Von Delaware bis Singapur: Die Finanzplätze dieser Welt buhlen seit Jahren um die Gunst der wohlhabenden Kundschaft. Aus diesem Wettstreit ging die Schweiz bislang als Siegerin hervor - auch dank der Trumpfkarte Bankgeheimnis.
Damit ist jetzt aber Schluss, denn durch die Lockerungen des Bankgeheimnisses gegenüber dem Ausland und dem Einsetzen der Weissgeldstrategie zogen im vergangenen Jahr, besonders aber von Oktober bis Dezember 2011, amerikanische und europäische Kunden ihre Vermögen vom Finanzplatz Schweiz ab und parkten diese daraufhin bei regionalen Banken in der Steueroase Singapur. Diesen Sachverhalt bestätigt nebst einer namentlich nicht genannt werden wollenden Quelle aus der Finanzbranche der Wirtschaftsanwalt Bernhard Weber.
Grossbank kämpft gegen Abwanderungsgelüste
Wie schwer die Abflüsse von Kundengeldern insgesamt ausfielen, war zwar nicht in Erfahrung zu bringen. Die Schweizer Banken hüllen sich bei diesem Thema in einen Mantel des Schweigens. Allerdings betonen die Gesprächspartner gegenüber «Handelszeitung Online», dass es sich nicht um Einzelfälle handle, sondern vielmehr ein Trend seinen Anfang genommen habe. «2011 hatten wir vermehrt Anfragen von Kunden, die ihre Gelder nach Singapur transferieren wollten», sagt Wirtschaftsanwalt Weber stellvertretend dazu.
Zudem führt der Brancheninsider mit engen Kontakten zu Finanzhäusern in Singapur und der Schweiz aus, dass mehrere Schweizer Finanzinstitute gegen die Abwanderungsgelüste ihrer Klienten ankämpfen - und nennt namentlich Kunden der Grossbank Credit Suisse, die ihre Geschäftsbeziehungen zur Schweiz abgebrochen hätten oder noch kappen möchten.
Singapur: Je reicher, desto weniger Fragen!
Die Credit Suisse selbst wollte keine Stellung nehmen. Auf den Vorwurf, es handle sich dabei auch um nicht versteuerte Guthaben, liess die Bank lediglich verlauten: Kunden mit Steuerproblemen würden an externe Steuerberater verwiesen. Ausserdem versichert die Bank, keine Kundengelder aufgrund steuerlicher Interessen von einem Finanzplatz zum Nächsten zu verlagern - noch würden Bankberater ihren Klienten empfehlen, dies zu tun. «Transferierung von Vermögen nach Singapur ist grundsätzlich nur im Rahmen von globalen Diversifizierungsstrategien möglich - nicht zur Steueroptimierung.»
Dessen ungeachtet stellt sich die Frage, wie konsequent die regionalen Bankinstitute in Singapur Neugelder überprüfen. «Banken in Singapur weichen nicht von den internationalen Verfahren und Geschäftsusanzen ab und somit werden die Gelder gemäss Standard Due Diligence Verfahren entgegengenommen,» sagt Jurist Weber, der seit einem Jahrzehnt in Singapur lebt und dort Klienten in Wirtschaftsfragen berät.
Singapur will Neugelder aus Europa und den USA anlocken
Diese Aussage wird vom Finanzinsider gestützt. «Auch wenn die Geldwäschereivorschriften laxer als in der Schweiz sind, achten die Singapur-Banken, dass Neugelder versteuert wurden.» Die internationalen Vorgaben der Financial Task Force (FATF) würden weitgehend umgesetzt.
Das hindere den Finanzplatz Singapur nicht, das Motto «je reicher der Kunde, desto weniger Fragen werden gestellt» weiter zu kultivieren. Der Grund: Während die Schweiz 5000 Milliarden Franken an Kundenvermögen verwaltet, lagern in Singapur nur deren 1000 Milliarden. Singapur hat also ein Interesse daran, zusätzliche Vermögen aus den USA und Europa anzulocken - und die wirtschaftlichen Argumente würden laut Anwalt Weber für Singapur sprechen. «Wenn ein Anleger heute eine überdurchschnittliche Rendite sucht, wird er diese in Europa und den USA nicht mehr finden.» Asien sei die Lokomotive der Weltwirtschaft von morgen und «deshalb bringen diese Anleger ihr Geld physisch näher an die boomenden Märkte heran».
Private Banker von UBS und CS wandern nach Singapur ab
Ein weiterer Aspekt für die Verlagerung sei, dass Bundesrat, Parlament und die Schweizer Banken mit den Lockerungen des Bankgeheimnisses dem Ausland gegenüber laut Weber selbst Schweizer Staatsbürger verschreckt hätten. Deshalb hätten sie aus Angst vor dem «gläsernen Bürger» ihre Vermögen nach Singapur verschoben.
Darüber hinaus hätten den beiden Branchenkennern zufolge in jüngster Vergangenheit einige Private Banker von UBS und Credit Suisse ihre Stelle bei Niederlassungen in Singapur und sogar aus der Schweiz gekündigt und sich daraufhin als externe Vermögensverwalter im Stadtstaat niedergelassen. Die beiden Grossbanken wollten das nicht kommentieren.
Singapur muss Angriffe aus USA und China (noch) nicht fürchten
Damit zeigt die Tendenz: Der Finanzplatz Singapur will weiter wachsen und fürchtet Angriffe von ausländischen Steuerbehörden nicht - im Gegenteil: «Die Vereinigten Staaten pflegen freundschaftliche Beziehungen mit Singapur», sagt der Gesprächspartner. Das habe zu einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis geführt. So liess der Stadtstaat in den vergangenen Monaten für die US-Navy einen Marinestützpunkt in der Nähe des Flughafen Changi bauen und eröffnen. «Dieser Stützpunkt hat für die Obama-Administration enorme Bedeutung erlangt», sagt der Branchenkenner weiter.
Überdies müsse sich Singapur laut Anwalt Weber nicht einmal vor dem totalitären Regime in Peking fürchten. «In China befinden sich die Steuermechanismen wie in den meisten asiatischen Ländern erst in den Anfängen. Das Land versucht immer noch, das nationale Steueraufkommen zu erfassen und verlässliche Steuer- und Meldesysteme zu implementieren». Solange diese nicht etabliert seien, mache es für den kommunistischen Staat keinen Sinn nach steuerbarem Einkommen im Ausland zu suchen.