Das Manöver war schon fast abgeschlossen, der Enterhaken fest verzahnt. Nur noch das Eingreifen des Kapitäns verhinderte, dass die gut 40-köpfige Mannschaft des Credit-Suisse-Ship-Finance-Teams an Bord des Rivalen UBS zog. Mit vollem Einsatz rangen 2011 die beiden Grossbanken um eine global aktive Crew, die im Bereich der Finanzierung von Hochseeschiffen tätig ist.
Das Gezerre der beiden Finanzinstitute um eine hierzulande kaum bekannte Domäne wirft Fragen auf. Zumal in dem Geschäft derzeit Flaute herrscht und es sich bei der Schiffsfinanzierung um eine Nische handelt.
Kapitalintensive Industrie
Dass dieses Segment in der Schweiz einen Exotenstatus hat, führt John Häfelfinger weniger auf die Grösse des Marktes zurück. Vielmehr liegt es an der Lage des Binnenstaates. «Bei der Hochseeschifffahrt handelt es sich um eine sehr kapitalintensive Industrie, in der viele namhafte globale Finanzinstitute aktiv sind», sagt der stellvertretende Leiter Schiffsfinanzierung bei der Credit Suisse. Im Jahr 2010 stemmten gemäss der neusten Erhebung von Marine Money International alleine die fünf grössten Anbieter HSH Nordbank, Deutsche Schiffsbank, die norwegischen Banken DNB und Nordea sowie die Royal Bank of Scotland (RBS) ein Schiffsportefeuille im Wert von 133,4 Milliarden Dollar.
«Credit Suisse scheint im Rahmen ihres Geschäftsmodells die Schiffsfinanzierung immer mit dem Wealth Management zu verbinden, was eine fehlende Meldung in der ‹Marine Money›-Publikation erklärt», sagt ein Shipping-Finance-Experte eines deutschen Anbieters. Die Schweizer Grossbank gehört laut eigenen Angaben zu den weltweit führenden Schiffsfinanzierern. Kaum am Markt präsent ist laut den Branchenexperten dagegen die UBS, welche ihre Aktivitäten im Investment Banking angesiedelt hat. Die Bank will sich dazu nicht äussern.
Während Schiffshypotheken in den 1980er- und 90er-Jahren noch vornehmlich von spezialisierten Banken vergeben wurden, haben sich im Zuge der fortschreitenden Globalisierung immer mehr Finanzinstitute für diese Disziplin zu interessieren begonnen. «Dank des Schiffes als Sicherheit, welches im Notfall zumindest als Stahlwert bestehen bleibt, und der ansprechenden Margen war der Bereich für die Banken besonders attraktiv», erklärt der Branchenexperte.
Einen regelrechten Boom erlebte die Schifffahrtsfinanzierung in den Jahren 2002 bis 2008. Mit China als Werkbank für die globale Wirtschaft und dem allgemeinen Aufschwung in den Schwellenländern überstieg der Bedarf an Schiffen das Angebot bei weitem. Das Reedereigeschäft florierte. «In der Blütezeit wurden deshalb Schiffe auf Halde bestellt, zum Teil gar bei Werften, die noch nicht fertig gebaut waren», erinnert sich Robert Straubhaar, Geschäftsführer von River Advice, einer auf Binnenschifffahrt fokussierten Dienstleistungsfirma aus Basel. Dabei wurden gemäss Straubhaar die neuen Frachter und Tanker durch die Banken mit bis zu 90 Prozent belehnt.
Der Boom in der Schifffahrtsindustrie heizte auch den Konkurrenzdruck unter den Finanzinstituten an. Zudem floss dank der Einführung der Schiffsbeteiligung für Privatanleger über Kommanditgesellschaften insbesondere über deutsche Finanzinstitute viel Liquidität in die Schifffahrt. Einen anderen Weg wählten die griechischen Reeder, die über eine Publikumsöffnung in den Vereinigten Staaten neues Kapital für den Kauf von Schiffen aufnehmen konnten. Seit dem ersten Börsengang von Stelmar Shipping im Jahr 2001 ist die Zahl der Reedereien aus dem Hellas-Staat inzwischen auf 25 angestiegen.
Depression nach Boomzeit
Auf die Euphorie der Boomzeit folgte mit der Finanzkrise die Depression. Von der schlimmsten Krise in der Schifffahrtindustrie seit dem Zweiten Weltkrieg ist gar die Rede. So zeigen die Frachtraten, mit welchen die Preise für den Transport von Gütern gemessen werden, seit mehreren Monaten kontinuierlich gegen Süden. Derzeit notiert der Baltic Dry Index, ein Preisindex für das weltweite Verschiffen von Hauptfrachtgütern, mit 807 Punkten auf einem Niveau wie letztmals im Januar 2009. «Bei manchen Reedereien oder Schiffsprojekten reicht der Cashflow heute nicht einmal mehr aus, um die fälligen Fremdkapitalzinsen an die Banken zu zahlen», stellt Henrich Brandt von Fackh fest. Laut dem ehemaligen Direktor der Deutschen Shipping, seit 2011 auch unabhängiger Berater, dürfte 2012 für die Schifffahrt daher ein sehr bitteres Jahr werden – und damit auch für die im sogenannten Shipping-Bereich tätigen Finanzinstitute.
Tatsächlich sind diese derzeit hauptsächlich mit der Restrukturierung ihrer bestehenden Finanzierungen beschäftigt. «Viele der grossen schiffsfinanzierenden Institute wie HSH oder Commerzbank, die über die Fusion mit der Dresdner Bank riesige Kredite bei den Reedereien ausstehend hat, können und wollen nur noch selektiv neue Engagements eingehen», weiss Brandt von Fackh. Mit ein Grund für die aufgezwungene Zurückhaltung sind die verschärften Eigenkapitalvorschriften von Basel III, die eine erhöhte Unterlegung der Kredite mit Eigenkapital verlangen.
Erst Mitte Januar hat zudem die französische Société Générale bekannt gegeben, dass sie ihr Schiffsportfolio von knapp 4 Milliarden Dollar drastisch reduzieren will. «Ausschlaggebend dürfte sein, dass insbesondere die französischen Finanzinstitute Mühe bekunden, sich in der für die Schiffsfinanzierung üblichen Währung Dollar günstig zu refinanzieren», erklärt der Ex-Deutsche-Bank-Mann. Mit ihrem Ansinnen befindet sich Société Générale in guter Gesellschaft mit weiteren europäischen Banken, die sich ebenfalls aus dem Geschäft verabschieden wollen. Einschneidende Korrekturen in den Portfolios von RBS, Santander und der Bank of Ireland stehen an. «Für die Institute dürfte es nicht einfach werden, die Portfolios zu einem angemessenen Preis wieder zu veräussern», so Brandt von Fackh. Schliesslich seien die Risiken im Vergleich zu den Sicherheiten zu hoch.
Fehlende Konkurrenz im Neugeschäft
Ob eine Bank durch die Krise in der Schifffahrtsindustrie in Mitleidenschaft gezogen wird, hängt am Ende aber von der Qualität des Portfolios ab. «Der Markt ist seit der Hausse um mehr als 30 Prozent eingebrochen», weiss Credit-Suisse-Mann Häfelfinger. Banken, die in der Boomphase eine Finanzierung in der damals üblichen Höhe von 80 Prozent vorgenommen hätten, würden sich nun in einer Unterdeckung befinden. Seinen eigenen Arbeitgeber sieht er in der heutigen Situation in einer komfortablen Position, da er in der Vergangenheit mit 50 bis 60 Prozent jeweils sehr konservativ finanziert habe. «Das zahlt sich heute im Neugeschäft aus», so Häfelfinger. In Asien finanzieren die Banken nur beschränkt und primär für lokale Reeder. In Europa ist eine Art Vakuum entstanden.
Diese Konstellation hat dazu geführt, dass sich die Margen für die Credit Suisse laut eigenen Angaben innerhalb der letzten zwei Jahre verdoppelt haben. Das Geschäft sei lukrativ. Kein Wunder, versuchte die UBS der Rivalin das Ship-Finance-Team abzuluchsen.
Schiffsnation Schweiz: Auf den Weltmeeren unterwegs
Fokus Genf und Zug
Die Schweiz und insbesondere Genf und Zug zählen laut den Branchenexperten zu den weltweit wichtigsten Plätzen in der Schifffahrtindustrie. Aus steuerlichen Gründe sowie wegen der Nähe zu Rohstoffunternehmen wie Glencore und Trafigura und zur Finanzindustrie haben sich dort zahlreiche Reedereien und Schiffsmakler niedergelassen. Die Rohstofffirmen selbst verfügen über eine eigene Schiffsflotte. Dadurch sichern sie sich ihren strategischen Schiffsraum und die Flexibilität.
MSC
In Genf hat die hinter Maersk zweitgrösste Container-Reederei Mediterranean Shipping Company MSC ihren Sitz. Das Unternehmen wurde 1970 von Gianluigi Aponte gegründet und beschäftigt rund 30000 Mitarbeiter. Seit 1995 ist das Unternehmen auch in der Linienschifffahrt tätig. Zuletzt ist die Reederei in die Schlagzeilen geraten, weil sie im April 2011 die havarierte MSC Chitra samt gefährlicher Fracht auf offenem Meer versenkt hat. Laut MSC habe es keine andere praktikable Möglichkeit gegeben, als das Schiff zu versenken, da die indischen Behörden den Abtransport der MSC Chitra verlangten. Man habe daher eine Umweltverträglichkeitsprüfung veranlasst und das Schiff schliesslich mit einer offiziellen Bewilligung aus Panama versenkt. Panama hat die UNO aber nicht informiert.
Schweizer Flotte
Derzeit sind 40 Schiffe mit einer Tragfähigkeit von über einer Million Tonnen unter der Flagge des Binnenlands Schweiz auf den Weltmeeren unterwegs. Sie gehören sechs Reedereien. Der Bund kann diese schweizerischen Handelsschiffe in Notzeiten in seinen eigenen Dienst stellen, um damit die wirtschaftliche Landesversorgung zu garantieren.
Rheinschifffahrt
Mit einem Gesamtumschlag von 5,68 Millionen Tonnen verzeichneten die Schweizerischen Rheinhäfen im vergangenen Jahr einen Rückgang um knapp 13 Prozent gegenüber 2010. Dabei haben sich die fast einmonatige Rheinsperre nach der Havarie vor der Loreley sowie zwei Niederwasser- Perioden negativ auf das Ergebnis ausgewirkt. Darüber hinaus führten industrielle Entscheidungen in der Schweiz wie die Schliessung einer Papierfabrik oder die Verlagerung der Produktion von alkoholfreiem Bier nach Strassburg zu einem Rückgang der Umschlagsmengen. Nach wie vor gehört der Rhein zu den am stärksten befahrenen Wasserstrassen der Welt.