Während der Protektionismus weltweit zunimmt und die USA ihren Markt immer mehr abschotten vor allem gegenüber China, tut die Schweiz das Gegenteil. Das Freihandelsabkommen (FHA) mit China ist das erste seiner Art in Europa. Im Juli 2014 trat es in Kraft und sieht eine schrittweise Senkung der chinesischen Einfuhrzölle bis 2023 vor.

Seither steigerten hiesige Unternehmen ihre Exporte nach China um etwa 30 Prozent, die Importe aus China legten um 7 Prozent zu. Auf beiden Seiten werden durch den Abbau von Zöllen derzeit rund 100 Millionen Franken eingespart, aber es könnten noch viel mehr sein: Hunderte Millionen Franken könnten Schweizer und chinesische Unternehmen jährlich sparen. Denn bisher wird über die Hälfte des Import- und Exportpotenzials in beiden Ländern noch nicht genutzt. 

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Zu diesem Schluss kommt die erste Studie seit Inkrafttreten des Abkommens: Die Universität St. Gallen (HSG) hat zusammen mit der der chinesischen University of International Business and Economics und der Universität Nanjing die Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern analysiert.

Weniger als die Hälfte der Unternehmen nutzt das Abkommen

Dazu haben die Wissenschaftler Unternehmen in beiden Ländern befragt: Heraus kam, dass nur 42 Prozent der Schweizer Firmen das Freihandelsabkommen vollständig nutzen. Zudem zeigte sich, dass die meisten chinesischen Unternehmen zufrieden mit dem Abkommen sind, aber nur ein Drittel der Schweizer. Trotz einer gewissen Unzufriedenheit wollen aber alle befragten Firmen das Freihandelsabkommen weiter nutzen.

Dass nicht alle Unternehmen das FHA nutzen, liegt in den meisten Fällen an Schwierigkeiten beim Einhalten der komplexen Ursprungsregeln. Denn nur wenn ein wesentlicher Anteil des Werts eines Produkts nachweislich in der Schweiz hergestellt wurde, kann das FHA in Anspruch genommen werden. Andere Unternehmen kennen schlichtweg die Zollsenkungsverfahren nicht ausreichend. Viele Firmen klagen auch über den hohen bürokratischen Aufwand und die Schwierigkeiten mit den chinesischen Zollbehörden. Doch «der schwarze Peter kann nicht nur China zugeschoben werden, die Schweizer Unternehmen müssen sich an die eigene Nase fassen,» sagt Patrick Ziltener von der Universität Zürich und Mitautor der Studie.

Uhren, Maschinen und Pharma

Denn einige Branchen machen es vor: Die grössten Profiteure des Abkommens sind die Uhrenindustrie, die Maschinenindustrie und die Pharmabranche. Laut des Berichts werden heute bereits drei von vier Uhren nach China mit den niedrigeren Zöllen des Freihandelsabkommens exportiert, somit konnten rund 50 Millionen Franken eingespart werden. Auch der Grossteil der Maschinenexporte erfolgt im Rahmen des FHA – hier lag die Ersparnis bei 11 Millionen Franken, ebenso wie in der Pharmaindustrie, wo 13 Millionen Franken gespart wurden. Die Studie zeigt, dass die Exporte aus der Schweiz, die am stärksten von niedrigeren Zöllen in China profitieren, Medizinalinstrumente, insbesondere Zahnimplantate sind. 

Allerdings werden auch nach der Übergangsphase die chinesischen Einfuhrzölle für Schweizer Waren nicht ganz abgeschafft, sondern eben nur gesenkt. So fordert die Schweizerische Uhrenindustrie etwa die vollständige Abschaffung der Zölle auf Uhren. Gleichzeitig profitiert die Branche von den Komponenten für die Schweizer Uhrenherstellung, die aus China importiert werden: Produkte im Wert von 420 Millionen Franken werden jährlich und dank FHA zollfrei importiert.

Geng Wenbing, chinesischer Botschafter in der Schweiz

Geng Wenbing: Der chinesische Botschafter in der Schweiz anlässlich der Präsentation des Berichts im Kantonsratssaal St. Gallen.

Quelle: Anna-Tina Eberhard Fotografie

Ungenutztes Potenzial in China

Auch die chinesischen Unternehmen schöpfen das Potenzial noch nicht voll aus, vor allem in der Textil- und Schuhbranche. Nur rund 20 Prozent bestimmter Kleidungsimporte aus China sind zollfrei, bei Sportschuhen sind es sogar nur 10 Prozent. Das Einsparungspotenzial sieht Patrick Ziltener bei über 150 Millionen Franken pro Jahr – Geld, das letztlich auch die Schweizer Konsumenten beim Kauf von Kleidung und Schuhen aus China sparen könnten.

Noch schrecken viele Unternehmer vor dem Verwaltungsaufwand zurück. Ziltener von der Universität Zürich zufolge sollten sich die Unternehmen damit befassen anstatt Geld zu verlieren, so auch die Landwirtschaft. Die wichtigsten Agrarprodukte, die nach China exportiert werden, sind Milcherzeugnisse, Kaffee und Schokolade – Schweizer Schokolade ist beispielsweise bereits zollfrei. Doch die Exporteure machen davon kaum Gebrauch: 2017 seien nur etwa ein Zehntel der möglichen Ersparnisse im Agrarsektor ausgereizt worden.

Die Studienautoren kommen zu dem Schluss, dass wenn sich die Rahmenbedingungen für den bilateralen Handel weiter verbessern, sowohl Schweizer als auch chinesische Unternehmen einen langfristigen Wettbewerbsvorteil haben werden. Für Schweizer Firmen heisst das in erster Linie gegenüber der Konkurrenz aus der EU und den USA, denn von einem Handelsabkommen mit China sind die beiden globalen Wirtschaftsmächte weit entfernt.

Wichtiges Signal

Es gibt aber noch weitere Gründe für das Freihandelsabkommen: Das Einparungspotenzial für die Schweizer Exportindustrie ist grösser als aus allen anderen Freihandelsabkommen ausserhalb Europas zusammen. «Bemerkenswert ist das Timing: Während die USA und die EU die Zäune hoch ziehen, öffnet sich die Schweiz gegenüber China», sagt Ziltener.

Chinas Interesse am Freihandelsabkommen bestehe vor allem darin, Schweizer Firmen einen besseren Marktzugang zu geben, um für eine gewisse Konkurrenz zu sorgen. Die chinesische Regierung wolle ihre Unternehmen damit motivieren, besser zu werden. Zudem wollen die Chinesen ein Signal in Richtung EU senden und sich über das Abkommen mit der Schweiz mit dem europäischen Handelssystem vertraut machen.