Nur Wochen nach dem Sturz des haitianischen Diktators Jean-Claude «Baby Doc» Duvalier 1986 bat Haiti die Schweiz, 5 Mio Dollar, die Duvalier mutmasslich gestohlen und auf Schweizer Bankkonten versteckt hatte, einzufrieren.

Seit fast 24 Jahren bemüht sich die Schweiz, Haiti das Geld zurückzugeben. Doch der einfache Akt, angeblich illegale Gewinne zurückzugeben, hat sich als schwieriger herausgestellt, als es klingt. Das Geld ist weiter in schweizerischen Banken eingefroren aufgrund von Haitis Unfähigkeit, Anklage gegen den früheren Diktator zu erheben. Zudem erhebt der frühere Diktator seinerseits Ansprüche auf dieses Geld.

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Nationalrat hat das letzte Wort

In diesem Monat September will der Nationalrat über ein Gesetz abstimmen, das den Weg für die Rückgabe des Geldes an Haiti ebnen könnte - und möglicherweise auch den Ruf der Schweiz als Bankenstandort wiederherstellt. Das Gesetz würde es für die Schweiz einfacher machen, Geld an Länder zurückzugeben, die als korrupt gelten. Im Fall von Haiti würde es einen Gerichtsentscheid von Januar aufheben, wonach die Gelder an Duvalier hätten zurückgegeben werden müssen, weil die damit in Verbindung stehenden Straftaten verjährt seien. Das Urteil erging nur wenige Stunden vor dem furchtbaren Erdbeben auf Haiti, das 220000 Menschen das Leben kostete und Schäden von geschätzten 7 Mrd Dollar verursachte. «Wir wollen dieses Geld nicht», sagte die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey in einem Interview. «Es gehört Haiti.» Wenn aber das Gesetz nicht durchkommt, wird die Schweiz das Geld Duvalier aushändigen müssen.

In einer E-Mail an das «Wall Street Journal» bestritt Duvalier, der in Frankreich im Exil lebt, jegliches Fehlverhalten und schrieb, das Geld gehöre ihm und seiner Familie. Und er sei ausser sich vor Wut, dass das Geld trotz des Gerichtsentscheids im Januar immer noch eingefroren sei. «Nicht mal eine Bananenrepublik würde sich so etwas trauen», schrieb er in der E-Mail. «Dieser unerhörte Schritt stellt das ganze Schweizer Finanzsystem infrage.»

Die Geschichte der Schweizer Bemühungen, die haitianischen Gelder zurückzugeben, ist symbolhaft für die Schwierigkeiten, die die Schweiz und andere Finanzzentren auf der Welt im Umgang mit dem Geld haben, das mutmassliche diktatorische Plünderer auf Bankkonten in der ganzen Welt verstecken. Seit 1986 haben laut Weltbank Finanzplätze eine Gesamtsumme von 5 Mrd Dollar an gestohlenen Geldern an Entwicklungsländer zurückgegeben. Aber das ist nur ein kleiner Teil der 20 bis 40 Mrd Dollar, die laut Weltbank jährlich von korrupten Regierungsbeamten in diesen Ländern gestohlen werden.

Kritik an Lex Duvalier

Das vorgeschlagene Gesetz mit dem Namen Lex Duvalier sehen einige als eine armselige Antwort auf die jüngsten Angriffe auf die Schweizer Gesetze zum Bankgeheimnis, die es Ausländern ermöglichten, in ihren Heimatstaaten Steuern zu umgehen und das Vermögen von Kriminellen zu schützen. Während das vorgeschlagene Gesetz theoretisch auch auf andere autokratische Führer in Regionen wie Sub-Sahara-Afrika und Zentralasien Anwendung finden könnte, monieren Kritiker, dass es nicht annähernd weit genug gehe und sich nur auf «gescheiterte Staaten» beziehe.

«Wenn ein Staat den Tiefpunkt erreicht hat, ist das hilfreich», sagt Mark Pieth, Schweizer Professor für Strafrecht und Chef der Arbeitsgruppe Korruption bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Pieth war einer der Berater, der mit der Schweizer Regierung den Gesetzestext ausgearbeitet hat. «Aber sind Thailand, Indonesien oder die Philippinen gescheiterte Staaten? Nein. Das Gesetz wird sich ziemlich bald als sehr ineffektiv erweisen.»

Seit Jahrzehnten hat die Schweiz gestohlene Beute von Leuten wie dem philippinischen Präsidenten Ferdinand Marcos, dem chilenischen Präsidenten Augusto Pinochet, dem nigerianischen Anführer Sani Abacha und Zaires Präsidenten Mobutu Sese Seko akzeptiert, die sich hinter den Bankgeheimnisgesetzen des Landes verstecken.

Der Fall Marcos 1986 läutete eine Wende ein. Im Zuge von spektakulären Fällen kamen riesige Summen ans Tageslicht, die sich in der Schweiz befanden. Der Druck auf die Schweiz nahm zu, den Zufluss von gestohlenen Geldern zu stoppen. Schweizer Banken übergaben schliesslich 684 Mio Dollar von Marcos-Konten an die Philippinen, obwohl man davon ausgeht, dass er zwischen 5 und 10 Mrd Dollar gestohlen hatte.

Schweiz ein Hort illegaler Gelder

Heute soll die Schweiz auf einem der grössten Lager gestohlener Geldmittel sitzen - mehr als 150 Mrd Dollar laut der Global Financial Integrity, einer Washingtoner Gruppe, die Korruption in Entwicklungsländern verfolgt. Weder die Schweizerische Bankiervereinigung noch das Schweizer Finanzministerium wollen diese Zahl kommentieren.

Die Schweizer sagen, sie hätten mehr Geld zurückgegeben - 1,6 Mrd Dollar insgesamt - als jedes andere Land. Einige halten das nicht für ausreichend.

«Im Weltmassstab sind 1,6 Mrd Dollar die Spitze des Eisbergs», sagt Daniel Thelesklaf, ehemaliger Chef der Swiss Financial Intelligence Unit und gegenwärtig Direktor des Basel Institute on Governance, das Entwicklungsländern Rechtsbeistand gibt, Gelder wiederzuerlangen.

Das vorgeschlagene Schweizer Gesetz zielt darauf ab, eines der Haupthindernisse zu beseitigen, mit dem Finanzzentren konfrontiert sind, wenn sie versuchen, illegale Gelder zurückzugeben. Laut aktueller Schweizer Gesetzgebung muss ein Land ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen einen Regierungsbeamten einleiten, bevor Gelder zurückgegeben werden können.

Aber oft sind die gesetzlichen und politischen Systeme solcher Länder korrupt, durcheinander oder der abgesetzte Diktator hat nach wie vor so viel Macht, sodass die Offiziellen davor zurückschrecken, gegen ihn vorzugehen, auch wenn er nicht mehr im Amt ist.

Bei der neuen Gesetzgebung müsste die Schweizer Regierung nur zeigen, dass die fragliche Summe wesentlich höher ist, als jemand glaubwürdig in Ausübung seines Amtes verdient haben kann, und dass das Land bekanntermassen korrupt ist. Die Beweislast, dass das Geld aus legalen Quellen stammt, würde bei den Beamten liegen anstatt beim Schweizer Staat.

Die Diktatur in Haiti

Die Duvalier-Affäre ist ein Paradebeispiel geworden für die Gerichtsverhandlungen um mutmasslich gestohlene Gelder. Duvalier folgte 1971 seinem Vater als Präsident von Haiti und regierte bis 1986, als er infolge von Unruhen ins Exil floh. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International sagen, dass Duvaliers persönliche Miliz für die Folter, Deportation und den Mord an Oppositionellen verantwortlich war. Er wurde darüber hinaus angeklagt, Geld von Regierungsunternehmen abgeschöpft und ausser Landes gebracht zu haben, obwohl die Bevölkerung in Armut lebte. Duvalier stritt ab, in irgendwelche kriminellen Aktivitäten involviert gewesen zu sein.

Die fraglichen 5 Mio Dollar (5,9 Mio Dollar mit Zinsen), ein relativ kleiner Betrag, sind die einzigen eingefrorenen Duvalier-Gelder. Die haitianische Regierung schätzt, dass er während seines Regimes zwischen 300 und 900 Mio Dollar gestohlen hat, sagt Salim Succar, ein haitianischer Anwalt, der Sonderberater bei den Verhandlungen zwischen der haitianischen Regierung und den Schweizern war.

Aber nach dem Zusammenbrechen des Regimes kamen Bemühungen, Duvalier eines Verbrechens zu beschuldigen, nie in Gang, sagen haitianische Offizielle und Weltbank-Angehörige. «Jedes Mal, wenn das Justizministerium versuchte, Strafverfahren gegen Duvalier einzuleiten, schlug das fehl aufgrund von Instabilität, Veränderungen innerhalb der Regierung, der verbliebenen Macht des Duvalier-Regimes oder weil das Militär die Macht übernahm», sagt Claudy Gassant, Haitis Staatssekretär für Strafsachen, der den Fall Duvalier im Auftrag des aktuellen Präsidenten behandelt.

Bekämpfung der Korruption

Seit zwei Jahrzehnten verlängert die Schweizer Regierung das Einfrieren der Gelder, indem sie sich auf die generelle konstitutionelle Macht beruft, in nationalem Interesse zu handeln. Währenddessen hat Duvalier bei Schweizer Gerichten mehrmals Berufung eingelegt, um das Geld zurückzuerhalten.

2007 veränderte sich die politische Situation auf Haiti. Der neue Präsident René Préval erklärte die Bekämpfung der Korruption zu einem der wichtigsten Ziele der Regierung. Anfang 2007 rief Préval Louis Joinet an, einen prominenten französischen Richter, der die haitianische Regierung in Menschenrechtsfragen vor der UN beriet.

«Wie sieht es mit der Auslieferung von Duvalier aus», wollte der Präsident laut Joinets Erinnerung wissen. Joinet sagt, er befürchte, dass dies Duvaliers Unterstützer auf Haiti mobilisieren könnte, und schlug stattdessen vor, sich auf das Geld in der Schweiz zu konzentrieren. Der haitianische Präsident habe dem zugestimmt, so Joinet. Ein haitianischer Regierungssprecher wollte diesbezüglich keinen Kommentar abgeben. Im August 2007 schickte Préval ein Schreiben an den Schweizer Bundespräsidenten, in dem stand, dass es «die feste Absicht der haitianischen Regierung» sei, gegen Duvalier Strafantrag zu stellen, damit die Rückkehr der Geldmittel sichergestellt werden könnte. Als Antwort liess die Schweiz die Gelder für ein weiteres Jahr eingefrieren und bezahlte einen Anwalt in Genf dafür, mit der Weltbank und haitianischen Offiziellen eine Anklage auszuarbeiten.

Im folgenden Mai reichte Port-au-Prince erneut einen Antrag auf Herausgabe des Vermögens ein, der im Februar 2009 bewilligt wurde. Duvalier legte sofort beim Schweizer Bundesstrafgericht Berufung ein. Laut Succar, dem haitianischen Anwalt, der mit dem Präsidentenamt an dem Fall arbeitete, hatte die haitianische Regierung schon geplant, in welche Projekte das Geld gesteckt werden sollte, etwa neue Schulen und ein Wasserkraftwerk

Dann, am 12. Januar 2010, nur wenige Stunden vor Ausbruch des Erdbebens auf Haiti, entschied der höchste Gerichtshof der Schweiz, dass das Geld an Duvalier zurückgegeben werden müsse, da die mutmasslichen Straftaten verjährt seien. Sogar inmitten des Chaos des Erdbebens waren die Nachrichten aus der Schweiz ein herber Schlag. «Das ist eine grosse Enttäuschung», sagt Succar. «Wir haben sehr viel Zeit und Mühen in den Fall investiert und hatten erwartet, das Geld zurückzubekommen.»

Duvaliers Sieg folgte auf einen ähnlichen Gerichtsentscheid im vergangenen Sommer, bei dem es um Geld ging, das Mobutu, der frühere Führer von Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) gestohlen haben soll. Die Schweiz hatte 1997 auf eine Anfrage der kongolesischen Regierung hin, die die Macht nach dem Fall Mobutus übernahm, 8,4 Mio Francs (5,5 Mio Dollar) eingefroren.

Aber Mobutu starb kurz darauf, und Kinshasa habe nie ein Strafverfahren gegen seine Partner oder seine Familie eingeleitet, so Offizielle der Schweizer Regierung. Nachdem die Einfrierung wiederholt verlängert wurde und die Schweiz Kinshasa angeboten hatte, Schweizer Anwälte zu bezahlen, um einen Fall aufzubauen, musste die Schweiz schliesslich das Geld an die Erben von Mobutu zurückgeben. Ein kongolesischer Offizieller, der mit der Sachlage vertraut ist, sagt, dass es politisch schwierig geworden sei, ein Strafverfahren gegen Mobutu einzuleiten, da sein Sohn später der Regierung beitrat.

Nach der Entscheidung im Fall Duvalier fror die Schweizer Regierung das Geld erneut ein, um das neue Gesetz ausarbeiten zu können. Der Schweizer Ständerat segnete im Juni das Gesetz ab und der Nationalrat wird im September darüber abstimmen. Wenn das Gesetz auch den Nationalrat passiert, könnte Bern im Januar 2011 das Geld an Haiti zurückgeben.

In einem Statement via E-Mail schrieb Duvalier, falls das Gesetz passieren sollte, habe er vor, «jeden möglichen gerichtlichen Schritt zu unternehmen, inklusive eines Einspruchs beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte». Wenn die Gelder an ihn zurückgegeben werden, würde er sie an das amerikanische Rote Kreuz spenden zur Linderung der Erdbebenfolgen auf Haiti.