Nach einem flauen Jahresauftakt hat das zweite Quartal punkto Börsengänge mit einem Knall begonnen. Gleich drei Firmen haben den Gang aufs Börsenparkett gewagt. Den vorläufigen und fulminanten Schlusspunkt setzte am Freitag der Ostschweizer Zugbauer Stadler Rail (Mehr lesen Sie hier und hier).
Es war der bisher grösste Börsengang in Europa in diesem Jahr. Davor hatte sich Anfang April die Tessiner Medizintechnikfirma Medacta erfolgreich dem Publikum geöffnet. Und seit letztem Dienstag werden die Papiere von Alcon an der Schweizer Börse gehandelt – der grösste Zugang an der Schweizer Börse seit einem Jahrzehnt.
Dabei handelte es sich aber nicht um einen klassischen Börsengang – in der Fachsprache ein Initial Public Offering oder kurz «IPO». Der Augenheilmittelkonzern wurde vielmehr vom Pharmariesen Novartis abgespaltet. Von einer Erstplatzierung oder eben einem IPO ist die Rede, wenn den Anlegern Aktien aus dem Bestand der Altaktionäre oder aus einer Kapitalerhöhung angeboten werden.
Im ersten Quartal 2019 waren die IPOs weltweit noch dünn gesät – und in der Schweiz herrschte gar komplette Funkstille. «Das erste Quartal 2019 war aussergewöhnlich ruhig wegen verschiedener Unsicherheiten wie dem Brexit, dem US-Handelskrieg mit China und anderer geopolitischer Faktoren», sagte Tobias Meyer vom Beratungsunternehmen EY.
Lust stieg mit den Kursen
Die Lust auf Börsengänge kam mit den seit Jahresbeginn steigenden Aktienkursen. Nach einem miserablen Dezember starteten die Aktienmärkte weltweit durch. Der Schweizer Leitindex SMI etwa hat 2019 bisher um gut 13 Prozent zugelegt und vor wenigen Tagen ein neues Allzeithoch markiert.
Damit scheint das Eis gebrochen und weitere Firmen dürften den Schritt aufs Parkett wagen. Denn gemäss einer ZKB-Studie gibt es seit 1981 eine positive Korrelation zwischen der Börsenentwicklung und der Anzahl IPOs. «Erfolgreiche IPOs können weitere Börsengänge beflügeln», erklärte Andreas Neumann, Leiter Equity Capital Markets bei der ZKB.
Neumann ergänzte aber: «Ich gehe nicht davon aus, dass es gleich viele Börsengänge geben wird wie letztes Jahr.» 2018 kam es zu zwölf Neuzugängen an der Schweizer Börse, davon waren sieben «richtige» Listings.
«Ich erwarte keine grosse Welle. Nach Medacta und Stadler könnte es bis Ende Jahr aber noch drei bis vier Börsengänge geben», sagte auch Manuel Ebner, Chef Schweiz der Bank of America.
Die Erklärung dafür kommt vom EY-Experten Tobias Meyer: «Ein Börsengang benötigt eine Vorbereitungszeit von 1,5 bis zwei Jahren». Das IPO-Fenster ist jetzt zwar wieder offen. Wer aber die nötigen Vorbereitungen noch nicht getroffen hat, sei zu spät dran.
Mehrere Aspiranten
Die Pipeline an börsenwilligen Firmen ist aber länger als auch schon. In den Startlöchern stehen laut Bankenkreisen die Automatenverpflegungsfirma Selecta, der Visadienstleister VSF, die Immobilienfirma Infracor, der Verpackungsspezialist Aluflex, die Immobilienplattform Crowdhouse und der zu Metall Zug gehörende Hausgerätehersteller V-Zug.
Börsengedanken werden laut Marktteilnehmern ausserdem den Softwareherstellern Avaloq und SoftwareOne, dem Kartonverpackungshersteller Model und den Medizintechnikfirmen Mathys und Thommen Medical nachgesagt. Zu den Aspiranten zählten zudem der Implantathersteller Implantica und die Immobilienfirma Infracor Real Estate.
- 2009: Lonza ersetzt Baloise
- 2009: SGS ersetzt Nobel Biocare
- 2010: Transocean ersetzt Swiss Life
- 2011: Givaudan ersetzt Lonza
- 2012: Geberit ersetzt Synthes (Übernahme durch Johnson & Johnson)
- 2015: Sika ersetzt Syngenta (Übernahme durch ChemChina)
- 2016: Swiss Life ersetzt Transocean (Rückzug von der Schweizer Börse)
- 2017: Lonza ersetzt Actelion (Übernahme durch Johnson & Johnson)
- 2019: Alcon ersetzt Julius Bär
Nicht immer kommt ein Kandidat aber auch wirklich an die Börse. Denn wenn eine Firma bereit sei für einen Börsengang, ist das das laut Manuel Ebner auch ein Signal an Konkurrenten, dass das Unternehmen zum Kauf stehen könnte.
So hat sich etwa vor gut einem Jahr eine Investorengruppe um Martin Ebner mitten in den Vorbereitungen für einen Börsengang die auf Schleiftechnik spezialisierte United Grinding mit Sitz in Bern geschnappt.
Wichtige Gründe für eine Börsenpräsenz sind ein höherer Bekanntheitsgrad, die einfachere Eigenmittelbeschaffung und die – in der Regel gestaffelte – Möglichkeit des Besitzers zum Ausstieg aus einer Firma, wenn zum Beispiel die Nachfolge geregelt werden muss.
Dank einer Börsenkotierung können zudem Akquisitionen via einen Aktientausch abgewickelt werden. Ferner würden Kredibilität und die Bonität bei einem Listing höher beurteilt, erklärte ZKB-Experte Neumann.
Ein IPO verschafft also Vorteile. Doch diese sind nicht gratis zu haben. Börsenfirmen müssen ihre Bücher öffnen und sich von Aktionären dreinreden lassen. «Es schafft eine gewisse Flexibilität – aber auch zu gewissen Kosten», resümierte Ebner.
IPO-Hausse: Viele Börsengänge enttäuschen
Derzeit wagen zahlreiche Firmen den Sprung aufs Parkett. Heute Freitag am 12. April werden erstmals die Titel von Stadler Rail in der Schweiz gehandelt (mehr hier, hier und hier.). Seit dem 9. April ist Alcon gelistet (mehr hier). Lyft ist ein Beispiel aus den USA (mehr hier).
Für Anleger stellt sich die Frage: Lohnt sich ein Investment ganz am Anfang? Ein Blick zurück: In der Schweiz zählten in den letzten zehn Jahren etwa VAT oder Cembra Money Bank zu den Kursraketen. Innert weniger Jahre verdoppelten sich hier die Kurse. Zuletzt ragten die beiden Gesundheitsunternehmen Galenica und Idorsia mit ihrer Publikumsöffnung heraus. Von den Börsenneulingen in den Jahren zuvor, zwischen 1999 und 2009, haben sich speziell Geberit und Partners Group als Überflieger entpuppt. Die Kurse ihrer Aktien haben sich seit dem jeweiligen Börsengang sogar mehr als verzehnfacht.
Doch insgesamt sieht die Bilanz der IPO in der Schweiz sehr durchzogen aus. Von den genau 42 Titeln, die in den letzten zehn Jahren am Schweizer Aktienmarkt debütiert haben, entwickelten sich nur ein halbes Dutzend ganz nach dem Geschmack der Investoren. Mit Abstand am besten vom Fleck kamen neben VAT und Moneypark noch die Glarner KB, Hiag, Orior und Cassiopeia. Sieben einstige Hoffnungsträger büssten dagegen 40 Prozent ihres Emissionspreises ein, Blackstone, Evolva und EFG sogar über 80 Prozent.
Für Anleger gilt: Ohne sorgfältige Auswahl geht bei IPO-Aktien nichts, wie die Flops mit Aktienneulingen im Rückblick auf die letzten 25 Jahre gezeigt haben. Mehr lesen Sie hier.
(sda/ise)