability auch für Nutzer Mehrwerte bieten können, entpuppt sich das Management eines vollumfänglichen Versicherungsgeschäfts über die gesamte Insurtechbranche hinweg als deutlich komplexer als von den meisten Neulingen antizipiert. Während etablierte Anbieter mit Kapitalstärke bestechen können und über Jahrzehnte geschaffene Risikomodelle verfügen, stiessen allzu ambitionierte Wachstumspläne schnell auf strenge Vorgaben vom Regulator. Eine Melange, die schnell auch die Vorbehalte auf Seiten der Kunden geweckt hat. Wie kaum eine andere Branche lebt die Versicherungsindustrie vom Vertrauen der Versicherungsnehmer in die Unternehmen. Die Fülle an schlechten Nachrichten zu vielen der Anbieter dürfte sich in den kommenden Jahren noch als schwieriges Erbe erweisen, welches weiteres Wachstum bremsen wird.

Kapitalstärke sticht Innovationskraft

Es scheint wohl so zu sein, dass die darwinsche Evolutionstheorie, wonach nicht der Stärkste, sondern der Anpassungsfähigste (in dem Fall der Innovativste) überlebt, so gar nicht auf die Versicherungswirtschaft zutreffen mag. Die Assekuranz ist und bleibt eine der wenigen Industrien, die mehr oder weniger genau so funktioniert wie vor mehreren Jahrhunderten. Das Gros der Versicherungs-CEOs wird wohl bestätigen: Nicht die technologische Innovationskraft wird darüber entscheiden, ob ein Unternehmen noch in hundert Jahren existieren wird, sondern die Fähigkeit, Risiken richtig einzupreisen und die Versicherungsbilanz zu managen. Dieses Faktum wird durch die regulatorische Aufsicht – zum Schutze der Versicherungskunden und -kundinnen – verschärft, weil sie als Innovationskillerin fungiert. Ist die Versicherung gerade deswegen langweilig? Na ja, ein wenig schon.

Chance in der Nische?

Während die grosse Revolution in der Versicherungsindustrie nun ausbleibt, kann festgehalten werden, dass Insurtechs durchaus als Taktgeber im Bereich der Usability die Branche verändert haben. Das disruptive Potenzial neuer Player mit holistischen Angeboten, die die gesamte Wertschöpfungskette abdecken, scheint begrenzt, es könnten jedoch in der kommenden Dekade durchaus spezialisierte Anbieter Nischen mit entsprechendem Fachwissen erobern – Chancen bieten hier etwa der aufkommende Bereich der Cybersicherheit, die wachsende Haustiersparte oder auch die Versicherung von speziellen Sachwerten, etwa Antiquitäten. 

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