Die Crème de la crème der internationalen Vermögensverwalter versammelte sich vor wenigen Wochen im luxuriösen Shangri-La Hotel im Zentrum Singapurs. Am Wealth Summit kürten sie die besten ihres Fachs. Mit dabei waren einige Schweizer Banker, so auch Thomas Meier. «Während Europa unter den Schuldenlasten ächzt, herrscht in Singapur weiter Aufbruchstimmung», schwärmt der Chef Asien und Naher Osten von Julius Bär. Täglich würden neue Projekte und Ideen präsentiert. «Es wird geplant und umgesetzt.»
Die Finanzindustrie im ostasiatischen Stadtstaat floriert. Hinter dem Boom steht der Ruf Singapurs als sicherer Hafen für schwerreiche Kundschaft aus aller Welt. Allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres sind die Depotbestände von Ausländern knapp 9 Prozent um umgerechnet 31 Milliarden Franken gestiegen.
Über 60 Milliarden sind abgeflossen
Anders sieht die Bilanz des Schweizer Finanzplatzes aus. Von Januar bis August sind die verwalteten Vermögen von ausländischen Privatkunden um 9 Prozent oder 62 Milliarden Franken auf 619 Milliarden geschrumpft, wie die Zahlen der Schweizerischen Nationalbank zeigen. Im Unterschied zur Finanzkrise kann der Vermögensrückgang in diesem Jahr nicht auf die schwachen Finanzmärkte zurückgeführt werden, allerdings sind Währungsverluste zu berücksichtigen.
Der Druck aus den USA und Europa auf das Schweizer Bankgeheimnis hinterlässt aber zweifelsohne Spuren. So hat etwa die UBS an ihrem Investorentag mitgeteilt, dass potenziell zwischen 15 und 40 Milliarden Franken Kundengelder von den Veränderungen der Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und europäischen Ländern tangiert sein könnten.
Die ausländischen Kunden der Schweizer Geldhäuser legalisieren ihre unversteuerten Vermögen und bringen sie in ihr Heimatland zurück, verwenden das Geld für den privaten Konsum - oder aber suchen auf einem anderen Offshore-Platz auf der Welt ein neues Versteck. «Die unversteuerten Vermögen fliessen in erster Linie nach Asien», sagt Teodoro Cocca, Professor für Asset Management an der Johannes Kepler Universität in Linz. Die beliebtesten Destinationen sind Hongkong und Singapur.
Laut einigen Brancheninsidern seien die Abflüsse in diese Finanzplätze in den letzten Monaten jedoch ziemlich konstant geblieben. «Auch mit den Diskussionen um die Abgeltungssteuer hat sich die Abwanderung von Kundenvermögen nicht verstärkt», sagt Eduardo Leemann, Chef der Falcon Private Bank.
Abgeltungssteuer nicht gefährden
John Christensen vom Tax Justice Network sieht dagegen grössere Kundenbewegungen: «Singapur konnte Kundengelder aus Europa gewinnen, weil die europäischen Banken auf den zunehmenden politischen Druck reagiert haben.» Die internationalen Banken hätten den Kunden geholfen, ihre Schwarzgelder nach Osten zu verlagern. Der Kunde bleibt bei der gleichen Schweizer Bank, nur seine unversteuerten Vermögen lagern neu in Singapur. Eine verlässliche Statistik über die Verschiebungen der Vermögen existiert indessen nicht.
Hiesige Bankvertreter verweisen auf ihre strengen internen Vorschriften. Und die Schweizer Politiker sowie die Bankiervereinigung setzen alles daran, dass gar nicht erst ein Verdacht aufkommt, dass die helvetischen Banken ihren Kunden helfen, die Abgeltungssteuer zu umgehen. Es gilt, gegenüber Deutschland und Grossbritannien Goodwill zu schaffen und die Abkommen nicht zu gefährden.
Um zum Erfolg der Abgeltungssteuer beizutragen, haben die Schweizer Banken, die im Verwaltungsrat der Bankiervereinigung vertreten sind, ein Gentlemens Agreement geschlossen. «Wir erwarten von den Schweizer Banken, dass sie ihre Kunden nicht bei einer Umgehung der Abgeltungssteuer unterstützen», sagt Thomas Sutter, Sprecher der Bankiervereinigung. «Die Banken dürfen unversteuerte Vermögen nicht innerhalb des Konzerns in ein anderes Land verschieben.»
Ein Spiel auf Zeit
Wie aus dem Umfeld des Verbandes zu hören ist, sollen daraus noch schriftliche Empfehlungen an die Mitglieder des Branchenverbandes abgeleitet werden.
Das Bankgeheimnis in Singapur ist weniger unter Druck als in der Schweiz. «Doch Schwarzgeld auf einen anderen Finanzplatz zu transferieren, ist mit Risiken behaftet», sagt Cocca. Das Geld hinterlässt elektronische Spuren. Zudem ist Steuerflucht in Singapur ebenfalls nur ein Spiel auf Zeit. «Irgendwann wird auch der Stadtstaat unter Druck kommen.» Hinzu kommt, dass es für einen europäischen Kunden unpraktisch ist, sein Geld in einem entfernten Finanzplatz angelegt zu haben. Für das Wachstum der Finanzplätze stehe nicht das Vermögen im Vordergrund, das von einem Finanzplatz zum anderen fliesse. «Entscheidend ist, wie stark die lokal verwalteten Vermögen wachsen.»
Hier haben die asiatischen Finanzzentren die Nase vorn. Die Vermögen der sehr reichen Kundschaft wachsen in Asien so schnell wie sonst nirgendwo. Ende 2009 gab es laut dem «World Wealth Report 2010» von Merrill Lynch und Cap Gemini in Asien erstmals mehr Superreiche als in Europa. «Weltweit erlebt Asien mit Abstand den grössten Zuwachs an neuen Vermögen und dies ist ein anhaltender Trend. Singapur ist ideal positioniert, um davon zu profitieren», sagt Meier von Julius Bär.
Der südostasiatische Inselstaat hat grosse Ambitionen. Singapur will der Schweiz als weltweit grösstem Finanzplatz mit verwalteten Vermögen von rund 5600 Milliarden Franken den Spitzenplatz streitig machen. «Es ist realistisch, dass Singapur zu einem der weltweit führenden Private-Banking-Finanzplätze aufsteigt», sagt Leemann von Falcon Private Bank. Laut Meier von Julius Bär hat der asiatische Finanzplatz in den letzten Jahren vieles richtig gemacht. «Singapur hat eine hervorragende Infrastruktur und ein stabiles regulatorisches Umfeld geschaffen, das sich an der Schweiz orientiert.» Kein Wunder, haben viele Schweizer Privatbanken dort schon eine Filiale eröffnet.
Zürich hinter Singapur
Dass die Finanzplatzstrategie des Stadtstaates bisher aufgeht, zeigt auch ein aktuelles Ranking der Finanzplätze, das von der City of London Corporation und der Z/Yen Group veröffentlicht wurde. Laut dem Global Financial Centres Index, der die Wettbewerbsfähigkeit der internationalen Finanzplätze misst, liegt Singapur auf dem 4. Platz. Dagegen kommt Zürich auf Rang 8 und Genf auf Rang 9.