Wenn aus Handlungen des Managements Währungsverluste von 33 Milliarden Franken resultieren, dann mucken auch die brävsten Aktionäre auf. Auch wenn ihr Unternehmen eines der solidesten der ganzen Welt ist. Für Direktoriumspräsident Philipp Hildebrand und Bankratspräsident Hansueli Raggenbass wird die Generalversammlung der Schweizerischen Nationalbank dieses Jahr deshalb für einmal zum Spiessrutenlauf. Die rund 250 Aktionäre, die am 29. April ab 10 Uhr im Berner Casino sitzen werden, werden die beiden obersten Währungshüter mit Fragen zu den massiven Eurokäufen löchern.
Nur einer wird nicht im barocken Saal mitten in der Berner Altstadt Platz nehmen. Der deutsche Theo Siegert, der so viele Aktien besitzt wie kein anderer Privataktionär der Nationalbank – und mehr als etwa der Wirtschaftskanton Zürich. 5,55 Prozent der Nationalbank gehören ihm auf dem Papier. Er lässt sich an der Generalversammlung vertreten.
Gleich hinter dem Kanton Bern
Der deutsche Unternehmer, Multi-Verwaltungsrat und Professor will «seine privaten Investments» nicht kommentieren. Doch er sagt so viel: «Die hohen Devisenverluste der Schweizerischen Nationalbank beunruhigen mich nicht.» Er sei nach wie vor Aktionär.
Über Jahre wies die helvetische Zentralbank regelmässig hohe Gewinne aus. Die Zeiten sind vorerst vorüber. Die Nationalbank hat 2010 nach massiven Währungskäufen einen Milliardenverlust verbucht. Nun überprüft sie angesichts der geschmolzenen Reserven die Ausschüttung, an die sich der Bund und die Kantone so gewöhnt haben (siehe unten).
Die Aktionäre der Nationalbank haben die Währungsverluste in den Büchern nicht zu spüren bekommen. Seit Beginn des Jahres sind die Titel fast 8 Prozent gestiegen, deutlich mehr als der Gesamtmarkt. Der Grund liegt vor allem darin, dass gerade mal 100 000 Aktien im Umlauf und die meisten in festen Händen sind. 61,9 Prozent der Papiere halten die Kantone und Kantonalbanken. Die übrigen verteilen sich auf 2236 Privataktionäre.
Siegert ist mit Abstand der grösste unter ihnen. Ende 2010 hielt er 5550 Aktien. Beim aktuellen Kurs ist seine Beteiligung über 5 Millionen Franken wert. Mit seinem Anteil ist der 64-Jährige, der zu den Topverdienern unter den Verwaltungsräten deutscher Konzerne zählt, der zweitgrösste Aktionär der Nationalbank überhaupt. Nur der Kanton Bern hält mit 6630 Papieren noch einen grösseren Anteil. Sein Einfluss ist allerdings dennoch beschränkt. Denn die Privatinvestoren können höchstens 100 Aktien eintragen.Vor drei Jahren sorgte der deutsche Unternehmer in der Schweiz für einiges Aufsehen, als er einen Anteil von 4,3 Prozent an der Nationalbank erworben hatte. Den Kauf des Aktienpakets begründete er damals mit der Bonität und Professionalität der Schweizer Währungshüter. Ein Engagement eines einzelnen Investors in dieser Höhe bei einer Notenbank ist unüblich. Es sei ein reines Finanzinvestment, ist aus Siegerts Umfeld zu hören.Die Aktien der Schweizerischen Nationalbank bieten vor allem eins: Sicherheit. Sie gleichen wegen der festen Dividende eher einer Obligation ohne Fälligkeit. Wer in die Titel investiert, erwirbt quasi eine Anleihe, die jährlich etwa 1,5 Prozent abwirft. Wie die Ausschüttung an Bund und Kantone ist auch die Dividendenzahlung von 1,5 Millionen Franken nicht in Stein gemeisselt. Spekuliert wird, dass diese überprüft werden könnte. Doch die Nationalbank winkt gleich ab.
Die Beteiligung am Währungsinstitut ist nicht Siegerts einzige Investition in der Schweiz. Im Jahr 2007 stieg er mit seiner Frau Verena und den beiden erwachsenen Kindern Elise und Caspar bei Orell Füssli ein. Heute halten die Siegerts 8 Prozent. Der Kreis schliesst sich: Grösste Investorin der Buchhandels- und Sicherheitsdruckgruppe ist die Nationalbank.
Verbindungen zur Schweiz
Der Schweiz ist Siegert auch privat verbunden. Die Familie besitzt ein Ferienhaus in Flims Waldhaus, das auf Tochter Elise und Sohn Caspar eingetragen ist.
Siegert hat sein Leben der Wirtschaft verschrieben. Von Geschäftspartnern wird er als sehr kompetent beschrieben. So wurde er auch in diverse Verwaltungsräte berufen. Die Liste seiner Mandate liest sich wie ein Whos who der deutschen Wirtschaft. Er ist Mitglied des Aufsichtsgremiums der Deutschen Bank, des Pharmariesen Merck, des Energiekonzerns Eon, des Chemieriesen Henkel und im Beirat des Spezialbauunternehmens Hülskens.Siegert ist aber auch Manager. Der Sohn eines Düsseldorfer Kaufmanns führt nebenbei noch das Familienunternehmen De Haen-Carstanjen & Söhne in der sechsten Generation. Es konzentriert sich heute auf die Vermögensverwaltung für reiche Familien. Dem Handelsgeschäft ist Siegert aber immer noch verbunden. Seit fünf Jahren sitzt er im Verwaltungsrat des Zürcher Handelsriesen DKSH.
«Regulierung lieber selber machen»
Theo Siegerts 27-jähriger Sohn ist an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Lehrassistent und Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Volkswirtschaftlichen Fakultät tätig. An der gleichen Uni wie sein Vater. Papa lehrt dort seit 1997 als Honorarprofessor Finanzanalyse und Unternehmensführung. Zu dieser Materie hat er auch verschiedene Fachbücher verfasst. Das letzte Werk hat er zum Thema Fusionen und Übernahmen geschrieben, zusammen mit Peter Gomez, dem Verwaltungsratspräsidenten der SIX Group.Neben all diesen Aufgaben bleibt dem Verwaltungsratsprofi, Wirtschaftsprofessor und Familienunternehmer auch noch Zeit, sich in verschiedenen Vereinigungen zu engagieren. Siegert ist stellvertretender Vorsitzender und Schatzmeister des Düsseldorfer Industrie-Clubs, Vorsitzender des Stiftungsrats der Berliner Stiftung Marktwirtschaft und Präsident der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft, die grösste und älteste deutsche Vereinigung von Betriebswirten.
An einem Deutschen Betriebswirtschafter-Tag äusserte sich der bedeutende deutsche Wirtschaftsführer auch zum Thema Regulierung. Siegert warnte davor, dass alle Regeln auch unerwünschte Folgen haben können. «Soll Regulierung sein, so wollen wir sie lieber machen als erleiden», sagte er. Damit steht Siegert als Verwaltungsrat Josef Ackermann wohl näher als Nationalbank-Präsident Hildebrand. Der eine wehrt sich gegen, der andere weibelt für strengere Regeln für Grossbanken.
Nationalbank
Gefahr für Ausschüttung
Die Nationalbank musste im vergangenen Geschäftsjahr wegen der Währungsverluste einen Verlust von 21 Milliarden Franken hinnehmen. Die Ausschüttungsreserve ist dadurch geschmolzen. Die Nationalbank überprüft deshalb die Ausschüttungsvereinbarung, welche sie mit Bund und Kantonen getroffen hat.
Kritisierte Devisenkäufe
Die Devisenmarktinterventionen der Nationalbank wurden harsch kritisiert. Die Nationalbank verteidigt die Devisenkäufe damit, dass in der Schweiz eine Deflationsgefahr bestanden hat. Im letzten Jahr betrug der Wechselkursverlust knapp 33 Milliarden Franken.
Grösster Privatinvestor
Der deutsche Unternehmer Theo Siegert ist nach dem Kanton Bern der zweitgrösste Aktionär der Schweizerischen Nationalbank. Ende 2010 sind daneben 2235 weitere Privataktionäre eingetragen. Die Stimmkraft der privaten Anteilseigner ist allerdings auf 100 Aktien beschränkt. Mit einem Anteil von knapp 62 Prozent halten Kantone und Kantonalbanken die Mehrheit am Institut.
Ein Sonderfall
Die Beteiligung von Privataktionären hat zum Ziel, die Unabhängigkeit der Nationalbank zu sichern. Damit ist das Schweizer Währungsinstitut ein Sonderfall. Die allermeisten Notenbanken der Welt besitzen keine privaten Aktionäre. Neben der Schweiz machen hier etwa noch San Marino und Südafrika eine Ausnahme.