BILANZ: Dieter Bohlen, Sie suchen bei «DSDS» gerade zum zehnten Mal den Superstar. Wann finden Sie endlich mal einen?
Dieter Bohlen: Hast du die Zeile nicht gelesen? Die Sendung heisst «Deutschland sucht den Superstar» («DSDS»). Sie heisst nicht «Deutschland findet den Superstar».
Haben Sie Hoffnung, dass es eines Tages doch noch passiert?
Wir hatten ja ein paar dabei, die hätten Superstar werden können. Menowin war musikalisch einer, aber von der Persönlichkeit nicht reif genug. Mark Medlock hatte drei, vier Jahre lang Hits, hat zweieinhalb Millionen Platten verkauft und wahnsinniges Geld verdient. Aber wenn der dann mit der Axt seiner Managerin hinterherrennt und sein Haus abbrennt, und ich weiss nicht was noch alles, sagt irgendwann der letzte Fan: So nicht.
Und Ihre Pseudostars sind plötzlich wieder Koch oder Coiffeur.
Nicht ganz. «DSDS» ist in der Wertschöpfung bei weitem grösser als alle anderen Castingshows. Die Gewinner bei den anderen Shows rufen zwei Wochen später den Schuldenberater an, weil sie kein Geld mehr haben. Die Sieger von «The Voice»: ein Desaster. «X Factor»: Desaster. «Popstars»: Desaster. Die haben ja alle keine zehntausend Euro verdient. Unsere Gewinner machen richtig Geld. Die bekommen schon als Siegprämie 500 000 Euro. Und dann gehts erst los. Luca Hänni, der Schweizer, der letztes Jahr gewonnen hat, steht jetzt bei 800 000, vielleicht 900 000 Euro. Der verdient richtig Geld. Der Gewinner im Jahr davor, Pietro Lombardi, hat sicher eineinhalb Millionen verdient. Wir sind mit «DSDS» ja auch die Einzigen, die Nummer-eins-Hits generieren.
Die Sie produzieren. Viele Radiosender spielen die Songs aber gar nicht.
Das stimmt nicht. Niemand spielt sie! Auch die öffentlichrechtlichen Anstalten nicht. Dabei ist das gegen deren Auftrag, für den sie sieben Milliarden Gebührengelder bekommen. Eine absolute Sauerei! Als Lena Meyer-Landrut bei Stefan Raab gewonnen hat, haben sie die zweieinhalbtausendmal pro Woche gespielt. Und unseren Siegersong zwei- oder dreimal. Nachts um 4.12 Uhr, für eine halbe Minute. Das ist natürlich ein Unterschied.
Wie sehr schadet das dem Unternehmer Dieter Bohlen?
Wahnsinnig! Der Gewinnersong von Pietro Lombardi hat eine halbe Million Stück verkauft, was in dem Jahr schon aussergewöhnlich war. Mit Airplay-Unterstützung hätten wir weit über eine Million verkauft. Dann wären die Stars auch nachhaltiger. Aber die öffentlichrechtlichen Sender wollen ja nicht, dass RTL erfolgreich ist. Deshalb versuchen sie von Anfang an, die Gewinner fertig zu machen.
Wie wichtig ist «DSDS» für den Unternehmer Dieter Bohlen?
Sehr wichtig. Im letzten Jahr hatte ich eine halbe Milliarde Zuschauer – 43 Sendungen mit je ein bis drei Wiederholungen, plus all die anderen Sendungen, die sich dran anlehnen. Das gibt mir eine riesige Plattform für meine anderen Aktivitäten – meine Modelinie, die kürzlich lancierte Tapetenkollektion, die Werbung, die ich für eine Versicherung mache. Meine Werbepartner haben auch dank meinem Zutun ihre Umsätze teilweise verdreifacht.
Tapeten?
Ja, die kommen super an. Wir haben schon über eine Million Stück verkauft. Ich habe ein untrügliches Feeling für den Mainstreamgeschmack. Das habe ich ja schon mit Modern Talking bewiesen.
Was sind Ihre Grundsätze als Unternehmer?
Ich habe das DIETER-Prinzip: D für Disziplin, I für Intuition und Intelligenz, E für Ehrgeiz, T für Taten – die meisten labern ja nur rum und machen nichts. Dann noch mal E für die Extrameile laufen, ein bisschen mehr machen als die anderen, und R für eine gewisse Rücksichtslosigkeit gegen sich selber.
Nur gegen sich selber?
Ich mag diesen hässlichen Unternehmer nicht, der über Leichen geht. Und Leute verarschen finde ich doof. Man soll als Unternehmer Erfolg haben, weil man besser ist, aber man muss eine hohe moralische Integrität behalten. Ein Deal muss für beide Seiten gut sein. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie jemanden beschissen, nicht um einen Cent. Das geht auch. Ich habe Erfolg, habe ganz gut Geld, aber dazu musste ich niemanden belügen, betrügen oder irgendwie verarschen. Man muss nicht über Leichen gehen.
Sie produzieren auch Volksmusik wie die Wildecker Herzbuben und Schlagersänger wie Helene Fischer. Welches Genre ist am lukrativsten?
In der Musikindustrie kommt nach dem Schlager lange Zeit gar nichts. Andrea Berg und Helene Fischer sind die Künstler, die in Deutschland am meisten Umsatz generieren – mit Abstand. Die Pop- und Rocksänger haben Tränen in den Augen, wenn sie mal hunderttausend Stück verkaufen und dafür die Goldene Schallplatte kriegen. Da lachen sich Helene Fischer und Andrea Berg tot. Bei denen kommen 15 000 Leute ans Konzert. Da hat man an einem Abend mal so locker eine halbe Million Umsatz.
Wie lange braucht es die grossen Plattenlabels noch in Zeiten, wo sich Musiker selbst im Internet vermarkten können?
Das stimmt, es werden immer mehr Stars im Internet geboren. Aber meistens gehen die irgendwann doch zu einem Major Label. Sie brauchen dann eben doch einen Manager, der sie betreut, der Auftritte organisiert. Das Problem ist, dass man mit einem Nummer-eins-Hit heute zehn- bis fünfzehnmal weniger verdient als vor zwanzig Jahren. CDs verkaufen ist kein Modell mehr. Ausser Castingshows und Schlagersendungen gibt es ja auch keine Musiksendungen mehr, wo die Interpreten noch auftreten können. Man muss sich neue Modelle überlegen. Das Musikgeschäft der Zukunft wird sehr sehr haarig.
Was ist denn das Geschäftsmodell der Zukunft?
Konzerte, Werbung, solche Sachen. Wir haben in Deutschland nur noch drei grosse Labels. Bald werden es zwei sein: Universal und Sony. Die werden immer schlanker werden und sich immer mehr auf Verwaltungsaufgaben beschränken. Die Plattenindustrie wird irgendwann genau so sein wie ein Schmied, der Beschläge macht für Pferde. Da gibts zwar noch drei, vier, aber eben nicht mehr hinter jeder Ecke.
Ist Apple ein Fluch oder ein Segen für die Musikindustrie?
Für mich als Produzent ist es ein Segen – iTunes als Plattform, die Archivierung, die ganze Aufbereitung. Und es bringt die Leute wenigstens teilweise dazu, für Musik zu zahlen. Ganz wird man es sowieso nicht schaffen, die Leute von den Tauschbörsen wegzubekommen. Musik ist für viele ein kostenloses Gut. Gerade die jungen Menschen haben es so gelernt. Ich plädiere auch seit Jahren dafür, die Leute, die das machen, nicht strafrechtlich zu verfolgen.
Ach ja?
Ich habe doch früher auch aus dem Radio die Titel auf Kassette aufgenommen – das ist nichts anderes. Warum soll man für etwas bezahlen, wenn man es auch umsonst bekommt? Dass dann irgendwelche dreizehnjährigen Kinder 10 000 Euro Strafe dafür zahlen sollen, das ist Schwachsinn.
In der Schweiz ist es legal.
Da seid ihr weiter als wir. Ich bin ja für Abgaben auf Hardware. Auf Rohlinge etwa oder auf Festplatten. Dass für jeden verkauften Apple-Laptop meinetwegen zehn Euro anfallen für Komponisten, Texter etc. Das wäre fair.
Auch das ist hierzulande bereits der Fall.
Echt? Wow.
Sind Streaming-Abodienste wie Spotify die Rettung der Industrie?
Vielleicht. Aber ich bin nicht überzeugt. Was mich fertig macht, ist der gläserne Kunde. Ich habe ein komisches Gefühl, wenn die wissen, was der Bohlen um 18.24 Uhr angehört hat. Und für mich zum Arbeiten ist das Käse. Ich hätte die Songs wenigstens gerne als MP3. Auch zum Weiterverarbeiten. Wenn ich beispielsweise ein Playback machen will – sagen wir mal, du willst singen ...
... das würde ich Ihnen nicht antun.
Egal. Also, du willst singen, und ich suche mir bei Spotify dazu ein Playback, das kann ich ja dann nicht abspeichern. Das wollen aber viele. Ich glaube, früher oder später werden Streamingdienste nicht darum herumkommen, ihre Songs auch zum Download anzubieten, damit man sie abspeichern kann.
Sie haben einmal gesagt, Sie würden mehr verdienen als Joe Ackermann, als der noch bei der Deutschen Bank war. Gilt das noch immer?
Ich gehe davon aus. Was hat der verdient?
Im letzten Amtsjahr fünf Millionen Euro, sein Spitzensalär waren vierzehn Millionen Euro.
Meine Aussage bezog sich auf den zweiten Bereich. Das war auch bestimmt nicht gelogen. Ich mag den Ackermann übrigens. Ich kenne ihn persönlich. Er ist ein fähiger, charismatischer Wirtschaftsmann, der weiss, wovon er redet. So einen müssen die bei der Deutschen Bank erst mal wieder finden. Dem wurde viel in die Schuhe geschoben, was in der Öffentlichkeit falsch rübergekommen ist. Das geht mir oft auch so.
Nanu, sonst wettern Sie immer gegen die Banker?
Ja, denn was die Banker machen, wie die die Leute über den Tisch ziehen, das ist eine ganz schlechte Politik. Da müssten auch die ganzen Oberhäuptlinge im Vorstand eine andere Politik machen. Dass es heisst: Wenn da eine alte Oma kommt, dann berätst du die, als wäre es deine eigene Oma. Absolut fair. Fairness sollte nicht nur in der Werbung vorkommen – die Deutsche Bank wirbt ja immer mit Fairness und Vertrauen. Aber das wird ein ganz langer Weg für die Banken. Auch deshalb verwalte ich mein ganzes Geld selber. Sehr konservativ übrigens. Seitdem ich beim Aktiencrash 1987 mein halbes Vermögen verloren habe, investiere ich fast nur noch in Festgeld.
Sie waren einst Mitglied der Kommunistischen Partei, jetzt sind Sie Deutschlands grösster Musikkapitalist. Wie kam dieser Wandel?
Pass mal auf, das war eine Jugendsünde. Ich war Unternehmersohn, mein Vater hat Strassen gebaut und ist Mercedes gefahren. Er wollte, dass ich die Firma übernehme, und nicht, dass ich Musik mache. Dass man als Teenie gegen den allmächtigen Papa in seinem Mercedes rebelliert und eine rote Fahne mit Hammer und Sichel auf der Villa hisst, ist normal in der Pubertät. Ich bin dann auch zu den Versammlungen gegangen. Und dann habe ich gemerkt, dass das alles Quatsch ist, dass die nicht meinen, was sie sagen. Viel Theater, viel Verlogenheit.
Was motiviert Sie noch?
Money is the real thing. Kürzlich war ich in Moskau und St. Petersburg und habe vor Zehntausenden Fans die alten Modern-Talking-Songs gespielt. Das waren fast ein Dutzend Konzerte.Wenn ich auf der Bühne stehe, denke ich: 1000 Euro, 2000, 3000 ... Und bei 300 000 steige ich runter und denke: Gut is.
Der Musik-Kapitalist
Dieter Bohlen (59) ist der erfolgreichste Musikproduzent Deutschlands. Er verkaufte 160 Millionen Tonträger und landete weltweit über 50 Nummer-eins-Hits, mehr als die Beatles und Abba zusammen. Der studierte Betriebswirtschafter stand mit dem Popduo Modern Talking in den Achtzigern selber fünfmal an der Spitze der Charts. Er ist Chefjuror bei «Deutschland sucht den Superstar» und «Das Supertalent». Er war zweimal verheiratet.