One share, one vote. Seit dem 22. April gilt dieser Leitsatz nun auch beim Ostschweizer Bau- und Technologiezulieferer AFG Arbonia-Forster. Mit der Einführung der Einheitsaktie musste AFG-Patron Edgar Oehler auf Druck der Banken seine Stimmenmehrheit abgeben. Er bleibt aber, mit einem Anteil von 18,4%, nach wie vor grösster Aktionär. Eine Stimmrechtsbeschränkung von 5% soll zudem gewährleisten, dass AFG nicht ins Visier von Spekulanten gerät.
Nur fünf Tage nach dem Entscheid der AFG-Investoren stand die Einheitsaktie erneut auf der Traktandenliste einer Ostschweizer Generalversammlung: Doch bei der Immobiliengesellschaft bfw liegenschaften beziehungsweise bei Mehrheitsaktionär Beat Frischknecht fiel das Anliegen durch. Mit 10,4% des Kapitals kontrolliert der Firmengründer und bfw-Verwaltungsrat weiterhin 52% der Stimmen. «Im Unterschied zu AFG, die durch die Finanzkrise im vergangenen Jahr stark in Schieflage geraten ist, stand Frischknecht das Wasser nicht bis zum Hals», begründet ein bfw-Investor, der nicht genannt werden will, die Ablehnung. Die bfw liegenschaften verfügt über ein Wohnimmobilienportefeuille, welches zur Not auch zu interessanten Preisen verkauft werden könnte.
Noch ist das Anliegen der Investoren allerdings nicht vom Tisch, und sollte das Unternehmen neues Kapital benötigen, wird auch bfw diesen Schritt nicht mehr umgehen können.
Prominente Ausnahmen
Doch braucht es diese Einheitsaktie überhaupt? Prominente und schwergewichtige Beispiele wie die Swatch Group von Nicolas Hayek oder der Pharmakonzern Roche, kontrolliert durch die Familien Hoffmann und Oeri, beweisen, dass auch mit einer Kapitalstruktur, die heute nicht mehr zeitgemäss erscheint, gute Geschäftsergebnisse erzielt werden können. «Aus Sicht der Corporate Governance hat insbesondere Roche mit den relativ wenigen Inhaberaktien und den viel zahlreicheren stimmrechtslosen Genussscheinen eine sehr ungewöhnliche Struktur. Bisher war dies allerdings nie ein Problem», erklärt Roger M. Kunz, Corporate-Finance-Professor an der Universität Basel.
Dennoch bilden an der Schweizer Börse inzwischen jene Unternehmen, die gleichzeitig mehrere Arten von Beteiligungspapieren verwenden, die grosse Ausnahme. Über die vergangenen 20 Jahre ist ihr Anteil von ehemals mehr als 86% auf heute unter 15% geschrumpft. Besonders um die Jahrtausendwende war ein regelrechter Boom zur Vereinheitlichung der Kapitalstruktur festzustellen. Und noch immer kommen, wie das Beispiel von AFG zeigt, laufend weitere Unternehmen hinzu.
Mehr Einfluss für Aktionäre
«Diese Entwicklung ist aus Sicht der Anleger auch heute noch zu begrüssen», sagt Kunz. Denn nur so könne der Kapitalmarkt seinen Einfluss wirklich geltend machen. Jeder Aktionär erhält jenes Mitbestimmungsrecht, für das er auch tatsächlich bezahlt hat. Oder wie es der bfw-Investor formuliert: «Wir können sehr gut mit einem Mehrheitsaktionär leben, nur sollte dieser auch das entsprechende finanzielle Risiko tragen.»
Ebenfalls eine wichtige Funk- tion des Kapitalmarktes ist die Kontrolle, damit sich einzelne Aktionäre nicht zulasten der übrigen Investoren finanzielle Vorteile oder gar eine Arbeitsplatzgarantie verschaffen. Dagegen kann der Gefahr, dass beispielsweise ein traditionsreiches Familienunternehmen mit der Einführung der Einheitsaktie in die Hände von Raidern fällt, mit Vinkulierungsbestimmungen entgegengetreten werden.
Hinzu kommt, dass diese Befürchtungen bei einem gut geführten Unternehmen sowieso kaum begründet sind. «Die Investoren werden nur dort aktiv werden, wo sie aufgrund eines Missmanagements ein unausgeschöpftes Gewinnpotenzial vermuten», ist Kunz überzeugt.
Wird Roche den Schritt wagen?
Dem Nachteil der Macht- beschränkung stehen mit der Einführung der Einheitsaktie die sinkenden Kapitalkosten gegenüber. Schliesslich werden Papiere mit einem eingeschränkten Stimmrecht häufig mit einem Sicherheitsabschlag gehandelt. «Die Aktionäre kennen die Rahmenbedingungen und sind daher nicht bereit, den vollen Preis zu zahlen», so Kunz. Aus diesem Grund empfiehlt er sämtlichen Firmen die Vereinfachung der Aktionärsstruktur.
Längerfristig erwartet er gar, dass auch Firmen wie Swatch, Lindt & Sprüngli oder Schindler diesen Schritt wagen werden. Am schnellsten könnte es noch bei Roche gehen, obwohl das Pharma-unternehmen im Jahr 2000 entsprechende Begehren von Financier Martin Ebner abschlug. «Die Familien Hoffmann und Oeri sind nicht ins Tagesgeschäft involviert. Und über die Generationen wird das Aktionariat immer weiter verästelt. Es könnte also sein, dass die Roche-Besitzer auf ihre Privilegien verzichten und die Genussscheine in Aktien wandeln werden - und sei es nur, um dem zweitgrössten Aktionär Novartis eins auszuwischen», begründet Kunz.