Vor ein paar Monaten schien das Ende des jahrelangen Börsenbooms gekommen. Im Dezember breitete sich so etwas wie Panik an den Aktienmärkten aus. Der Grund: Angst vor einer Rezession, global.
Doch es kam anders und inzwischen haben die Börsen sich vom Einbruch der Aktienkurse erholt – und wieder kräftig zugelegt. Der Himmel, so scheint es, ist die Grenze. Wirklich? Hier finden Anleger einige Antworten auf Fragen, die sie derzeit umtreiben.
Wo stehen die Märkte?
Der Swiss Market Index (SMI) legte seit Anfang des Jahres um 16 Prozent zu und erreichte am 30. April ein Allzeithoch von knapp unter 9800 Punkten. Allerdings war er Ende Dezember auf 8138 Punkte eingebrochen, als die Sorge um eine Eskalation des Handelsstreits zwischen den USA und China sowie erste Anzeichen einer konjunkturellen Abschwächung die Investoren verunsicherte.
In den USA war dieser Anstieg besonders markant: Der Index S&P 500 und die Tech-Börse Nasdaq legten seit dem Dezember-Einbruch um über 25 Prozent zu. Zur Rally an der Wall Street tragen insbesondere die boomenden Tech-Aktien bei. Sie dominieren derzeit den S&P 500: Alphabet legte seit Januar um 20 Prozent, Facebook sogar um 40 Prozent zu.
Was treibt die Kurse an?
Für die Euphorie an den Märkten sorgt vor allem der Kurswechsel der Notenbanken. Wegen der konjunkturellen Unsicherheiten sah die Federal Reserve (Fed) im Januar von weiteren Zinserhöhungen ab. Diesen Kurs hat sie gerade vergangene Woche erneut bestätigt und beliess den Leitzins bei 2,5 Prozent.
Die Investoren freut das, denn die Geldpolitik der Fed hat starken Einfluss auf die globalen Aktienmärkte. Ebenso verschob die Europäische Zentralbank die Zinserhöhung im Euro-Raum auf frühestens Anfang 2020. Mit entsprechender Verzögerung wird die SNB nachziehen.
Tiefe Zinsen mögen Sparer weiter ärgern, aber die Aktienmärkte beflügeln sie. Doch die Rally steht auf wackligen Füssen, wie sich vor ein paar Tagen zeigte: Ein Tweet von Präsident Donald Trump, in dem er neue Zölle für chinesische Importe ab Freitag androhte, versetzte den Weltbörsen einen leichten Dämpfer.
Das sagen Anlage-Gurus über die Börsen
«Sollten die Gewinnprognosen über den Sommer nicht wieder ansteigen, sehen wir kaum weiteres Aufwärtspotenzial für Aktien. Bei Aktien bleiben Schwellenländer, globale Finanzwerte sowie europäische Nebenwerte unsere Favoriten.»
Stefan Kreuzkamp, DWS
«Mit hohen Bewertungen und bevorstehenden Handelsgesprächen, Europaparlament-Wahlen sowie ungelöstem Brexit steigt die Gefahr negativer Überraschungen.»
Nick Jenni, Swisspartners
«Das Risiko einer Rezession ist noch nicht gebannt. Diese Unsicherheit dürfte vorsichtige Optimisten freuen. Wer jetzt noch an der Party teilhaben will, sollte auf ein halb volles Glas setzen.»
John Stopford, Investec
«Wir setzen auf globale Aktien, denn die Unternehmen wachsen und sind vernünftig bewertet. Angesichts derzeitiger politischer Risiken ziehen wir die USA, Japan und die Schwellenländer europäischen und britischen Aktien vor.»
Andrew Milligan, Aberdeen Standard Investments
Sind Aktien zu hoch bewertet?
Die Aktienkurse haben Höchststände erreicht, aber eine Überbewertung sieht Thomas Heller, Chief Investment Officer (CIO) der Schwyzer Kantonalbank (SZKB), derzeit nicht. Allerdings sind die Unternehmenszahlen von 2018 sehr gemischt ausgefallen.
Das erste Quartal 2019 lief zwar bei den meisten Firmen wieder besser, doch vor allem weil SMI-Schwergewichte wie Novartis, Roche, Credit Suisse und UBS über den Erwartungen lagen. Für Stefan Frischknecht, Aktienchef Schweiz von Schroders, ist die Bewertung eines Börsenindex ohnehin nicht der beste Indikator für die kurz- bis mittelfristige Entwicklung. Vielmehr sollten Anleger auf die Bewertung innerhalb der Indizes achten, und zwar auf die günstig bewerteten Value-Aktien mit niedrigem Preis-Gewinn-Verhältnis (KGV).
Im Swiss Performance Index (SPI) sind derzeit mehrere Aktien mit einem geschätzten KGV unter 10 zu haben: Leonteq (6,8), Schmolz+Bickenbach (7,5), Orascom (8,20), Mobilezone (9,1) und Credit Suisse (9,5). Allerdings kann bei zyklischen Titeln wie der CS ein tiefes KGV täuschen. Zudem sollte ein niedriges KGV alleine für den Aktienkauf nicht ausschlaggebend sein.
Droht ein Crash?
Ohne Trumps jüngste Drohung gegenüber China hätte der SMI die 10 000er-Marke im Mai geknackt. Dieser Meinung ist auch Aktienexperte Stefan Frischknecht. Allerdings wachse bei einem derart steilen Anstieg seit Januar ebenso die Gefahr einer Korrektur. Für «einen scharfen, kurzen Mini-Crash» dürften insbesondere die weiteren Entwicklungen im Welthandel sorgen, welche die Überschwänglichkeit der Anleger etwas bremsen könnte.
Dass sich die Aktienmärkte innerhalb weniger Monate nur nach oben entwickelt haben, hält SZKB-Stratege Heller zwar für erstaunlich. Doch die Gefahr eines Crashs sieht er derzeit weder in den USA noch in Europa oder der Schweiz.
Heute seien die Bewertungen deutlich tiefer als bei der letzten Marktkorrektur Anfang 2018. Zudem sei ein weiterer Kursanstieg unwahrscheinlich, weil verschiedene Stimmungsindikatoren wie der Volatiliätsindex derzeit überaus optimistisch sind.
«Wir sehen die gute Stimmung, die sich auch in der tiefen Volatilität ausdrückt, eher als Kontraindikator. Dafür, dass der Markt anfälliger geworden ist,» sagt Heller. Denn wenn alle optimistisch sind, haben alle schon gekauft. Dann bleiben wenige übrig, die noch investieren und damit die Kurse in die Höhe treiben können (siehe Grafiken).
So rechnet der Anlageexperte mit «einer allfälligen Korrektur mit Verlusten von höchstens 6 bis 7 Prozent», sofern die konjunkturellen und politischen Rahmenbedingungen sich nicht verändern.
Auf welche Aktien setzen?
Sollte der Handelskonflikt eskalieren, würde die Gefahr einer globalen Rezession steigen. Von dieser anhaltenden Unsicherheit profitieren defensivere Titel aus weniger vom Wirtschaftszyklus abhängigen Branchen wie der Nahrungsmittel- und Pharmaindustrie, darunter Novartis, Roche, Nestlé, Swisscom und Givaudan. Sie bieten Anlegern mehr Sicherheit und höhere Renditen.
Demnach würden defensivere Aktien bei einer möglichen Korrektur auch weniger verlieren. Grundsätzlich ist aber der Schweizer Markt defensiver als die US-Börse. «Die Märkte sind anfälliger für einen Rückschlag geworden. Entsprechend haben wir die Aktienquote reduziert, und zwar zulasten von US-Aktien, da dieser Markt am höchsten bewertet und am besten gelaufen ist», sagt Heller von der SZKB.
Defensive Schweizer Aktien sind seit Anfang des Jahres stärker gestiegen als die zyklischen Titel wie ABB oder UBS. Diese Entwicklung sei untypisch, erklärt Aktienexperte Stefan Frischknecht, denn bei einer Erholung gehen die zyklischen Titel normalerweise voraus.
Grundsätzlich sollten Anleger auf Unternehmen mit soliden Ergebnissen setzen und jene meiden, deren Bewertung sehr hoch ist, weil sie kurzfristig stark wachsen. Entscheidender sei das langfristige Wachstum über zehn Jahre. Dies bieten Unternehmen aus den Wachstumsbranchen wie Technologie und Medizinaltechnik und nichtzyklische Konsumgüter beispielsweise nicht.
Welche Rolle spielt der Handelsstreit?
Wie es im Handelskonflikt zwischen den USA und China weitergeht, ist insbesondere nach Donald Trumps Tweet vom Wochenende ziemlich unsicher. «Ich denke, viele Anleger haben in den vergangenen Monaten zu stark auf eine baldige Lösung des Handelskonflikts gesetzt und haben investiert», sagt Stefan Frischknecht von Schroders.
Er warnt allerdings davor, die Wirkung weiterer Zölle zu überschätzen, denn Unternehmen können sich anpassen und weichen rasch auf andere Beschaffungsmärkte aus. «Die Konflikte zwischen China und den USA werden in Bezug auf deren Auswirkung auf Unternehmen überbewertet. Es handelt sich vielmehr um ein politisches und konjunkturelles Problem. Die Auswirkung des Handelskonflikts auf die Aktienmärkte ist eher kurzfristiger Natur.»
Wie geht es weiter?
Wächst die Wirtschaft moderat weiter, dürfte sich die Börsenhausse weiter fortsetzen. In Kombination mit den sehr niedrigen Zinsen sorgt dies für ein günstiges Umfeld für Aktien. Es ist ein sogenanntes Goldlöckchen-Szenario, denn das mässige Wachstum macht es nicht notwendig, die Zinsen zu erhöhen, um eine Überhitzung von Wirtschaft und Inflation zu vermeiden.
So warnte Fed-Chef Jerome Powell erst vergangene Woche wieder davor, dass die Dynamik der US-Wirtschaft sich abschwächen könnte. Womit er auch sagte: Die Zinsen blieben weiter tief. Das wurde auch so verstanden, denn es hat die Aktienmärkte beflügelt, obwohl sie auf eine weitere Senkung der Zinsen gehofft hatten.
Trotz den zuletzt wieder etwas besseren Konjunkturaussichten – vor allem in China – steht das globale Wachstum auf tönernen Füssen. Denn die Wachstumsprognosen sind nicht gerade rosig. Der Internationale Währungsfonds geht nur noch von 3,3 Prozent globalem BIP-Wachstum in diesem Jahr aus – der geringste Zuwachs seit 2009. In der Schweiz und der Euro-Zone wächst die Wirtschaft voraussichtlich um bescheidene 1,1 und 1,3 Prozent.
Ein Zeichen für ein geringeres Wirtschaftswachstum ist auch die sich abschwächende Industrie. So sind die Einkaufsmanagerindizes (PMI) im weltweiten Durchschnitt zurückgegangen. In der Schweiz ist der PMI im April erstmals seit dem Frankenschock 2015 unter die Wachstumsmarke von 50 Punkten gefallen. Grund ist die schwächere Nachfrage aus Europa, welche der hiesigen Industrie zu schaffen macht.
Der weitere Verlauf der Aktienkurse hängt sehr stark von den Gewinnen der Unternehmen ab. Trüben sich die Konjunkturaussichten wieder ein, wirkt sich das auf die Unternehmen und ihre Gewinne aus.
Welche Titel sind robust?
Falls die Börsenrally abebbt oder eine Marktkorrektur erfolgt, sollten Anleger vorbereitet sein. Das geht mit eher defensiven Aktientiteln, die einem negativen Trend standhalten können.
Dies sind etwa Pharmatitel wie Roche und Novartis, aber auch Nestlé und Swisscom. «Sie verlieren in der Regel in der Baisse weniger, machen in einem steigenden Markt entsprechend aber auch nicht alles nach oben mit», sagt SZKB-CIO Heller.
Eine Umschichtung in defensive Aktien ist aber nur ein teilweiser Schutz. Experte Frischknecht rät davon ab, zu versuchen, den richtigen Zeitpunkt zu finden. Sinnvoller sei, eine konsequente Strategie zu verfolgen, je nach Risikostrategie des Anlegers.