Russ Koesterich ist Anlagestratege des weltweit grössten Vermögensverwalters Blackrock. Im Umfeld stattlicher Bewertungen an den Finanzmärkten setzt er auf grosse Unternehmen und sieht Chancen in Japan und China.

Sie bezeichnen die derzeitige Phase, in der sämtliche Anlageklassen positiv performen, als «Everything Boom». Kann ein solcher Boom noch länger gut gehen?
Russ Koesterich: Das hängt vom Umfeld ab, in dem die Zinsen steigen. Ein moderater Anstieg der Realzinssätze, begleitet von einem globalen Konjunkturaufschwung, würde weitere Wertsteigerungen risikoreicher Anlagen möglich machen. Allerdings dürften die Gewinne angesichts der heutigen Bewertungen eher gedämpft ausfallen.

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Wo sehen Sie die Risiken dieses «Everything Boom»?
Wenn die Zinssätze aufgrund einer höheren Inflation oder eines abrupten Anstiegs der realen Zinsen ohne Abfederung durch eine wirtschaftliche Erholung steigen, sind die Risikoanlagen massiv gefährdet.

Investoren sind heute bereit, zugunsten der Performance auch massiv risikobehaftete Anlagen wie zum Beispiel Aktien mit hohem Beta oder hochverzinsliche Anleihen zu kaufen. Müssen Anleger ein solches Verhalten als Warnsignal deuten?
Nun, es signalisiert jedenfalls das Streben nach Renditen. Dieses Streben wird wohl auch anhalten, solange wir uns in diesem Umfeld ungewöhnlich niedriger Zinsen befinden. De facto sprechen wir heute gar von negativen Realzinssätzen.

Was heisst das längerfristig für Anleger?
Je länger dieser Zustand anhält, desto höher steigen die Risiken. Denn mit der Suche der Investoren nach real positiven Erträgen kann es zur Bildung von Blasen kommen.

Die Entwicklung der Aktienmärkte zeigt zuletzt wieder diverse Ausschläge, sie reagieren anfälliger auf schlechte Nachrichten. Werden die Investoren ihre Anlagen in Zukunft wieder aus einer fundamentaleren Sicht betrachten?
Die Volatilität auf den Aktienmärkten ist immer noch extrem niedrig. Sogar nach den jüngsten Ereignissen in der Ukraine bewegt sich der Volatilitätsindex VIX um die 17 und liegt damit etwa 25 Prozent unter dem langjährigen Durchschnitt.

Die amerikanische Fed reduziert Schritt um Schritt ihre Anleihenkäufe und sieht vor, bis im Herbst ihre lockere Geldpolitik komplett einzustellen. Welche Auswirkungen sind dadurch für die wichtigsten Anlageklassen zu erwarten?
Wahrscheinlich fast keine, weil der Ausstieg ja längst angekündigt ist und deshalb kein Überraschungspotenzial mehr birgt. Ausserdem profitieren die Finanzmärkte dank den Prognosen der amerikanischen Notenbank und der ausgesprochen expansiven Politik der Europäischen Zentralbank und der Bank of Japan nach wie vor von billigem Geld.

Das heisst, dass Anleger weiterhin mit steigenden Aktienkursen rechnen können?
Es empfiehlt sich auf jeden Fall, auf den relativen Wert zu achten, weil der beim Eintreffen von schlechten Nachrichten für einen gewissen Puffer sorgt. Dagegen sollte man Marktsegmente meiden, die auf eine Änderung der geldpolitischen Situation in den USA sensibel reagieren. Das sind etwa amerikanische Obligationen mit kurzer Laufzeit, das heisst zwei bis fünf Jahre. Oder aber zinssensible Sektoren des US-Aktienmarktes wie etwa Versorger und der Telekomsektor.

Viele Marktexperten bevorzugen nach wie vor Small und Mid Caps gegenüber grossen Gesellschaften. Wie sehen Sie das?
Wir setzen aus Gründen der Bewertung eher auf Large und sogar Mega Caps. Diese werden auf eine restriktivere Politik der Fed voraussichtlich weniger stark reagieren.

Welche Anlagen erscheinen Ihnen derzeit besonders attraktiv?
Grosse amerikanische Unternehmen, steuerbefreite US-Anleihen und asiatische Aktien.

In welchem Sektor sehen Sie noch überdurchschnittliches Potenzial?
Im Energie- und teilweise im Technologiesektor, wo Investitionen der Unternehmen anstehen. Daneben setzen wir auf Japan und zunehmend auch auf China.