Wenn sämtliche Unternehmen nach den Grundsätzen von Family Offices geführt würden», sinniert John Wells, Präsident der renommierten Lausanner Business School IMD, «dann wäre unsere Wirtschaftswelt eine bessere.» In den Family Offices würden im Gegensatz zu den meisten börsenkotierten Unternehmen drei Prinzipien gelebt. Laut Wells: Ehrlichkeit, Fairness und Transparenz. Nur so könnten Firmen über Generationen hinweg existieren. Denn die massgeschneiderten Konzepte zur Verwaltung der Vermögen sehr wohlhabender Familien seien sozusagen für die Ewigkeit konzipiert und hätten klare Regeln und Werte.
Mythen mit klaren Zielen
Wer von Family Office spricht, ist häufig mit Mythen konfrontiert - mit historischen Gemäuern, hinter denen sich weit verzweigte Familiengeschichten verbergen und Reichtümer in drei- und vierstelligen Millionenbeträgen sich türmen: Wertschriften, Unternehmen, Immobilien, Kunstsammlungen, Schmuck, Yachten und Oldtimer. Kein Family Office gleicht dem anderen, zu unterschiedlich sind Tradition, Vermögen und Persönlichkeit der Familien. Eines ist ihnen aber gemeinsam: Sie sind in aller Regel diskret, verschwiegen und meiden die Öffentlichkeit.
In den letzten Jahren aber haben sie sich abseits der börsenkotierten Unternehmen und der grossen institutionellen Anleger zu einem wichtigen Akteur in den Finanzmärkten gemausert und in der Krise an Attraktivität gewonnen. «Family Offices konnten sicher davon profitieren, dass eine Vielzahl der Banken besonders stark von der Finanzkrise betroffen war», stellt Adrian Künzi, geschäftsführender Teilhaber der St. Galler Privatbank Wegelin, fest.
Der Wunsch nach einer bankenunabhängigen Vermögensverwaltung ist seit dem Lehman-Kollaps noch stärker geworden. Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie von Complementa, J.P. Morgen Asset Management und vom Bayrischen Finanz Zentrum (2009). Diese sehen in der starken Entwicklung der Family Offices in den 1990er-Jahren einen «Gegentrend» zur zunehmenden Standardisierung und Automatisierung in der Finanzdienstleistungsbranche. Family Offices bieten in einer globalisierten, hochkomplexen Welt flexible, moderne und individualisierte Lösungen an, die bei superreichen Familien immer beliebter werden. Zudem sind die Ansprüche der Ultra High Net Worth Individuals stark gestiegen.
Die US-Konsulentenfirma Celent schätzt, dass es in Europa rund 4000 Firmen gibt, die Dienstleistungen für Family Offices erbringen, 750 davon ausschliesslich für die Geschäfte einer einzigen Familie. Jedes dieser Office verwaltet mindestens 100 Mio Dollar. In der Schweiz existieren schätzungsweise 400 Family Offices, und die Zahl nimmt zu. «Faktoren wie eine hohe Rechtssicherheit, Schutz der Privatsphäre, hohes Ausbildungsniveau der Mitarbeiter oder aber auch die hohe Lebensqualität in der Schweiz dürften dafür ausschlaggebend sein», so Künzi.
Zwar haben auch die Family Offices in der Finanzkrise viel Geld verloren, da sie oftmals in Hedge-Fonds- und Private Equity investiert waren. «Aber sie konnten deutlich rascher als beispielsweise institutionelle Investoren ihre Asset Allocation anpassen und so zum Teil vom Anstieg der Aktienmärkte in diesem Jahr profitieren», sagt Künzi. Schnelles Reagieren dank kürzeren Entscheidungswegen und das Verfolgen einer Total-Return-Strategie gehören in der Krise zu den Vorzügen der Family Offices.
Werte erhalten - neue schaffen
Nach Ansicht von Thierry Lombard, Managing Partner bei der Genfer Privatbank Lombard Odier, ist es für neue Family Offices besonders wichtig, genau zu wissen, welche Ziele und Werte sie verkörpern und welche Anlagestrategie sie verfolgen möchten. Gleichzeitig muss sich ein Office der Risiken bewusst sein, auch dies eine Lehre der Krise. Denn immer steht die Frage im Mittelpunkt: Wie schaffe ich es, die Werte der Familie zu erhalten und neue Werte für die Familie und die Welt zu schaffen. «Hier muss stets von Neuem die Balance zwischen Tradition und Innovation gefunden werden.»
Wie die Familie Merck 341 Jahre Geschichte und Pioniergeist vereint
Jon Baumhauer ist sich der Bedeutung und der Tradition seiner Familie sehr bewusst. Er ist Vorsitzender des Familienrats der Familie Merck, die 12 Generationen und über 230 Mitglieder umfasst. Der Familie gehören über 70% des deutschen Pharma- und Chemiekonzerns Merck, der 1668 in Darmstadt gegründet wurde.
Doch Baumhauer ist auch Unternehmer: «Das Geschäft steht an erster Stelle.» Er vergleicht die Rolle der Familie mit jener eines Treuhänders, der das Unternehmen bereichert und vergrössert an die nächste Generation weitergibt.
Das Verblüffende an der Familie Merck ist die Corporate Governance, die auf eine Familien-Charta aus dem frühen 19. Jahrhundert zurückgeht und heute noch in Kraft ist. So ist die Entscheidungs- von der Kontrollebene klar getrennt: Die operative Betriebsführung wird ausserhalb der Familie wahrgenommen, die Aufsicht durch die Familie. Damit der CEO Karl-Ludwig Kley die Werte der Familie verinnerlicht, wird er während seiner Amtszeit «adoptiert» - Baumhauer bezeichnet ihn lächelnd als «Cousin». Kley hat Aktien aus dem Familienbesitz erworben und nimmt an den Familienanlässen teil. Verlässt Kley Merck, wird die Adoption rückgängig gemacht.
Die Familie Merck ist am Wochenende mit dem internationalen Family Business Award von Lombard Odier und IMD ausgezeichnet worden. Der Preis gilt weltweit als wichtigste Auszeichnung für Family Offices. Thierry Lombard, Managing Partner von Lombard Odier, möchte Firmen honorieren, die für andere Family Offices Verhaltensstandards und Ideen liefern. Und: «Wir möchten den wichtigen wirtschaftlichen Beitrag von Familienunternehmen zur globalen Wirtschaft hervorheben.»
Ein mutiger Schritt für Merck war 2007 die Übernahme des Schweizer Biotech-Unternehmens Serono, denn es prallten zwei unterschiedliche Firmenkulturen aufeinander: Innovation und Tradition. Doch Baumhauer ist über diesen Schritt heute mehr denn je überzeugt und glücklich. (pi)