Nebenwerte - das Wort hat eine leicht negative Konotation. Es klingt nach unbedeutend, intransparent und illiquide. Kurzum: Nebenwerte oder neudeutsch Small Caps gelten als Aktien für Anleger mit Hang zum Risiko. So weit die Vorurteile. Für Anleger lohnt sich jedoch ein Blick auf die Aktien von kleineren Schweizer Gesellschaften. Obwohl diese Valoren seltener als Standardwerte gehandelt werden, ist die Kursentwicklung kleiner Perlen oftmals besser als diejenige der bekannten grossen Aktiengesellschaften.
Das zeigt auch der Index-Vergleich: Während das Standardwertebarometer SMI in den vergangenen zehn Jahren nur knapp 15 Prozent stieg, weist der Swiss Smaller Companies Index, kurz SSCI, ein Plus von mehr als 130 Prozent auf. Auch noch langfristigere Vergleiche bestätigen ein besseres Abschneiden von Nebenwerten.
Handel über Privat und Kantonalbanken
Der Handel mit kleineren Schweizer Aktiengesellschaften findet nicht nur an den offiziellen Börsenplätzen SIX Swiss Exchange und der Berner Börse BX statt. Ausserhalb dieser beiden Handelsplätzen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ein reger Handel mit nicht-kotierten Titeln etabliert. Dieser wird vorwiegend von den Kantonalbanken in Bern und Zürich sowie von der Privatbank Lienhardt & Partner organisiert. Die Anzahl der Gesellschaften, die «Over the counter», also «über den Ladentisch», gehandelt werden, übertrifft die Anzahl der an den regulären Börsen gehandelten Aktien deutlich.
Während an der Zürcher Börse rund 230 und an der Berner Börse 20 Aktien von Schweizer Unternehmen gelistet sind, finden sich auf der ausserbörslichen Handelsplattform OTC-X der Berner Kantonalbank die Titel von mehr als 300 Gesellschaften. Dass diese Aktien nicht an einer offiziellen Börse gehandelt werden, hängt oftmals mit der Historie und der geringeren Regulation zusammen.
Ausserbörslicher Handel besser als sein Ruf
Ausserbörslich gehandelte Aktiengesellschaften müssen ihre Jahresrechnung nach dem Mindeststandard OR (Obligationenrecht) ablegen. Eine erweiterte Rechnungslegung wird nicht gefordert. Ebenso gibt es keinerlei Anforderungen an die Informationspolitik der Unternehmen, wie beispielsweise eine Ad-hoc-Pflicht, die Corporate Governance, noch an die Grösse der Unternehmen oder die Anzahl handelbarer Aktien (Free Float).
In diesem Segment aktive Banken wie die Berner Kantonalbank weisen darauf hin, dass sie vor dem Listing einer Gesellschaft eine umfangreiche Prüfung vornehmen. Ein Tummelplatz für Unternehmen mit dubiosen Geschäftsmodellen ist der ausserbörsliche Handel daher nicht. Ein Blick auf die Namen zeigt, dass es sich um seriöse, teilweise sehr traditionsreiche Firmen aus der Medienindustrie (Neue Zürcher Zeitung), der Konsumgüterbranche (Caran d'Ache), dem Tourismussektor (Parkresort Rheinfelden, Pilatus-Bahnen), Dienstleistungsunternehmen (Zur Rose Group) bis hin zu kleinen und mittelgrossen Regionalbanken (Acrevis, Regiobank Solothurn) handelt.
Nicht-kotierte besser als SMI
Kleinkapitalisierte, börsenkotierte Titel schneiden oft besser als Blue Chips ab - doch trifft das auch auf nichtkotierte Nebenwerte zu? Wird die Entwicklung der verfügbaren Indizes betrachtet, so zeigt sich auch hier eine deutlich bessere Kursentwicklung als bei Nestlé und Co. Der von der Berner Kantonalbank errechnete OTC-X-Index All Share, der sämtliche in diesem Markt gehandelten Aktien umfasst, ist in den letzten zehn Jahren etwas mehr als 60 Prozent vorgerückt. Auch der OTC-X-Index Top 50, der die 50 grössten Werte enthält, legte in diesem Zeitraum um rund 45 Prozent zu.
Der Markt für nichtkotierte Anlagen ist allerdings kein Marktsegment für passive Anleger. Indexfonds oder gar Exchange Traded Funds, kurz ETF - das wäre ein grundsätzlicher Widerspruch, da diese börsenkotiert sind -, gibt es wegen der teilweise sehr geringen Handelsvolumen nicht. Es existieren auch nur wenige professionelle Anbieter, die dieses Segment abdecken. Dazu zählt etwa die Beteiligungsgesellschaft Nebag oder die Nebenwertefonds von Quantex, AMG und Fundstreet, welche sich ganz gezielt nichtkotierter Aktien annehmen. Privatanleger, die erfolgreich in das ausserbörsliche Segment investieren möchten, sollten neben wirtschaftlichen Kenntnissen, einem Hang zu Unternehmertum und Interesse an der lokalen Wirtschaft auch viel Geduld mitbringen. Denn ein grosser Teil der ausserbörslich gehandelten Aktiengesellschaften hat nicht das Potenzial zum Kursverdoppler innerhalb eines Jahres.
Konstante Unternehmensentwicklung
Indes bringen die meisten dieser Gesellschaften wegen ihrer langen Historie viele Geschäftsbeziehungen mit, die eine konstante Unternehmensentwicklung sicherstellen. Zudem verfügen sie oft über ein solides finanzielles Fundament und Substanz in Form von Liegenschaften, Wertschriftenportfolios und abgeschriebenen Produktionsanlagen.
Die Dividendenrenditen liegen mit Durchschnittswerten zwischen 2 und 3 Prozent eher auf einem tiefen Niveau. Der Grund: Gewinne werden nicht in einem hohen Mass an die Aktionäre ausgeschüttet, sondern in die Gesellschaften reinvestiert. Bei vielen Aktien liegt das Verhältnis vom Kurs zum Buchwert daher deutlich unter 1. Das bedeutet Folgendes: Im Fall eines Kurs-Buchwert-Verhältnisses von 0,6 zahlt der Anleger 60 Rappen für bilanzierte Unternehmenswerte in Höhe von 1 Franken. Das hat allerdings seinen Preis - zusätzlich zum Malus «geringe Liquidität» muss sich ein potenzieller Anleger den Interessen der Mehrheitsaktionäre unterordnen. Typischerweise befinden sich solche Titel in Familienbesitz. Zudem ist der Informationsfluss bei einigen Unternehmen sehr dürftig.
Top-Performer 2015
Für den kräftigen Kursanstieg der Bank-von-Roll-Aktie (80,9 Prozent) sorgte das Rückkaufangebot des Grossaktionärs August François von Finck. Dieser bot den Aktionären den Ausgabepreis aus dem Jahr 2009 in Höhe von 1000 Franken je Titel an. Das Angebot war erfolgte, nachdem sich die Bank weniger gut als geplant entwickelt hatte und die Minderheitsaktionäre nach einer Ausstiegsmöglichkeit suchten. Des Weiteren zählten im vergangenen Jahr die Titel der Rigi Bahnen, des Casino de Montreux, des Parkresort Rheinfelden, der Menzi Muck-Gruppe und der Privatklinik Générale Beaulieu Holding zu den besten Wetten im ausserbörslichen Handel (siehe Tabelle).
Während die Rigi Bahnen von einem enormen Zuwachs an chinesischen Gästen profitierten, ist das Kursplus der Casino-Montreux-Aktien vor allen Dingen auf die Dividendenzahlungen zurückzuführen. Obwohl das Casino am Genfer See - wie die gesamte Branche - mit rückläufigen Spielerträgen zu kämpfen hat, profitieren die Ak tionäre von regelmässigen hohen Ausschüttungen. Dank Sonderzahlungen lag die Rendite 2015 bei stolzen 9 Prozent. Weil die grössten Aktionäre, die französische Groupe Barrière und die Gemeinde Montreux, weiterhin an hohen Ausschüttungen interessiert sein dürften, erwarten offenbar auch die Anleger weiterhin hohe Dividendenzahlungen.
Parkresort Rheinfelden und Générale Beaulieu
Die regelmässige Erhöhung der Dividende war auch der Grund für den Kursanstieg der Aktie des Bäder- und Hotelbetreibers Parkresort Rheinfelden. Nachdem in den letzten Jahren die Betriebsteile erneuert und erweitert wurden, stehen nach der Investitionsphase nun höhere Ausschüttungen im Vordergrund. Firmenchef Thomas Kirchhofer hat dies in der Vergangenheit immer wieder betont.
Eine Kombination aus ansprechender Dividendenrendite und Übernahmephantasie beflügelt 2015 auch den Aktienkurs der Genfer Privatklinik Générale Beaulieu. Allerdings haben sich die Gespräche über einen möglichen Kauf der Klinik durch die börsenkotierte AEVIS-Gruppe bis heute nicht bestätigt. Zu den Gewinnern zählten auch die Titel der Rheintaler Industriebeteiligungsgruppe Menzi Muck. Dabei sah es zweitweise nicht danach aus, denn Umstrukturierungen und Verluste im Beteiligungsportfolio führten 2014 zu einem Kursverfall, der erst in den letzten Wochen wieder korrigiert wurde. Offenbar ist die Restrukturierungsphase nun abgeschlossen.
Spannende Aktien für 2016
Der starke Franken wird auch die Jahresergebnisse der ausserbörslich gehandelten Aktiengesellschaften, insbesondere im Industrie- und Tourismussektor, beeinflussen. Dennoch dürfte sich gerade bei Industriegesellschaften wie dem Bieler Edelmetallverarbeiter Cendres+Métaux SA (minus 27 Prozent) oder der im Kunststoffspritzguss tätigen Ostschweizer Plaston Holding (minus 24 Prozent) zeigen, ob der Frankenschock durch die eingeleiteten Massnahmen ausgeglichen werden kann. Cendres+Métaux gelang bereits im letzten Geschäftsjahr 2014/15 eine Verbesserung der operativen Margen. Allerdings wurde der bei 4 Mio. Franken liegende Reingewinn durch Währungsverluste in Höhe von 1,8 Mio. Franken belastet.
Unter dem starken Franken litt auch das Halbjahresergebnis der Versandapotheke Zur Rose. Da Zur Rose seit der Übernahme der in Deutschland tätigen Online-Apotheke DocMorris rund die Hälfte der Umsätze in Euro erzielt, drückten die Währungsverluste das Semesterergebnis in die roten Zahlen. Für das Gesamtjahr kündigte das Unternehmen schwarze Zahlen an. Alle drei Unternehmen könnten sich im kommenden Jahr bei stabiler Konjunktur und einem gleichbleibenden bis leicht schwächeren Franken positiv entwickeln. Chance und Risiko sind wohl bei Zur Rose am grössten.
Beteiligung an gut geführten Schweizer KMU
Wer hingegen in einen stabilen Value-Wert mit hoher Dividendenrendite investieren möchte, sollte sich die Aktie des Berner Messebetreibers Bernexpo Holding näher anschauen. Diese notiert ak tuell rund 15 Prozent unter dem Buchwert; die Dividendenrendite liegt - eine gleichbleibende Ausschüttung von 15 Franken vorausgesetzt - bei 3,3 Prozent. Zwar sind die Umsätze wegen des zyklischen Messegeschäfts Schwankungen ausgesetzt und auch der schwache Euro wird seine Spuren in der Jahresrechnung hinterlassen. Dennoch bleiben die Aktien weiterhin günstig.
Wer sich etwas intensiver mit dem Investment in Schweizer Nebenwerte beschäftigt, wird rasch selber feststellen, dass diese Form des Investierens nicht nur eine gute Rendite abwerfen kann, sondern auch eine gute Möglichkeit darstellt, sich an gut geführten Schweizer KMU zu beteiligen. Nebenwerte können so rasch zu einer Hauptsache werden.