Bis vor Kurzem baute Willy Löhle auf dem Feld noch Mais, Getreide und Sonnenblumen an. Nun lassen sich hier in Diessenhofen noch ein paar Salate im Schneematsch erkennen, während eine Forstmaschine bereits den Feldrand rodet: Der Thurgauer Bauer hat seinen Acker dem grössten Finanztransaktionsnetzwerk der Welt verkauft.
Die Käufer sitzen in Brüssel am Hauptsitz der Swift. Betont unauffällig betreibt die Genossenschaft die digitale Lebensader der internationalen Hochfinanz. 9500 Banken wickeln weltweit ihren Datenverkehr über die hermetisch abgeriegelten Rechenzentren in den Niederlanden und den USA ab. Sie schicken täglich 16 Millionen Nachrichten über die Datenautobahnen der Swift.
Wo jetzt noch Regenwürmer durchkriechen, soll bald der dritte Hochsicherheitstrakt entstehen. Auf der Flucht vor amerikanischen Terroristenfahndern entschied sich Swift für den Thurgau und Landwirt Löhles Land. Die amerikanischen Behörden hatten heimlich die Datenbestände der beiden alten und über-lasteten Rechenzentren angezapft.
Die Angst vor Terroristen
Diessenhofen soll die Lösung für das Problem sein. Gleich bei der Haltestelle St.Katharinental, zwischen einem Grossisten, einer Bootswerft und einer Autogarage gelegen, wird bald ein Teil des täglichen Swift-Transaktionsvolumens von 6000 Milliarden Dollar durchfliessen. «Ausschlaggebend waren die Eignung der vorhandenen Infrastruktur, die Verfügbarkeit gut ausgebildeten Personals und angemessene Datenschutzgesetze», erklärt ein Sprecher die Standortwahl. Von der neuen Anlage wird nur das oberste Geschoss sichtbar sein, der Rest verschwindet mehrere Meter tief unter der Erde. Wie tief, das ist nicht bekannt - wie so vieles bei diesem Geheimprojekt. Auf rund 50 Millionen Franken wird der Bau veranschlagt, deutlich mehr dürfte Ausrüstung und Betrieb des Rechenzentrums kosten.
Trotz der beträchtlichen Dimensionen sind die Diessenhofener wenig euphorisch: «Es werden keine Arbeitsplätze für Leute aus dem Dorf entstehen. Doch schaden wird es auch kaum», sagt einer aus dem Städtchen. Optimistischer ist man im Stadthaus. «Swift und Diessenhofen sind eine Idealpaarung», sagt Stadtammann Walter Sommer stolz.
Obwohl Swift von der Gemeinde Rückendeckung hatte, gab es Phasen, in denen das Projekt zu scheitern drohte. «Die Handhabung der Einsprachen gegen den Bau des Rechenzentrums war nicht einfach für uns. Zum Glück konnten sie schnell abgewickelt werden», so Sommer. Die Einwände richteten sich nicht gegen das Projekt, sondern schürten Ängste vor der terroristischen Bedrohung. Sommer entgegnet trotzig: «Ich habe keine Angst vor einem Anschlag.»
Im idyllischen Dorf am Rhein wird aber auch gemunkelt, dass es bei den Einsprachen um zehn Jahre alte Forderungen gegenüber der Gemeinde ging. Damals wurde der Weiler Willisdorf, auf dessen Land Swift baut, eingemeindet. Und er hat viel Geld in die «Ehe» gebracht. Möglich, dass späte Rache einiger verärgerter Willisdorfer ein Motiv war.
Am Ende entschieden die harten Faktoren für Diessenhofen. 7,5 Hektaren Land sind in der Schweiz nicht leicht zu finden. Zudem muss die Anlage an das Hochgeschwindigkeitsdatennetz angeschlossen werden und ihr Energiehunger gestillt sein. Im 3300-Seelen-Dorf geht man davon aus, dass das Rechenzentrum so viel Strom wie der gesamte Ort benötigt. Für den Ausbau der Daten-, Strom- und Wasserleitungen wurden an der letzten Gemeindeversammlung von den Stimmbürgern 600 000 Franken bewilligt - die von Swift zurückgefordert werden.
Zuflucht vor den USA
Die wirtschaftlichen Effekte auf die Gemeinde werden allerdings gering sein. Swift ist kein Goldesel für den Steuervogt: «Es ist eine Kleinfirma, wenn auch eine etwas besondere», so Sommer. Denn die Steuern werden auf der Grundlage berechnet, was ein vergleichbarer Betrieb mit 20 bis 50 Angestellten an Umsatz und Gewinn erzielt. Wenigstens haben sich bereits Investoren gemeldet, die für die gutverdienenden Swift-Techniker und Informatiker Wohnungen bauen wollen.
Für Swift ist die Sicherheit der Anlage ein zentraler Aspekt. So wurde von Brüssel aus abgeklärt, wie stark der Rhein bei Hochwasser steigen kann, ob bei einem Absturz eines Jets beim Anflug auf den Zürcher Flughafen eine Gefahr enstehen kann und ob benachbarte Unternehmen störende Vibrationen verursachen. Aus Sicherheitsgründen werden von Swift selbst keine Angaben zur Beschaffenheit der Anlage gemacht. «Die neue Anlage wird nach Massgabe neuester technologischer Höchststandards errichtet und sämtliche Sicherheitsrichtlinien sowie -verfahren für jeden denkbaren Eventualfall berücksichtigt, gleich wie unwahrscheinlich dieser sein mag», so ein Sprecher von Swift. Seit den Anschlägen im September 2001 waren die Daten vor den wachsamen Augen der US-Behörden nicht mehr sicher. Unkontrolliert wurde nach verdächtigen Transaktionen gesucht. Das im Juni zwischen der EU und den USA abgeschlossene Swift-Abkommen regelt nun den Zugriff der Fahnder auf die Bankdaten ausländischer Kunden. Terrorfahnder können nun Swift-Daten einfordern, die Auswertung wird von EU-Beamten überwacht. Die Daten des Zahlungsverkehrs zwischen den EU-Staaten und der Schweiz sind vom Abkommen nicht betroffen.
Bis vor Kurzem verliessen auch rein inländische Zahlungen die Schweiz, um im holländischen Swift-Zentrum verarbeitet zu werden: Diese Daten waren in Reichweite der US-Fahnder. Damit ist nun Schluss. «Die USA haben nur im Rahmen von Rechtshilfegesuchen Zugriff auf die Swift-Daten aus der Schweiz», so Mario Tuor, vom Staatssekretariat für internationale Finanzfragen. Es gebe in der Schweiz kein ähnliches Verfahren zum Swift-Abkommen, und es sei auch keines vorgesehen. «In der EU ist die Haltung bezüglich des Austauschs von Finanzinformationen eine andere als in der Schweiz», so Tuor.
Von Reisen und Hasen
Der Datenschutz sorgt bei den Benutzern von Swift, also den Banken, ganz allgemein für Gesprächsstoff. Wie weit sollen die durch die Organisation gewonnenen Daten verwendet werden? «Auf den Datenschutz hat die User Group keinen direkten Einfluss, wir können das nur mit mehr oder weniger Ärger zur Kenntnis nehmen», so Daniel Wettstein, von der Schweizerischen Nationalbank. Er ist im Nebenamt Präsident von Swift Switzerland. Der Verein ist die Interessenvertretung von 300 Schweizer Mitgliedern und Swift-Anwendern.
Das kümmert Willy Löhle wenig. Ihn überkommt eher Wehmut, wenn er zusehen muss, wie Sträucher geschnitten werden, um Platz für Swift zu schaffen. «Dort drin haben sich immer so viele Vögel versteckt», sagt er. Vom Verkauf hat er finanziell profitiert. «Ich bin viel gereist, doch es gibt noch viel zu sehen», sagt der Landwirt. In seiner Stube, wenige Meter vom Bauplatz des neuen Rechenzentrums, hängen Bilder von der letzten Reise in ein Indianerreservat in den USA. «Mir ist wichtig, dass das Projekt nachhaltig ist», erzählt Löhle. «Die Fläche soll möglichst grün bleiben.» Denn dann finden vielleicht ein paar Hasen Lebensraum auf dem Hochsicherheitsacker.