Der Handelskonflikt zwischen China und den USA hält die Weltwirtschaft in Atem. Auf jede Entwicklung reagieren Investoren nervös — in die eine oder andere Richtung. Ein Tweet von Donald Trump genügt, um Dow Jones, SMI und Co. in den Keller zu schicken. Die Märkte entspannen sich aber auch schnell, sobald keine Konsequenzen folgen oder es sogar eine Annäherung gibt.

Noch etwas fällt auf: Während sich die Leitindizes in den USA bei positiven Nachrichten zum Konflikt schnell erholen, hinkt die Börse in China hinterher.

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Vorbehalte gegenüber China

Seit März 2018 schwelt der Konflikt zwischen den Grossmächten. Seitdem legte der US-Leitindex Dow Jones rund sieben Prozent zu. Sein chinesischer Pendant, der Shanghai Composite, verlor im selben Zeitraum mehr als zehn Prozent. Viele Anleger kaufen vermehrt Aktien aus ihrem eigenen Land, weil sie mehr Informationen zu diesen Unternehmen und ihre Geld vermeintlich besser unter Kontrolle haben. Allerdings zeigte der VW-Skandal beispielhaft, dass dies nicht immer der Fall ist.

Besonders mit Blick auf Beijing gibt es weitere Gründe für Zurückhaltung vieler Anleger. «Gerade gegenüber China gibt es unter Anlegern und Experten einige Vorbehalte», sagt Martin Weiß, stellvertretender Chefredakteur und China-Experte beim Anlegermagazin «Der Aktionär». «Werden beispielsweise Wirtschaftsdaten von Behörden veröffentlicht, schwingt immer die Sorge mit, ob die Zahlen nicht geschönt sein könnten.»

Der Konflikt mit den USA ist damit nur das I-Tüpfelchen auf einem Mix, der Anleger von Investitionen in China fernhält. «Der Handelsstreit ergibt zusammen mit fehlendem Vertrauen in China und der Unbekanntheit vieler Unternehmen eine Mischung, die Anleger abschreckt», sagt Weiß. «Dabei machen diese Unternehmen den allergrössten Teil ihres Geschäfts innerhalb Chinas und nicht mit den USA

Kurz: Der Handel mit den USA ist für zahlreiche chinesische Konzerne nicht entscheidend für die Geschäftszahlen.

Die Unbekanntheit vieler erfolgreicher Firmen aus China sei für hiesige Anleger eine verpasste Chance, so Weiß. Immerhin ergeben sich gerade wegen der erwähnten Gründe jetzt Möglichkeiten, chinesische Aktien günstig zu kaufen  — und im Falle eines Endes Handelskonfliktes Gewinne zu erzielen. «Kommt es zu einer Einigung im Handelsstreit — oder alleine schon zu einer Beruhigung — werden die chinesischen Aktien stark profitieren. Wegen der aktuell niedrigen Bewertungen ergeben sich somit Chancen für Anleger.»

Das wertvollste Startup der Welt

Zuletzt haben sich auch die Konzerne in China verändert. «Vor einigen Jahren haben chinesische Firmen funktionierende Geschäftsmodelle auch aus den USA für ihren Heimatmarkt übernommen und mit eigenen Unternehmen abgebildet», erklärt der Experte. «So gibt es beispielsweise mit Weibo eine Art chinesisches Twitter oder mit Tencent ein Unternehmen, das ein soziales Netzwerk wie Facebook anbietet.» Da ausländische soziale Netzwerke in China gesperrt werden, müssen die Menschen dort diese Angebote nutzen.

«Doch seit rund zwei Jahren stehen die chinesischen Unternehmen stärker für Innovation als einige Konkurrenten aus dem Westen — deutlich wird das an einer Entwicklung des Konzerns Bytedance, die auch hierzulande viele Fans hat: Tiktok.» Bytedance ist mit 75 Milliarden US-Dollar das wertvollste Startup der Welt.

Das Unternehmen aus China mit dem wohl höchsten Bekanntheitsgrad im Ausland dürfte Alibaba sein — die nach eigenen Angaben grösste Handelsplattform der Welt. Immer wieder vergleichen Investoren und Experten den Konzern mit Amazon. Fast 40 Milliarden US-Dollar Umsatz erzielte Alibaba im abgelaufenen Geschäftsjahr (per Ende März). Amazon kam im Jahr 2018 weltweit auf Erlöse in Höhe von 232 Milliarden Dollar.

Amazon versus Alibaba

Amazon ist also noch in einer anderen Grössenordnung, aber Alibaba bisher auch fast ausschliesslich in China aktiv. Doch der Konzern scheint hungrig auf eine Expansion nach Europa zu sein. An der Börse ist Alibaba für Martin Weiß die bessere Alternative.  «Beim Gewinn je Aktie ist Alibaba im Vergleich mit Amazon lediglich mit der Hälfte bewertet — und damit am Aktienmarkt vergleichsweise günstig.»

Neben Alibaba, Tencent und Weibo sollten Anleger auch Baidu und Momo kennen. «Baidu ist die grösste Internet-Suchmaschine Chinas. Zwar hat das Unternehmen im Kerngeschäft einige Probleme, allerdings ist es die Nummer eins in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Autonomes Fahren», so Martin Weiß zum Geschäftsmodell.

Momo versus Match Group

Momo ist ein Social-Media-Konzern in China, der im Februar des vergangenen Jahres mit Tantan das chinesische Pendant von Tinder kaufte. So verknüpft der Konzern Online-Dating mit Livevideos, was bei den Usern gut ankommt.

«Momo ist im Vergleich zur US-Konkurrenz Match Group günstig bewertet. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt bei acht, während die Match Group bereits auf einen Wert über 40 kommt», erklärt Martin Weiß. «Verbunden mit dem Gewinnwachstum von Momo scheint derzeit ein guter Einstiegszeitpunkt bei der Aktie zu sein.»

Die erwähnten Aktien leiden unter dem Handelskonflikt indirekt — weil er potenzielle Investoren abschreckt —, allerdings kaum direkt: Bei Alibaba kann man hierzulande nicht einkaufen, sondern nur über Ali Express, den Online-Marktplatz des Konzerns. Auch die Tantan-App nutzt ausserhalb Chinas wohl kaum jemand, genauso wenig wie Chinas grösste Suchmaschine oder Twitter-Klon Weibo. Daher würden solche chinesische Aktien besonders von einer Beilegung des Handelskonflikts oder zumindest einer längeren Ruhephase profitieren.
 

Vergleich Shanghai Composite S P 500

Big Difference: Vergleich des chinesischen Indikators Shanghai Composite Index (blau) mit dem US-Indikator S&P 500 (schwarz) im letzten Halbjahr. 

Quelle: China Securities Index Company

Wann und ob es zu einem Deal im Handelskonflikt kommt, ist die andere Frage. «Möglich ist, dass Donald Trump eine Einigung mit China kurz vor dem Wahlkampf im kommenden Jahr erzielen möchte, um direkt einen Erfolg vorweisen zu können. Für uns ist das realistischere Szenario allerdings ein Abkommen noch in diesem Jahr», meint Weiß.

Doch auch Anleger, die sich von der eigenen Auswahl von Aktien fernhalten wollen, haben in China jetzt eine Chance. Schliesslich gibt es auch andere Wege, um von einer Beilegung des Handelskonflikts zu profitieren. «Wer nicht auf Einzelwerte setzen möchte, kann sich per ETF auch einen chinesischen Leitindex ins Depot legen — schliesslich wird der gesamte Aktienmarkt in China von einem Deal mit den USA profitieren», sagt Martin Weiß.