Die Italiener waren einst glühende Verfechter der europäischen Gemeinschaftswährung Euro. Doch inzwischen liebäugeln viele Italiener mit einer Rückkehr zur Lira. Sie geben dem Euro die Schuld am schlechten Wirtschaftsgang. Politische Parteien bringen sich vor den anstehenden Wahlen bereits mit einem möglichen Euro-Austritt in Stellung.
Als sich Italiens stellvertretender Notenbankchef Salvatore Rossi zuletzt in einer Radioshow den Hörern stellte, hatten viele Anrufer nur eine Frage: Warum wirft Italien nicht den Euro über Bord und kehrt zur Lira zurück? Noch vor wenigen Jahren war ein solcher Schritt, der nach den Worten Rossis unweigerlich in «Katastrophe und Desaster» münden würde, in der öffentlichen Diskussion nicht denkbar gewesen.
Schuld an Problemen
Doch inzwischen machen viele Italiener die Gemeinschaftswährung für die wirtschaftlichen Probleme des drittgrössten Euro-Landes verantwortlich.
«Vor dem Euro haben wir viel besser gelebt», sagt Luca Fioravanti. «Die Preise sind nun aber nach oben gegangen, unsere Löhne jedoch gleich geblieben. Wir müssen raus und zu unserer eigenen Währung zurückkehren.» Stimmen wie die des 32-jährigen Immobilien-Sachverständigen sind vielfach zu hören vor der im Juni möglichen, spätestens aber Anfang 2018 anstehenden Wahl im Land.
Für Sympathie kämpfen
Die Zentralbank ist angesichts der zunehmenden Stimmung gegen den Euro alarmiert. Rossis Radio-Auftritt ist Teil einer Offensive, mit der die Sympathien der Landsleute für die Währung zurückgewonnen werden sollen. Dabei wollen die Italiener nicht gleich die Europäische Union verlassen, wie es die Briten in ihrem Referendum im vergangenen Juni entschieden haben. Italien ist schliesslich EU-Gründungsmitglied.
Eine grosse Mehrheit der Bürger ist der Ansicht, dass die EU Frieden und Stabilität in Europa wahrt. Und die regierende Demokratische Partei (PD) ist sowohl für den Euro als auch für eine stärkere europäische Integration, auch wenn sie die Haushaltsregeln für die Euro-Länder für zu streng hält.
Allerdings: Die drei anderen grossen Parteien halten – in unterschiedlichen Abstufungen – die Euro-Mitgliedschaft in ihrer aktuellen Form für kein gutes Projekt. Sie wissen, dass viele inzwischen genauso denken.
«Verbrechen gegen die Menschheit»
In einer von der EU-Kommission veröffentlichten Umfrage hielten zuletzt nur noch 41 Prozent der Italiener den Euro für eine gute Idee, 47 Prozent dagegen für eine schlechte. 2002 – kurz nach Einführung der Euro-Banknoten und -Münzen – hatten noch 79 Prozent eine gute Meinung. Nur in Luxemburg war die Euphorie damals grösser.
Doch seither hat sich die Wirtschaft des südeuropäischen Landes schlecht entwickelt. Die Volkswirtschaft ist derzeit sieben Prozent kleiner als vor der Finanzkrise 2008. Die Jugendarbeitslosenquote ist mit 40 Prozent sehr hoch.
Diese Bilanz ruft Kritiker wie die rechte Lega Nord auf den Plan, die den Euro so kritisch sieht wie keine andere politische Kraft. Parteichef Matteo Salvini nannte ihn «eines der grössten wirtschaftlichen und sozialen Verbrechen, die je gegen die Menschheit begangen wurden». Er verspricht, Italien aus dem Euro zu führen. Allerdings kommt die Lega derzeit in Umfragen nur auf Zustimmungswerte von 13 Prozent.
Eine ganz neue Währung
Die Fünf-Sterne-Bewegung stellt die grössere Gefahr für die Mitgliedschaft im Euro-Klub dar. Sie kommt – genau wie die regierende PD – derzeit auf etwa 30 Prozent. Ihr Gründer Beppe Grillo verspricht, ein Referendum über den Euro-Verbleib abzuhalten.
«Ich würde derzeit für einen Euro-Abschied stimmen», sagt auch Luigi Di Maio, der vermutlich als Spitzenkandidat für die Fünf-Sterne-Bewegung ins Rennen gehen wird. «Wir sollten zu einer eigenen Währung zurückkehren oder – sollte es zu einer Vereinbarung mit anderen Ländern kommen – eine neue Währung mit neuen Regeln formen.»
Die Mitte-Rechts-Partei Forza Italia des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi strebt zwar keinen Euro-Abschied an. Allerdings dringt sie darauf, dass Deutschland die Währungsunion verlässt. Als Alternative wird die Einführung der Lira als Parallelwährung empfohlen, was Ökonomen aber für nicht machbar halten.
Konkurrenzfähiger oder insolvent?
Auch unter Ökonomen gibt es Befürworter eines «Italexits». Ihr Argument: Mit einer abgewerteten Währung kann Italien auf den Exportmärkten an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen. Ohne strenge Defizitvorgaben aus Brüssel könnte der Staat zudem mehr ausgeben, um die Konjunktur anzukurbeln und neue Jobs zu schaffen.
Die Gegner eines solchen Kurses führen an, dass Zinsen und Inflation drastisch nach oben gehen würden. Auch eine Kapitalflucht, eine Bankenkrise und die Zahlungsunfähigkeit des hoch verschuldeten Staates halten sie für möglich. Die Zentralbank warnt wiederum, dass die Euro-Guthaben der Italiener drastisch an Wert verlieren würden.
Allerdings hat die Notenbank des Landes ähnlich wie der Euro an Ansehen eingebüsst. Nach mehreren Bankenkrisen geniesst sie längst nicht mehr so viel Respekt wie einst. Ob der sich mit dem Auftritt in Radio-Talkshows zurückgewinnen lässt, ist fraglich.
(sda/jfr)