In den Finanzmärkten einen Sinn zu suchen, das ist, wie wenn man auf stürmischer See ein Muster entdecken will. Die Informationen, die nach oben kommen, sind das Produkt von menschlichen Käufen und Verkäufen – in all ihrer Widersprüchlichkeit. Die Preise spiegeln eine Mischung aus Gefühlen, verzerrten Wahrnehmungen und kühler Rechenleistung.

Dennoch: Alles in allem besagen die Finanzmärkte nicht nur etwas über die Stimmung der Anleger, sondern auch  über den Zeitgeist.

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Gewitterwolken, gewiss...

Das am häufigsten spürbare Signal ist die Selbstgefälligkeit: Gefahren werden oft ignoriert, bis es zu spät ist. Aber heute bildet nicht Selbstgefälligkeit die herrschende Gemütslage – es ist die Besorgnis. So war es schon öfters in den vergangenen zehn Jahren, aber derzeit verschärft sich das.

Am greifbarsten wird es im erstaunlichen Appetit auf die sicherste aller Anlageformen: Staatsanleihen. In Deutschland – wo die Wirtschaft laut den jüngsten Daten schrumpft – sind alle Zinssätze negativ, von den Depositengeldern bis hin zu den Bundesanleihen mit 30 Jahren Laufzeit. Wer solche Bonds kauft und sie bis zum Verfall hält, macht einen garantierten Verlust. In der Schweiz erstrecken sich die die Negativrenditen sogar über 50 Jahre. Selbst im hoch verschuldeten und krisenanfälligen Italien erhalten Sie für eine zehnjährige Anleihe nur 1,5 Prozent.

Derweil besteht in den USA eine inverse Zinskurve, die Sätze für zehnjährige Bonds sind tiefer als die für Dreimonats-Bills – eine eigenartige Lage, die als Vorbotin der Rezession gilt.

Angst wird auch andernorts offenbar. Die Fluchtwährung Dollar steigt im Verhältnis zu den meisten Währungen. Gold ist auf dem höchsten Stand seit sechs Jahren. Die Kupferpreise – ein Hinweis auf den Gesundheitszustand der Industrie – sind drastisch gesunken. Trotz den iranischen Angriffe auf Öltanker sanken die Ölpreise auf ein Preisniveau unter 60 Dollar pro Barrel.

Die Welt als grosses Japan

Viele Menschen fürchten, dass diese eigenartigen Signale auf eine weltweite Rezession hinführen. Und zweifelsohne ballen sich Gewitterwolken zusammen. China hat soeben gemeldet, dass seine Industrieproduktion so schwach wächst wie nie seit 2002. Die Expansion in den USA dauert schon ein Jahrzehnt lang, sie ist die langlebigste, die je registriert wurde. Und so wirkt eine Wende überfällig – ganz gleich, was die Ökonomen sagen.

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Dieser Beitrag wird im Rahmen der Partnerschaft der HZ mit dem «Economist» veröffentlicht. Übernahme und Übersetzung mit Genehmigung.

Quelle: © The Economist

Mit Zinssätzen, die ohnehin schon so tief sind, erschöpfen sich die Kapazitäten , um einen Abschwung zu bekämpfen. Anleger befürchten, dass die Welt zu einem Japan wird – mit einer antriebslosen Wirtschaft, die sich damit beschäftigen muss, die Deflation zu bekämpfen. Und die deshalb anfällig ist für Rückschläge.

Noch herrscht die Vorsicht

Trotzdem ist die Rezession bislang erst eine Befürchtung, keine Realität. Die Weltwirtschaft wächst immer noch, wenn auch etwas weniger stark als 2018. Sie verdankt ihre Widerstandsfähigkeit den Konsumenten, nicht zuletzt in Amerika. Es gibt viele Jobs. Die Löhne steigen. Kredite sind leicht erhältlich. Und günstigeres Öl bedeutet, dass man mehr Geld sonst ausgeben kann.

Obendrein gab es noch kaum Hinweise auf jene wilde Überschwänglichkeit, die einem Kurseinbruch normalerweise vorausgeht. Die Verwaltungsräte der kotierten Gesellschaften und die Aktionäre gingen bislang auf Nummer sicher. Die Unternehmen insgesamt sind Nettosparer. Die Anleger bevorzugen Firmen, die Geld verdienen und nicht mir ihrem Vermögen protzen.

«Wenn es aber keinen Boom gegeben hat und die Weltwirtschaft noch nicht auf Pleiten zusteuert – warum sind die Märkte dann so besorgt?»

Man sieht dies im grossen Unterschied zwischen dem hochfliegenden Aktienmarkt der USA, dominiert von schlanken Internet- und Dienstleistungsfirmen mit hoher Rendite – sowie, auf der anderen Seite, den europäischen Börsen: Diese ächzen unter Banken und Autoherstellern, deren Fabriken das Kapital auffressen. Und innerhalb von Europas Aktienmärkten werden defensive Aktien wie Nestlé mit turmhohen Aufschlägen im Vergleich zu Industrietiteln wie Daimler gehandelt.

Wenn es aber keinen Boom gegeben hat und die Weltwirtschaft noch nicht auf Pleiten zusteuert – warum sind die Märkte dann so besorgt?

Die beste Antwort lautet, dass die Unternehmen und die Märkte nicht recht wissen, wie sie mit Unsicherheit umgehen müssen. Verunsicherung, nicht Zölle, sind der grösste Schaden aus dem Handelskrieg zwischen den USA und China. Die Grenzen des Streits haben sich vom Import einiger Industriemetalle auf breitere Kategorien von Fertiggütern ausgeweitet. Neue Fronten haben sich geöffnet – die Lieferketten der Technologiefirmen, zuletzt auch die Währungen.

Jetzt zögern die Unternehmen

Und da Japan und Südkorea ihre historischen Differenzen übergreifen lassen auf den Handel, wird weiter unklar, wer oder was als nächstes hineingezogen wird.

Da grosse Investitionen nicht einfach rückgängig gemacht werden können, zögern die Unternehmen, sie jetzt voranzutreiben. Daten von JP Morgan Chase deuten an, dass die weltweiten Kapitalinvestitionen nun sinken. Die Belege dafür, dass bei den Investitionen gekürzt wird, finden sich in Umfragen zu den Business Sentiments, im weltweit sinkenden Produktion beim Anlagenbau oder in der stotternden Entwicklung von Volkswirtschaften, die industrielastig sind – zumal Deutschlands.

Was ist, wenn die Menschen später zurückblicken?

Besorgt sind auch die Zentralbanken. In der Folge lockern sie weiter ihre Geldpolitik. Um einen Abschwung abzuwenden, reduzierte die US-Notenbank Fed im Juli erstmals in diesem Jahrzehnt die Zinsen. Weitere Senkungen sind wahrscheinlich. Die Zentralbanken von Brasilien, Indien, Neuseeland, Peru, den Philippinen und Thailand haben inzwischen allesamt ihre Ziel-Zinssätze reduziert. Die EZB wird wahrscheinlich ihr Anleihe-Kauf-Programm wieder aufnehmen.

«Die extreme Vorsicht, die sich in den Obligationen-Märkten ausdrückt, könnte später einmal wie Fahrlässigkeit wirken.»

Trotz dieser Bemühungen könnte die Sorge in eine Alarmstimmung kippen. Und das schleppende Wachstum könnte sich zur Rezession drehen. Es lohnt sich, auf drei Warnsignale zu achten:

  • Erstens den Dollar. Er ist ein Barometer für den Risikoappetit. Je mehr die Investoren nach der Sicherheit des Greenback streben, desto mehr Gefahren sehen sie.
  • Zweitens die Handelsgespräche zwischen Amerika und China. Präsident Donald Trump hat die neuen Zölle, die er Anfang August auf einige Importe angekündigt hatte, wieder verschoben; das nährte die Hoffnung auf einen Deal. Dieser könnte in Trumps Interesse sein, da eine starke Wirtschaft für seine Wiederwahl im nächsten Jahr entscheidend sein wird. Allerdings könnte Donald Trump die Chancen eines Abschwungs falsch einschätzen. Er könnte zudem zum Schluss kommen, dass China trödelt, um seine Chancen auf eine zweite Amtszeit zu sabotieren und mit einem demokratischen Nachfolger einen besseren Vertrag zu erreichen.
  • Der dritte Aspekt sind die Renditen der Unternehmensanleihen in Amerika. Die Finanzierungskosten bleiben bemerkenswert tief. Aber der Spread – die Zusatzrendite, welche die Investoren verlangen, um riskantere Firmenschulden aufzunehmen – beginnt sich auszuweiten. Damit werden Umschuldungen für Unternehmen mit viel Fremdkapital schwieriger. Sie könnten versucht sein, bei den Löhnen wie bei den Investitionen zu sparen. Mit zunehmender Wahrscheinlichkeit einer Rezession.

Wenn die Menschen dann zurückblicken, werden sie erkennen, dass die Preise der Vermögenswerte vielfach widersprüchlich geworden sind. Die extreme Vorsicht, die sich in den Bondmärkten ausdrückt, könnte dann wie Fahrlässigkeit wirken: Wie konnten – zum Beispiel – die Märkte bloss den steigenden Populismus mit der Furcht vor einer Deflation gegenrechnen?

Es ist eine seltsame Vorstellung, dass es zu heftigen Preisänderungen führen könnte, wenn die heutige Angst einmal nachlässt: zu einem Sprung bei den Anleiherenditen; zu einem Seitwärtscrash, bei dem die teuren defensiven Aktien einbrechen, während die geprügelten zyklischen Aktien nach oben jagen.

Womöglich mag es dann sogar zuviel Überschwang – exuberance – geben. Aber wen kümmert das in diesem Augenblick?

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