Die amerikanische Notenbank Fed musste gestern am Geldmarkt intervenieren – zum ersten Mal seit der Finanzkrise vor mehr als zehn Jahren: Sie stellte kurzfristig 53,15 Milliarden Dollar zur Verfügung. Ein weiteres Overnight-Repo-Geschäft – wie der Eingriff im Fachjargon genannt wird – werde an diesem Mittwoch folgen, teite die Institution mit.
Konkret können sich Banken kurzfristig Bargeld von der Fed leihen, wobei sie Staatsanleihen und andere Wertpapiere als Sicherheiten hinterlegen. Dazu bestand in den vergangenen Jahren kein Anlass, da die Banken mit ausreichend Liquidität versorgt waren.
Grosser Block von Bonds
In dieser Woche änderte sich das. Wegen der Zahlung von Unternehmensteuern und der Abwicklung des Kaufs von 78 Milliarden Dollar an US-Staatsanleihen wurden Barmittel am Geldmarkt knapp, wie Analysten sagten. Dadurch wiederum explodierten die Zinsen am Geldmarkt, wo sich Banken untereinander Geld leihen. Dort wurden am Dienstag wegen der Engpässe plötzlich bis zu zehn Prozent verlangt – also etwa das Vierfache des von der Fed festgelegten US-Leitzinsen. Durch die Geldspritze der Zentralbank fielen die Zinsen am Geldmarkt zeitweise wieder auf Null, ehe sie am Ende bei 2,0 Prozent landeten.
Einzelne Beobachter sprachen von «Chaos» oder gar «total chaos». Experten gehen zumindest davon aus, dass die Fed es bei diesem Eingriff nicht belassen wird. Jeffrey Gundlach, Chef des Finanzhauses DoubleLine Capital, rechnet «ziemlich bald» mit einem «QE light» – wobei QE für «Quantitative Easing» steht. Das heisst: Die Fed könnte ihre Geldpolitik unkonventionell lockern, die Geldmenge erhöhen und die Kreditvergabe ankurbeln.
«Nur ein kleines Pflaster»
«Das zugrunde liegende Problem ist, dass es nicht genügend Liquidität im System gibt, um die Nachfrage zu befriedigen, und die Aufgabe der Zentralbank besteht darin, diese Liquidität bereitzustellen»: So beurteilt Roberto Perli die aktuelle Situation; Perli war früher Fed-Ökonom und ist heute Partner bei Cornerstone Macro in Washington: «Was die Fed gemacht hat, war nur ein kleines Pflaster.»
Sollte die Explosion der Geldmarktsätze unkontrolliert bleiben, kann der Anstieg der Übernachtzinsen der Gesamtwirtschaft schaden, da die Fremdkapitalkosten für Unternehmen und Konsumenten steigen.
Früher war das normal
Vor der Finanzkrise gehörten solche Fed-Eingriffe am Repo-Markt zur Tagesordnung. Sie wurden im Rahmen einer Politikänderung der Zentralbank eingestellt, als die Fed ihre Bilanz erweiterte und ein Zielband für die Zinsen verwendete.
Einige Strategen erwarten nun, dass es heute im Rahmen der Fed-Zinsentscheidung eine weitere technische Anpassung beim Zinssatz für Überschussreserven geben könnte, um die Märkte wieder in ein Gleichgewicht zu bringen.
«Etwas sollte getan werden»
«Es gab eine Zusammenspiel von Faktoren, die die Probleme in dieser Woche ausgelöst haben», sagte Darrell Duffie, Finanzprofessor an der Stanford University, der Forschungsarbeiten zu Repos verfasst hat. «Aber die Tatsache, dass es passiert, bedeutet, dass etwas bei der Fed getan werden sollte. Damit die Fed wirklich zuversichtlich sein kann, dass das Problem gelöst ist, muss die Bilanz ausgeweitet werden» – was eben das erwähnte «QE light» bedeuten könnte.
Für die Fed kommen die Komplikationen am Geldmarkt jedenfalls zur Unzeit. Sie entscheidet am heutigen Mittwoch über ihre Zinspolitik. Experten rechnen mit der zweiten Senkung in diesem Jahr. Zuletzt hatte sie die Zinsen Ende Juli auf die Spanne von 2,0 bis 2,25 Prozent gesenkt. Der Zinsentscheid fällt in eine Zeit erhöhter Nervosität an den Börsen – nach den folgenreichen Drohnenangriffen auf Ölanlagen in Saudi-Arabien. Die politisch unabhängige Fed sieht sich zudem Forderungen nach einer weitaus lockereren Geldpolitik aus dem Weissen Haus ausgesetzt. US-Präsident Donald Trump hält das Zinsniveau für viel zu hoch. Er verlangt eine Senkung des geldpolitischen Schlüsselsatzes auf «null oder weniger».
(«Reuters» | «Bloomberg» | rap)