Der Abwärtstrend bei den Zinsen hält unvermindert an. Die Renditen am Anleihenmarkt erreichen fast täglich neue Tiefstwerte. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Zentralbanken wollen im Gegenteil die Zinsen erneut lockern und die Geldschleusen noch weiter öffnen.
Die Renditen der zehnjährigen Schweizer Bundesobligationen liegen derzeit um mehr als 0,5 Prozent im Minus. Am vergangenen Freitag hat der von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) berechnete Kassazinssatz für diese Laufzeit mit -0,602 Prozent gar ein Rekordtief erreicht.
Wer mit Bundesanleihen etwas verdienen will, muss nun bereits nach Papieren mit einer Laufzeit von mehr als 30 Jahren greifen. Die Schweiz ist dabei nicht alleine: Drei von vier Staatsanleihen in Europa werfen mittlerweile negative Renditen ab.
Die Zinsentwicklung ist längst auch bei den Bankkunden und Kreditnehmern angekommen. Während «Kleinsparer» auf ihren Sparkonten schon länger praktisch keine Verzinsung mehr erwarten dürfen, rutschen die Hypothekarzinsen unaufhaltsam ab. Der Hypothekenvermittler Moneyland hat am Mittwoch bei seinem Referenzzinssatz für fünfjährige Festhypotheken einen neuen Tiefstand von 0,96 Prozent verzeichnet.
Nachwehen der Finanzkrise
Seit gut einem Jahrzehnt fahren die Zentralbanken rund um den Globus zur Bekämpfung der Folgen der Banken- und Finanzkrise von 2008 sowie zur Ankurbelung von Wirtschaft und Inflation eine äusserst lockere Geldpolitik.
Die Billiggeldpolitik hat bisher zwar zu Kursrekorden an den Börsen und zu schwindelerregenden Immobilienpreisen geführt, nicht aber zu mehr Inflation und nachhaltigem Wachstum in Europa, wie dies die Notenbanken eigentlich bewirken wollten.
In diesem Zusammenhang haben die SNB und die Europäische Zentralbank (EZB) 2015 die Leitzinsen in den negativen Bereich gedrückt. Derzeit verlangt die SNB 0,75 Prozent und die EZB 0,4 Prozent im Jahr. Das heisst, Banken zahlen ab einer bestimmten Höhe für Guthaben, die sie bei der Zentralbank parkieren, einen Strafzins und sie erhalten nicht wie vorher üblich dafür eine Zinsgutschrift.
Von der Notmassnahme zum Dauerzustand
Ein Schritt, der nur als Notmassnahme gedacht war, ist inzwischen zum Dauerzustand geworden. Und er dürfte noch Jahre anhalten. Denn die im Vorjahr von den Zentralbanken eingeleitete Straffung der Geldpolitik wurde zu Jahresanfang wieder abgesagt, weil sich die wirtschaftlichen Aussichten nicht zuletzt wegen des von den USA losgetretenen Handelsstreits verschlechtert haben.
Insbesondere die Nominierung von Christine Lagarde als neue EZB-Chefin hat an den Finanzmärkten einen weiteren Zinsrutsch ausgelöst. Denn die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) könnte für eine noch lockerere Geldpolitik sorgen, sind sich Marktbeobachter sicher. Einige Analysten glauben gar, dass es schon im Juli auf minus 0,5 Prozent gehen könnte. Auf der anderen Seite des Atlantiks pocht Präsident Donald Trump ja schon lange auf tiefere Zinsen.
In der Patsche dazwischen sitzt die Schweizerische Nationalbank (SNB), die sich mit ihren bereits rekordtiefen Negativzinsen gegen eine Aufwertung des Frankens stemmt. Ihr sind die Hände gebunden: Um eine Aufwertung zu verhindern, muss sie mit den grossen Zentralbanken mitziehen. Am Markt wird daher nicht mehr ausgeschlossen, dass die SNB bis Jahresende den Leitzins in Richtung von -1,0 Prozent senken könnte.
Lage für Pensionskassen und Banken ungemütlich
Die Banken geben diese Gebühr zunehmend an ihre grossen Kunden weiter. Diese müssen also in die eigene Tasche greifen und einen Strafzins berappen, wenn sie hohe Geldbeträge bei einer Bank auf einem Konto liegen lassen. Bisher blieben dagegen die Kleinsparer von der Weitergabe der Negativzinsen verschont. Wenn die SNB die Zinsen aber tiefer in den Negativbereich drücken sollte, dürften die Bankinstitute laut Branchenvertretern die Situation wohl noch einmal überdenken.
Zwar kann sich die Eidgenossenschaft für Jahrzehnte quasi zum Nulltarif refinanzieren oder mit der Aufnahme von Schulden gar noch jährlich Millionen einnehmen. Das rekordtiefe Zinsumfeld hat aber auch klar negative Folgen. So leiden etwa die Banken und Versicherungen immer stärker unter den Folgen der fehlenden Zinseinnahmen.
Nicht zuletzt leidet zudem die Altersvorsorge unter dem tiefen Zinsniveau. Es wird für die Vorsorgeinstitute immer schwieriger, mit sicheren Anlagen eine vernünftige Rendite ihren Geldern zu erwirtschaften. Diese müssen daher vermehrt auf riskantere Anlageklassen ausweichen. Die Vorsorgewerke seien in Gefahr, lautet daher ein viel gehörter Vorwurf an die SNB.
(awp/tdr)