Hans-Ulrich Meister ist beileibe nicht der Terminator, für den man ihn halten könnte. Vielmehr ist der bodenständige und pragmatische Banker der erste Manager der Credit Suisse, der den Mut besass, der wechselvollen Leidensgeschichte der Privatbankentochter Clariden Leu ein Ende zu setzen.
So verschwindet die traditionsreichste Bankmarke der ganzen Schweiz – ein Name, der in seinen Ursprüngen bis 1755 zurückreicht. Im April jenes Jahres war unter der Ägide von Johann Jakob Leu, dem damaligen Säckelmeister und späteren Bürgermeister von Zürich, die Leu et Compagnie entstanden.
Ganze 257 Jahre später wird das Geldhaus sang- und klanglos in den Mutterkonzern einverleibt. Dabei gehen nicht weniger als 550 Stellen verloren. Manche Leute in der Branche sprechen in diesem Zusammenhang von einem «Blutbad». Hans-Ulrich Meister sagt dazu: «Ich verstehe, wenn das jetzt einen Schock auslöst. Denn die Leute waren bis zuletzt mit Leidenschaft bei der Sache.» Dennoch hält er den Entscheid für richtig.
Sichtlich getroffen ist Alex Hoffmann. «Ich hänge noch heute an dieser Bank», sagt der 72-jährige Basler, der mittlerweile von Genf aus als Vermögensverwalter tätig ist. Er war 33 Jahre in diversen Führungspositionen bei der Clariden Bank tätig, zuletzt als deren Verwaltungsratspräsident, bevor er 2006 aus dem Unternehmen ausschied. «Es stimmt mich traurig, dass das Ganze ein so böses Ende nimmt», sagt der Doyen der Schweizer Privatbankenszene.
Fusionskonstrukt als Rohrkrepierer
Er war stets ein Gegner jenes Fusionskonstrukts, das im Endeffekt den Untergang von fünf erfolgreichen Finanzinstituten bedeutet. Anfang 2007 hatte die CS ihre fünf Töchter (Clariden, Hofmann, Leu, BGP Banca di Gestione Patrimoniale und Fides) zu einer Einheit zusammengeführt. Doch das Institut unter dem Namen Clariden Leu blieb ein Rohrkrepierer.
Den Preis für eine der grössten Management-Fehlleistungen in der Schweizer Bankengeschichte zahlen heute Hunderte von Mitarbeitern. Konkret: Mit der Integration in die Credit Suisse werden ganze Abteilungen von Clariden Leu überzählig. Dazu gehören die Finanz- und Wirtschaftsanalyse, die Rechtsabteilung, der Handel, die Verwaltung, die Abwicklung (Operations) und die Produktentwicklung (Asset Management).
Unter diesen Prämissen werden im Verlauf der nächsten zwölf Monate unzählige Mitarbeiter ihre Stelle in einer knallharten Ausmarchung zwischen CS und Clariden Leu verlieren. Zwar versichert Hans-Ulrich Meister, bei der Integration und der individuellen Stellenbesetzung würden einheitliche «Fairplay-Regeln» gelten. Und Hanspeter Kurzmeyer, der noch bis Ende 2012 als Chef von Clariden Leu amtet, will sich einsetzen, dass jedem Betroffenen eine faire Chance geboten wird. Doch in der Praxis heisst das nichts anderes, als dass die Clariden-Leu-Leute mit dem Rücken zur Wand stehen.
Heikel an der Mission bleibt: Am Ende sind es CS-Leute, die darüber befinden, wer bei Doppelbesetzungen den Job erhält. Damit haben die Clariden-Leu-Leute die schlechteren Karten, zumal man auch bei der Mutter daran ist, Jobs abzubauen. Oder anders gesagt: Kaum ein CS-Verantwortlicher wird mehr hauseigene Jobs abbauen, als er absolut muss.
Fast schon zynisch erweist sich dabei der Umstand, dass Clariden Leu mit dem Stellenabbau bis nach den Feiertagen zuwartet. Die grosse Entlassungswelle soll gemäss Hans-Ulrich Meister im Januar 2012 starten, im April ihren Höhepunkt erreichen und im August vollzogen sein. Per Ende 2012 wird dann der Name Clariden Leu nur noch in den Geschichtsbüchern existieren.
Bei dieser Operation macht sich Meister nichts vor. Er sagt: «Es wird Härtefälle geben.» «Wir müssen uns an eine neue Realität anpassen, in der die Anforderungen gewaltig gestiegen sind», so der CS-Mann weiter. Konkret meint er damit das anhaltend garstige Umfeld mit Frankenstärke, Tiefstzinsen, der Lethargie der Kunden und über alle Massen verschärfte Regeln und Gesetze.
Kein Wunder, dass unter diesen Vorzeichen die offenen Stellen in der Bankbranche rar werden. Dies bestätigt Christopher Nokes vom Stellenportal JobDirectory.ch. Seit Juli habe sich die Zahl der offenen Bankstellen halbiert. Aktuell seien 822 Jobs ausgeschrieben, bei denen eine gewisse Erfahrung vorausgesetzt werde. «Für Mitarbeiter von Clariden Leu, denen der Stellenverlust droht, könnte es lohnenswert sein, sich bei einer Versicherung zu bewerben. Dort sind die Jobchancen noch intakt», erklärt Christopher Nokes.
Noch immer wundert man sich vielerorts, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Bei Clariden Leu fielen die fatalen Entscheide in den Jahren 2005 und 2006. Damals gelangte das Top-Management der CS unter Oswald Grübel und Private-Banking-Chef Walter Berchtold zur Überzeugung, ihre Privatbanken-Töchter zu einem einzigen Finanzinstitut zu fusionieren. Was auf dem Reissbrett wie eine kühne Idee erschien, war wenig praxisbezogen. Der Hauptgrund: Die involvierten Banken waren von ihrer Firmenphilosophie her dermassen verschieden, dass sie sich unter gemeinsamem Dach nicht wirklich entfalten konnten.
Das galt vor allem für die Clariden Bank. Sie gehörte zwar zur CS, hatte aber stets eine grosse Eigenständigkeit bewahrt. Zudem war das Management an der Firma beteiligt. Das Unternehmen besass eine von der Credit Suisse unabhängige Informatikplattform und operierte mit viel unternehmerischem Geist. «Die Clariden Bank war ein Prunkstück des Schweizer Bankgeschäfts», erinnert sich Alex Hoffmann.
Anders beurteilte das Top-Management der CS die Situation. Im Übermut der goldenen Zeiten im Swiss Private Banking fusionierten Grübel, Berchtold & Co. die fünf Häuser. So schied Hoffmann aus dem Unternehmen aus, während CS-Private-Banking-Chef Walter Berchtold das Präsidium der Anfang 2007 lancierten Clariden Leu Bank übernahm und F. Bernard Stalder deren operativer Chef wurde.
Sinnlose Privatbank
Dann kam im Sommer 2007 die Finanzkrise auf. Es zeigte sich da auch, dass die Clariden-Leu-Idee ein Schönwetterkonstrukt war, das unter veränderten Marktbedingungen und einer schrumpfenden Eigenständigkeit nie wirklich überlebensfähig war. Schon nach elf Monaten warf Stalder das Handtuch. An seiner Statt übernahm der frühere Bank-Leu-Chef Hans Nützi das Zepter.
Der Rest ist Geschichte. Innert vier Jahren wirtschaftete sich das Management in den Ruin, ohne dass die Credit-Suisse-Führung eingriff. Für vermögende Personen machte eine Privatbank keinen Sinn, die nach den Vorgaben und über das System einer Grossbank funktionierte. Die fortgesetzte Finanzkrise sowie der Niedergang des Schweizer Bankgeheimnisses verschärften die Lage zusätzlich. Die Kundendepots schrumpften wie Schnee an der Frühjahrssonne von ursprünglich 130 Milliarden Franken auf 94 Milliarden. Entsprechend schwand auch die Ertragskraft, und eine Vielzahl guter Mitarbeiter ging von Bord.
Bis heute verwundert, dass CS-Private-Banking-Chef Walter Berchtold nie eingriff. Als er im letzten Sommer zum Chairman im Private Banking ernannt wurde, hiess es in der Branche, er sei «nach oben wegbefördert» worden. Tatsächlich dauerte es unter Hans-Ulrich Meister dann auch nicht lange, bis die Credit Suisse ihre gesamte Vermögensverwaltung unter die Lupe nahm. Damit war das Schicksal der Traditionsbank Clariden Leu endgültig besiegelt. Was war, spielt seither keine Rolle mehr. Und so kann Meister auch nicht beziffern, mit welchem Wert die älteste Bankmarke der Schweiz noch in den Büchern des Credit-Suisse-Konzerns steht. Für den neuen starken Manager im Unternehmen ist viel wichtiger: Mit der gesamten Integration von Clariden Leu spart er rund 200 Millionen Franken. Und das Jahr für Jahr.
(Autor: Claude Baumann)