An Sitzungen bringt Urs Rohner immer mal wieder denselben Spruch. «Wir sind auch eine Anwaltskanzlei», sagt dann der Präsident der Credit Suisse in Anlehnung an einen populären Werbeslogan des Zürcher Verkehrsverbunds, der die Vielseitigkeit zum Ausdruck bringen soll. Im Bonmot des Präsidenten der Credit Suisse liegt ein Körnchen Wahrheit. Seit Jahren ist die Schweizer Grossbank permanent in Rechtsstreitigkeiten verwickelt und wird nicht selten hart sanktioniert.
Aus den USA droht nun neues Ungemach. Die amerikanischen Behörden verdächtigen mehrere CS-Mitarbeiter, reichen Amerikanern bei der Hinterziehung von Steuern systematisch geholfen zu haben. Seit letztem Juli ist auch die CS selber Gegenstand von Untersuchungen des US-Justizministeriums. Die Vorwürfe sind hart und eine Herausforderung für den 52-jährigen Juristen, der seit Mai dieses Jahres als Verwaltungsratspräsident der Credit Suisse amtet. Als er vor sieben Jahren zur CS stiess, musste sich der ehemalige Chef des deutschen Fernsehkonzerns ProSiebenSat.1 denn auch den Vorwurf gefallen lassen, gar kein richtiger Banker zu sein.
Berechnend und unverbindlich
Doch der Quereinsteiger liess sich nicht beirren. Vielmehr setzte er die ihm nachgesagte Brillanz geschickt ein und legte sich innert kürzester Zeit eine überdurchschnittliche Dossierkenntnis zu. Er eckte nirgends wirklich an. So hielt er sich die Neider vom Hals und baute eine solide Machtposition innerhalb der CS auf.
Manche Leute, die mit ihm gearbeitet haben, unterstellen ihm aber auch, gern berechnend und manchmal eher unverbindlich zu sein, um seine Ziele besser zu erreichen oder eine für ihn erforderliche Kurskorrektur zu vollziehen. Er sei ein gewiefter Taktiker, der seine Gegner aus dem Effeff kenne. In Anspielung an seine frührere Leichtathleten-Karriere heisst es, Rohner sei ein Hürdenläufer mit viel Ausdauer.
Wer ihn dieser Tage trifft, findet freilich einen etwas rastlosen Urs Rohner vor. Die Vorwürfe des US-Justizdepartements belasten ihn offensichtlich. Rohner war von 2005 bis 2009 General Counsel der Credit Suisse und damit unter anderem verantwortlich für die Regeln, die ein korrektes Geschäftsgebaren sicherstellen sollen.
Als die UBS 2008 wegen ihrer Schwarzgeld-Deals vor den US-Richter kam, musste sie später Tausende von vertraulichen Kundendaten offenlegen und eine Busse von 780 Millionen Dollar leisten. Last but not least erlitt die UBS einen Reputationsschaden, der sie mindestens zwei Jahre zurückwarf, wie Rainer Skierka, Finanzanalyst der Bank Sarasin schätzt. «Die wirtschaftliche und politische Gefahr einer zweiten ‹Causa UBS› sind nicht zu unterschätzen», so Skierka.
US-Justiz: Forderungen bis zwei Milliarden Franken
Laut neusten Schätzungen fordert das US-Justizministerium von der CS und einigen anderen Schweizer Banken eine Busse von bis zu zwei Milliarden Franken sowie die Herausgabe Tausender Kundendaten. Obschon es bisher von offiziellen Stellen keine Vorbehalte gegen Rohner gibt, wird auf dem Schweizer Finanzplatz zunehmend die Frage laut, ob Rohner als CS-Präsident überhaupt noch tragbar sei.
Selber will er sich aufgrund der pendenten Angelegenheit nicht offiziell äussern. Stattdessen schickt er seinen Sprecher Andrés Luther vor: «Ja, sicher ist Urs Rohner noch tragbar.» Unter seiner Ägide als General Counsel habe die Credit Suisse 2005 als erste Bank umfassende Regeln für die grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit eingeführt und auch umgesetzt. «Diese Crossborder-Vorschriften sind heute noch wegweisend für die gesamte Branche», betont der CS-Sprecher. Dem Vernehmen nach verliessen ganze Teams die CS in Richtung Julius Bär und Sarasin, weil sie sich aufgrund der damals verschärften Regeln in ihrem Aktionsradius eingeschränkt fühlten. Im Jahr 2008 liess Rohner nochmals durch eine externe Kanzlei die Strukturen überprüfen. Trotzdem bleibt es eine Tatsache, dass sich einige CS-Mitarbeiter über die Vorschriften sträflich hinweggesetzt haben, sofern man den Untersuchungen der US-Behörden glaubt.
Neuer Private-Banking-Chef noch unbelastet
Vor Monatsfrist sorgte die CS für Aufsehen, als sie ihrem bisherigen Private-Banking-Chef Walter Berchtold eine neue Funktion verschaffte. Er soll sich künftig als Chairman Private Banking der Pflege von Top-Kunden widmen, wie es offiziell heisst. Branchenleute vermuten hingegen, dass man Berchtold «aus der Schusslinie» nehmen wollte und die neue Stelle nur Repräsentationszwecken diene.
An seiner Stelle besorgt der unbelastete Schweiz-Chef Hans-Ulrich Meister nun zusätzlich das Geschäft mit den wohlhabenden Privatkunden. «Unter Walter Berchtold sind sehr grosse Anstrengungen unternommen worden, um das grenzüberschreitende Geschäft strikt nach den gesetzlichen Vorgaben zu führen», sagt Luther. Dennoch überrascht Berchtolds Beförderung vor dem Hintergrund der jüngsten US-Ermittlungen. «Hier gibt es keinen Zusammenhang», wiegelt der CS-Sprecher ab und ergänzt: «Walter Berchtold hat eine neue, wichtige Aufgabe – und er bleibt in der Geschäftsleitung der Credit Suisse.» In der Branche vermutet man jedoch, es sei nur eine Frage der Zeit, bis Berchtold einen anderen Job übernehme.
Fest steht, Meisters Beförderung zum Chef zweier Divisionen der CS trägt Rohners Handschrift. Die Schnelle, mit der er diese Rochade vornahm, unterstreicht den akuten Handlungsbedarf bei der Bank. Bei der CS heisst es: «Wir sind daran, die Strategie dem Umfeld anzupassen. Es gilt, Prioritäten für das Wachstum zu setzen und die Effizienz zu verbessern.»
Tatsächlich enttäuscht die CS seit bald zwei Jahren in Quartalskadenz die Analystenerwartungen. Das belastet den Aktienkurs. In den letzten sechs Monaten halbierte sich der Wert der CS-Papiere. Im 3.Quartal dürfte sich wegen der Frankenstärke, der Börsenturbulenzen und der Zurückhaltung der Kunden die Situation noch verschlimmert haben. «Urs Rohner muss rasch handeln, weil sonst all diese Probleme zu seinem Vermächtnis werden», sagt Beat Wittmann, Gründer und CEO der Zürcher Vermögensverwaltungsfirma Dynapartners.
Zu hohe Gehälter
Der Pendenzenberg ist enorm, derweil die Kosten steigen und die Margen ohne das einstige Offshore-Geschäft sinken. Im Wachstumsmarkt Asien muss die Bank viel schneller wachsen. Das geht aber nur aus eigener Kraft, weil mögliche Übernahmeobjekte viel zu teuer sind. Rasch stellte Rohner nach seiner Amtsübernahme auch fest, dass innerhalb der CS noch ein enormes Effizienzsteigerungspotenzial besteht. Laut Insidern ist Rohner überzeugt, dass die Bank zu hohe Gehälter zahle, was die Aktionäre nicht mehr lange akzeptieren würden. Daneben habe man heute zu viele Finanzprodukte im Angebot, weiteres Potenzial beim Outsourcing, den Anschluss an die nächste Kundengeneration via Social Media verschlafen, und man sei organisatorisch zu komplex aufgestellt. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die One-Bank-Strategie hinterfragt wird, selbst wenn das die CS offiziell noch immer bestreitet. Sarasin-Analyst Skierka bringt es so auf den Punkt: «Das CS-Management beschwört krampfhaft die Vorteile ihres InvestmentBanking, dabei sind die Resultate ziemlich ernüchternd. Sie werfen zum wiederholten Mal die Frage auf, wo die Werthaltigkeit für die Aktionäre ist.»
Rohner muss im Prinzip die Bank neu erfinden. Pikanterweise ist dies nicht ein CS-spezifisches Problem, sondern gilt genauso für die UBS. Beide Banken stehen vor einem radikalen Umbau. «Aber keine will die Erste sein», sagt Beat Wittmann, «weil es ein Eingeständnis wäre, dass die bisherige Strategie gescheitert ist.» Doch die Nummer zwei will auch keine der beiden sein. So ist Rohner gefordert. Im Taktieren war er schon immer brilliant.