Die Bank sei so solid wie Bündner Granit, hiess es diesen Monat an der Jahrespressekonferenz in Chur. Präsident Hans Hatz sowie Bankchef Alois Vinzens konnten sich gegenseitig auf die Schultern klopfen und für ihre Graubündner Kantonalbank einen schönen Konzerngewinn sowie markant tiefere Kosten vermelden. Das eigentliche «Wunder von Chur» ging dabei fast unter: Dem Institut flossen im letzten Jahr insgesamt 1,78 Milliarden Franken an neuen Kundengeldern zu.

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Das ist mehr als «solid» für eine mittelgrosse Kantonalbank, die im Vorjahr gerade einmal 180 Millionen Franken eingesammelt hatte. Selbst auf dem Höhepunkt der UBS-Krise, als frustrierte Kunden in Strömen zu den Kantonalbanken überliefen, konnten die Bündner «nur» 1,4 Milliarden Franken neu einbuchen.

In Chur will man den Ball flach halten, selbst wenn die Meldung in der Branche für Furore sorgt, wo man energisch auf Neugeldpirsch ist. Offiziell erklärt die Kantonalbank das Resultat mit der eingeschlagenen Langfriststrategie um dann doch einzuräumen, dass besagter «Akquisitionserfolg» vor allem der Privatbank Bellerive in Zürich zu verdanken sei, an der das Bündner Staatsinstitut eine Mehrheit von 62,7 Prozent hält.

Der Wirker im Hintergrund

Tatsächlich hat letztes Jahr eine bis dato nicht näher bezeichnete Gruppe von Schweizer Privatinvestoren 25 Prozent an der Privatbank Bellerive übernommen und dabei die Tresore des Hauses mit frischem Kundengeld geäufnet. Wie Recherchen der «Handelszeitung» zeigen, hat kein Geringerer als der Schweizer Finanz- und Geschäftsmann Rudolf «Rolf» Hänggi diesen Deal eingefädelt.

Auf Anfrage bestätigt Hänggi, dass er mit einem halben Dutzend Investoren bei der Privatbank Bellerive eingestiegen sei, und dass das reichliche Neugeld von rund drei Dutzend Kunden stamme. «Es gibt Leute, die heutzutage eine Schweizer Lösung vorziehen», sagt Hänggi. Über den Kaufpreis herrscht Stillschweigen.

Der Coup ist bemerkenswert, passt aber gut zu Hänggis Karriere. Wie kaum eine andere Persönlichkeit in der Schweizer Wirtschaft blickt der heute 68-jährige Jurist mit dem schlohweissen Haar auf eine erfolgreiche Laufbahn zurück. Sie führte ihn vom Bankwesen (Bankverein, Bankgesellschaft, Basellandschaftliche Kantonalbank) in die Assekuranz (Zürich Versicherungen) und zurück, aber auch steil nach oben in die Aufsichtsgremien bedeutendster Schweizer Konzerne wie Roche und Nestlé. Die «Basler Zeitung» bezeichnete Hänggi einst als «Wirker im Hintergrund», weil er nie die Nummer eins war, sondern meist undercover für möglichst wenig Publizität sorgte, dafür aber als Vize Einfluss nahm.

Hänggi stand den Schweizer Wirtschaftsgrössen einer ganzen Epoche nahe, Leuten wie Fritz Gerber, Rainer E. Gut, Peter Brabeck oder Franz Humer. Den Schwyzer Financier Martin Ebner lernte er im Militärdienst kennen. Eine Zeit lang arbeiteten sie eng zusammen, bis sie sich wegen eines Offshore-Finanzvehikels in Panama zerstritten. Auf seine heutige Tätigkeit angesprochen, stapelt Hänggi wie für ihn typisch tief. Er sei in der «Beratung» tätig und habe keine Funktionen mehr inne.

Das Understatement kultiviert Hänggi allgemein - was ihm indessen gute Voraussetzungen verleiht, um neue Deals an die Hand zu nehmen. Eigentlich reicht das Wunder von Chur in seinen Ursprüngen ins Jahr 1994 zurück. Damals verkaufte Jürg Blass - mangels Nachfolgern in der Familie - die 1925 gegründete Zürcher Privatbank Rüd Blass an die Zürich-Versicherung. Sie erhielt den Zuschlag, weil sie bereit war, das Institut unter dem bestehenden Namen weiterzuführen. Hänggi, der zu jener Zeit Finanzchef des Assekuranz-Konzerns war, wurde Verwaltungsratspräsident der Bank Rüd Blass, die ihren Sitz in einer oberen Etage der Schweizer Börse im Zürcher Selnau-Quartier hatte. Unter Hänggi, der 1996 die Zürich verliess, gedieh die Bank erfreulich, während im Gegenzug der Zürich-Konzern wegen seiner unreflektierten Expansionsstrategie in riesige Schwierigkeiten geriet. Als Konsequenz verkaufte die Zürich ihre Bank.

So fiel Rüd Blass 2003 unter die Fittiche der Deutschen Bank. Die spätere Integration stiess einigen langjährigen Schweizer Kunden sauer auf, wollten sie doch ihr Geld nicht fortan unter deutscher Obhut wissen. Erst recht nicht, als einige Jahre später die Finanzkrise, der Kauf gestohlener Kunden-Daten durch die deutsche Regierung und die Durchlöcherung des Bankgeheimnisses noch mehr Anlass zu Besorgnis gaben.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass auch die Privatbank Bellerive aus einer Nachfolgeregelung erwuchs (siehe Kasten). Ursprünglich gegründet vom legendären Schweizer Finanz- und Goldexperten Ferdinand Lips, der ebenfalls keine Nachfolger in der Familie fand, übernahm 1998 die Graubündner Kantonalbank das damals noch als Bank Lips firmierende Haus. In der Folge wurde der Zürcher Brückenkopf der Bündner in Privatbank Bellerive umbenannt. Diese agierte aber mit durchzogenem Erfolg. Nun nicht mehr. «Die Veränderungen im Aktionariat eröffnen das Potenzial für ein Wachstum in unserem Primärmarkt», erklärt Thomas Müller, Sprecher der Graubündner Kantonalbank. «Mit der Beteiligung möchten wir auch die Wachstumsgrenzen unseres Heimmarktes sprengen.»

Auf anderer Umlaufbahn

Tatsächlich katapultiert der Einstieg der neuen Investoren Bellerive in eine andere Umlaufbahn: Die verwalteten Kundenvermögen, die früher rund eine Milliarde Franken betrugen, haben sich jetzt schon mehr als verdoppelt. Zudem haben zwei frühere Rüd-Blass-Führungskräfte an Schaltstellen Platz genommen. Jan Rusca ist Verwaltungsrat und Daniel Wittmer leitet das Private Banking. Er verliess Rüd Blass 2003 und war zuletzt bei der Bank Vontobel tätig.

Rusca und Wittmer gehören ebenfalls zur Investorengruppe, wie die «Handelszeitung» weiss. Nachdem die Bank gewisse Abwicklungsprozesse nach Chur ausgelagert hat, beschäftigt sie noch 14 Leute. «Es ist geplant, zusätzliche Kundenberater anzustellen», sagt Müller von der Graubündner Kantonalbank.

Mag die Transaktion gemessen an ihren Dimensionen von marginaler Bedeutung sein, so dokumentiert sie doch: Mit den Umwälzungen in der globalisierten Finanzwelt - «in der man immer weniger weiss, wohin sie treibt», wie Hänggi sagt - wünschen sich viele Kunden jene Solidität zurück, die man Jahrzehnte mit dem Begriff «Swiss Banking» verbunden hat. Mit ihrem Vorstoss entsprächen die neuen Investoren bei der Bellerive dem Bedürfnis nach einer «Schweizer Lösung » und einer «Mutter mit Staatsgarantie», so Hänggi.

In Chur hört man derlei gern, wenngleich klar ist: Die Kantonalbank steht nicht nur wegen des Bündner Granits so solid da.