Von Luxus oder Prunk ist nichts zu sehen. Wäre das Gebäude nicht von einer hohen Mauer mit Stacheldraht umgeben und müsste man nicht mehrere Sicherheitsschranken passieren, um in sein Inneres gelangen zu können, so wähnte man sich in einem gewöhnlichen Industriebetrieb. Lange Gänge, an den Wänden Stahlregale und bereitstehende Transportwagen prägen das Bild. In den Gestellen liegen auf Paletten Säcke mit braunem Goldpulver, Kisten mit Altgold oder graue Barren aus Rohgold, dem Doré, bereit für die Verarbeitung. Gekennzeichnet ist die Ware mit Zahlencodes. Namen der Auftraggeber findet man nirgends – im Goldgeschäft hat Diskretion oberste Priorität.
Kein Wunder, nimmt die Schweiz in der Goldverarbeitung eine führende Rolle ein. Vier der weltweit grössten Goldraffinerien sind hier domiziliert. Unter ihnen Argor-Heraeus im Industriegebiet von Mendrisio, unweit des Outlet-Zentrums Foxtown. Die Nähe zu Italien ist kein Zufall, war doch der Stiefelstaat, bevor er von China und Indien abgelöst wurde, lange der grösste Abnehmer von Edelmetallen für dessen Schmuck und Modeindustrie. Auf der Suche nach einem Standort mit guter Verkehrsinfrastruktur, einem hohen technologischen Know-how, politischer Stabilität und einem funktionierenden Finanzsystem fiel die Wahl der Raffinerien auf die Südschweiz.
Strenge Sicherheitsmassnahmen
Die Produktionsfähigkeit von Argor-Heraeus liegt bei 800 Tonnen Gold im Jahr. Angesichts eines Preises von rund 40 000 Franken für ein Kilogramm sind die strengen Sicherheits- und Kontrollmassnahmen gut nachvollziehbar. So wird eine Edelmetall-Lieferung beispielsweise erst in der Fabrikhalle entladen, nachdem das gesamte Fahrzeug eine Schleuse passiert hat. Ausgepackt wird die Ware in der Regel unter Aufsicht eines Vertreters des Auftraggebers, sagt Wilfried Hörner, Co-Chef und Produktionsverantwortlicher bei ArgorHeraeus.
Erst, wenn alle Angaben, wie das Gewicht, der Edelmetallgehalt und die Herkunft, im System erfasst sind, geht die Lieferung in die Verantwortung der Schmelze über. Das Wägen der Waren erfolgt automatisch. Zuvor wird von der Lieferung eine Probe gegossen, zuhanden des Auftraggebers, der Raffinerie sowie eines Schiedslabors. Letzteres entscheidet bei Unstimmigkeiten über den Gehalt des Rohmaterials. Bereits kleinste Abweichungen kosten im Goldgeschäft Tausende von Franken.
Reaktionsschlamm mit über 90 Prozent Goldanteil
Derzeit ist es ruhig in der Goldraffinerie, die Auslastung kann sich aber von Tag zu Tag verändern. Neben saisonalen Schwankungen sind es vor allem die Ausschläge beim Goldpreis, die das Geschäft der Schmel zen beleben. Nach wie vor flüchten insbesondere Privatanleger ins Gold, wenn die Unsicherheiten an den Finanzmärkten zunehmen, sagt Christoph Wild, Co-Chef und kaufmännischer Verantwortlicher bei Argor-Heraeus. Dann sind die kleineren Barren von 1 bis 100 Gramm gesucht. Professionelle Investoren hingegen kaufen die 1-Kilogramm-Standardbarren. Derzeit werfen sie vor allem wegen der Negativzinsen einen genaueren Blick auf das gelbe Metall. Auf diese Anlage zahlen sie keine Strafzinsen, sagt Wild.
Hat sich der Goldpreis auf einem gewissen Niveau eingependelt, würden professionelle Investoren vermehrt aktiv werden - unabhängig von der Höhe des Goldpreises. Die Raffinerie selber beteiligt sich laut eigenen Aussagen nicht am Goldhandel, das Edelmetall zur Verarbeitung bleibt entweder im Besitz der Auftraggeber oder wird umgehend an die Finanz-, Schmuck- oder Uhrenindustrie weiterverkauft.
Mine hinterlässt Fingerabdruck
Bis zur Auslieferung lagert das verarbeitete Gold im Tresor in der Produktionshalle. Hier liegen Barren unterschiedlicher Grössen, säuberlich gestapelt, daneben Halbfabrikate, Platten und Drähte, alles aus Gold. Weiter Produkte aus Silber, Platin und Palladium, welche die Raffinerie, sozusagen als Nebenprodukt, ebenfalls gewinnt. Dies geschieht unter anderem in einem Reaktor, wo das Doré aus den Minen mit einem Gold anteil zwischen 1 und 90 Prozent in Salpetersäure eingelegt wird. In diesem Verarbeitungsprozess lassen sich unedle Metalle wie Kupfer oder Zink abtrennen. Zurück bleibt ein brauner Reaktionsschlamm. Was nach Abfall aussieht, hat einen Goldanteil von über 90 Prozent.
Woher das angelieferte Erz stammt, lässt sich bis dahin über die Zusammensetzung des abgebauten Materials genau bestimmen. Für einen optimalen Prozess in den Reaktoren wird Rohgold mit unterschiedlichem Goldanteil und von verschiedenen Lieferanten verarbeitet. Eine genaue Herkunftsangabe ist dann nicht mehr möglich. Einige Kunden verlangen daher ein separates Verfahren, zum Beispiel bei Fair-Trade-Gold. Der eigenständige Verarbeitungsprozess macht dieses Gold aber auch teurer, sagt Hörner.
Auch im herkömmlichen Prozess überwacht die Raffinerie die Wertschöpfungskette von der Mine bis zur Edelmetallgeschmelze sowie von dort bis zu den Kunden, um sicherzustellen, dass das Material aus einer sauberen Quelle kommt. Wir machen keine Geschäfte mit Unternehmen, die die Ausbeutung von Kindern, Arbeitern oder der Natur, Korruption, Geldwäscherei und die Finanzierung von illegalen Tätigkeiten oder Steuerhinterziehung ermöglichen oder zulassen, sagt Wild.
Immer wieder negative Schlagzeilen
Gleichwohl sind die Schweizer Goldschmelzen in den vergangenen Jahren immer wieder in negative Schlagzeilen geraten. Erst im März 2015 stellte die Bundesanwaltschaft eine über 18 Monate andauernde Untersuchung gegen Argor-Heraeus ein, die sie aufgrund einer Anzeige der Nichtregierungsorganisation Trial geführt hatte. Dabei ging es um Golderz aus einem bewaffneten Konflikt in Afrika, das möglicherweise 2004 in Mendrisio geschmolzen worden ist.
Schon damals hat uns das Seco und die Uno bestätigt, dass wir nicht falsch gehandelt haben, sagt Hörner. Die Untersuchung zehn Jahre später durch die Bundesanwaltschaft habe nichts hervorge bracht. Er gibt aber zu bedenken, dass angesichts der grossen Zahl der Akteure und der hohen Geldflüsse im Goldgeschäft zahlreiche Risiken vorhanden seien.
Das Edelmetallgeschäft ist ein Geschäft, in dem sehr viele korrekt agierende Partner beteiligt sind, welches aber auch zwielichtige Leute anzieht, so der Produktionschef. Argor-Heraeus müsse ein verlässliches Risikomanagement betreiben, um unsaubere Partner zu eliminieren. Wir lehnen regelmässig Geschäfte ab. Unsere Macht reicht aber nicht so weit, dass wir die Gesetze in den Förderländern beeinflussen könnten, sagt Hörner. Da wie Argor-Heraeus weltweit 73 Raffinerien den Qualitätsanforderungen des London Bullion Market (LBMA) genügen, habe eine Mine die Qual der Wahl, wem sie ihr Erz zur Verarbeitung überlasse.
Reines Gold dank Elektrolyse
In der Giesserei schlägt einem die Hitze mit voller Wucht entgegen. Bis 1200 Grad Celsius heiss ist es in den kleinen Öfen, wo der Goldschlamm zu Anodenplatten gehervorgeschmolzen wird. Damit es den gewünschten Reinheitsgrad von bis zu 99,99 Prozent respektive 24 Karat erreicht, werden die übrig gebliebenen Fremdpartikel mit Hilfe der Elektrolyse vom Gold getrennt. Dazu liegen die Platten 24 Stunden in einem Elektrolyten und sind an Strom angeschlossen. Das nun reine Gold wird nochmals geschmolzen und in Form gegossen - sei dies in Barren oder Stränge und Drähte für die Weiterverarbeitung als Halbfabrikate, beispielsweise in der Uhren- und Schmuckindustrie.
Bevor das Gold die Raffinerie als Barren verlässt, erfolgt die Endkontrolle, bei der das genaue Gewicht überprüft wird. Ein Goldbarren darf in der Schweiz per Gesetz nicht weniger als der angegebene Wert wiegen, Abweichungen gegen oben sind erlaubt, dabei kommt das Schmelzen aber teuer zu stehen. Präzisionswaagen ermitteln vollautomatisch die untergewichtigen Barren und ergänzen diese mit dem fehlenden Edelmetall. Beides zusammen wird anschliessend nochmals eingeschmolzen und zum fertigen Barren gegossen. Schliesslich erhält er die finale Prägung inklusive einer Seriennummer. Damit wird die Rückverfolgbarkeit für die Abnehmer wieder hergestellt.
Sorgfaltsprüfung bei Schweizer Goldfirmen
Dies ist ein zentrales Element der Konzernverantwortlichkeitsinitiative, die Mitte April zustande gekommen ist. Sie verlangt, dass Schweizer Konzerne für ihre Geschäftsbeziehungen eine Sorgfaltsprüfung bezüglich Menschenrechte und Umweltschutz einführen. Nach wie vor findet auch ein Trialog zwischen EU-Kommission, Europäischem Parlament und EU-Staaten statt über den Handel mit Konfliktmineralien. Statt einer freiwilligen Selbstzertifizierung verlangen Entwicklungsorganisationen und Teile der Wirtschaft verpflichtende Sorgfaltsvorschriften für alle Firmen. Wir gehen mit den Zielen der Konzernverantwortlichkeitsinitiative vollständig überein, sagt Wild. Was verlangt werde, habe Argor-Heraeus bereits umgesetzt.
Das Unternehmen will aber vermeiden, dass durch die Initiative oder durch die EU zusätzliche Audits nötig werden. Schon heute durchleuchten externe Prüfer regelmässig unsere Geschäftsaktivitäten und überwachen, ob alle Richtlinien eingehalten werden, sagt er.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Neben nationalem Recht wie dem Geldwäschereigesetz oder den internationalen Richtlinien der OECD sind es vor allem die Vorgaben der Branchenverbände, die an die Schmelzen bezüglich Compliance hohe Anforderungen stellen. Wer das Pflichtenheft für Raffineure nicht erfüllt, das der Res ponsible Jewellery Council oder die LBMA vorschreibt, kann im Goldmarkt keine Geschäfte machen, sagt Wild. Am Ende des Rundgangs wird einem noch einmal bewusst, welch begehrtes und teures Gut in den Hallen verarbeitet wird.
Erst gilt es, die Schuhe gründlich abzustreifen, damit keine Goldrückstände vom Boden nach aussen gelangen. Dann folgt die Kontrolle mit dem Metalldetektor. Dieser Prozedur müssen sich die gut 180 Produktionsmitarbeiter täglich unterziehen, um ins Freie gelangen zu können - und selbst Produktionschef Hörner bleibt nicht verschont. Im Goldgeschäft steht Kontrolle über Vertrauen.