Die Schweizer haben beim Einkauf schon seit geraumer Zeit allen Grund zur Freude. Ob im Möbelhaus, im Bekleidungsgeschäft oder im Supermarkt – die Preise sinken auf breiter Front. Weil das Rohöl sich im vergangenen Jahr stark verbilligte, ist auch Tanken günstiger geworden, wegen des erstarkten Frankens sanken die Spritpreise zuletzt noch zusätzlich um einige Rappen. In der Euro-Zone sinken die Preise für Konsumgüter und Treibstoff ebenfalls, bei Verbrauchern sitzt das Geld entsprechend locker, sie konsumieren mehr.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Im Normalzustand steigen die Preise in einer Volkswirtschaft regelmässig, es herrscht also Inflation. Die aktuelle Lage sieht nun ganz anders aus: In der Schweiz war die Inflationsrate bereits in den Jahren 2012 und 2013 negativ, im vergangenen Jahr lag sie bei null. Im laufenden Jahr sollen die Preise im Jahresdurchschnitt um mehr als 1 Prozent fallen. In der Europäischen Union (EU) weisen 16 von 28 Ländern negative Inflationsraten auf, unter anderem Griechenland, Spanien, Luxemburg und Belgien.

Anschaffungen verschieben

Was Verbraucher freut und kurzfristig wie ein Konjunkturprogramm wirkt, treibt Geldpolitikern den Schweiss auf die Stirn: Das Schreckgespenst der Deflation, also sinkender Preise, geistert seit geraumer Zeit umher. Es sorgt dafür, dass Notenbanken immer wieder neue Massnahmen ergreifen, um einem weiteren Sinken der Teuerungsraten entgegenzuwirken.

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) etwa führte im Jahr 2011 den mittlerweile wieder aufgehobenen Mindestkurs des Frankens zum Euro auch ein, um der sinkenden Inflation im Land entgegenzuwirken. Die Europäische Zentralbank (EZB) will ab März monatlich für 60 Milliarden Euro Staatsanleihen kaufen und so bis September 2016 insgesamt 1,14 Billionen Euro in den Markt pumpen, um einem weiteren Sinken der Preise entgegenzuwirken.

Zeichen von schwächelndem Wachstum

Denn eine Deflation sorgt zwar dafür, dass der Wert des Geldes zunimmt, Verbraucher sich also mit dem gleichen Gehalt mehr leisten können. Sinkende Preise sind aber auch ein Zeichen von schwächelndem Wachstum. Und sie können nach Einschätzung von Ökonomen im schlimmsten Fall eine Abwärtsspirale in Gang setzen: Wenn Verbraucher weiter fallende Preise erwarten, verschieben sie neue Anschaffungen. Vielleicht wird der gewünschte Fernseher ja noch billiger?

Unternehmen wiederum verschieben Investitionen und müssen ihre Preise bei sinkendem Preisniveau immer weiter senken, um überhaupt noch Produkte zu verkaufen. Deshalb müssen sie von weniger Profit ausgehen. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem sich die Produktion nicht mehr lohnt und die Volkswirtschaft stagniert. Eine ökonomische Eiszeit bricht an. Soweit die Theorie.

Keine Panik angebracht

Ob solche Sorgen berechtigt sind, darüber gehen die Meinungen der Ökonomen auseinander. «Ein paar Monate mit niedrigen oder negativen Teuerungsraten sorgen noch nicht für eine Deflation», beschwichtigt etwa Reinhard Pfingsten, Chief Investment Officer und Leiter der Vermögensverwaltung bei der Privatbank Hauck & Aufhäuser. Er gehe nicht von einem dauerhaft deflationären Umfeld aus. Auch bei der Credit Suisse registriert man zwar die derzeit niedrige Inflation, warnt aber vor Deflationspanik.

Andere Beobachter sind pessimistischer: Christoph Kind, Fondsmanager beim Investmenthaus Frankfurt-Trust, wittert für die Euro-Zone bereits «japanische Verhältnisse». Dort kämpft die Regierung bereits seit Jahren gegen die Deflation. Ins selbe Horn stiess zuletzt auch Brian Whitmer, Analyst des US-amerikanischen Prognosehauses Elliott Wave. Er bezeichnete das Staatsanleihenkaufprogramm der EZB als «Akt der Verzweiflung». Das Programm werde nicht erfolgreicher sein als andere, die es schon gab – Quantitative Easing habe auch in Japan nicht gewirkt.

Vorstufe zur Disinflation

Für andere ist die Lage bereits eindeutig: «Die Deflation ist in der Schweiz und in grossen Teilen der Euro-Zone längst Realität, wenn auch noch nicht alle denkbaren negativen Folgen eingetreten sind», sagt Karsten Junius, Chefökonom bei der Bank J. Safra Sarasin. Um das festzustellen, genüge ein Blick auf die Teuerungsraten der vergangenen Jahre und auf aktuelle Daten. Das Ganze müsse zwar nicht im befürchteten Chaos oder in einer ökonomischen Eiszeit enden, sagt Junius: «Aber die deflationären Entwicklungen in Europa sind definitiv ernst zu nehmen.» Denn so schnell werde die Inflationsrate nicht wieder steigen.

Wie auch immer sie die reale Gefahr einschätzen: Anleger sollten für eine Deflation gerüstet sein oder zumindest für ihre Vorstufe, die Disinflation. Denn sie wirkt sich zum einen unterschiedlich auf die Rendite verschiedener Anlageklassen aus. Zum anderen würde eine dauerhafte Deflation auch Unternehmen unterschiedlich hart treffen – während manche Branchen in Zeiten sinkender Preise noch gut dastünden, könnten andere massiv darunter leiden.

Aktien anstatt Anleihen

Nicht zuletzt müssen Zentralbanken bei ihrer lockeren Geldpolitik und den niedrigen Zinsen bleiben, wenn sie der weiter sinkenden Inflation entgegenwirken wollen. Auch das hat Auswirkungen auf die Kapitalmärkte. «Im Umfeld tiefen Wachstums, tiefer Inflation und tiefer Zinsen ist es für Anleger eine grosse Herausforderung, Anlageklassen zu finden, die konstant hohe Einkommensströme abwerfen», bestätigt J.-Safra-Sarasin-Ökonom Junius.

Solange die Notenbanken bei ihrer expansiven Geldpolitik blieben, seien Aktien gegenüber Anleihen zu bevorzugen. «Auch weil in Zeiten einer Deflation das Ausfallrisiko zunimmt, zum Beispiel bei Unternehmensanleihen», ergänzt Junius. Bei der Titelauswahl ist genaues Hinsehen gefragt. Eine sinkende Inflation beziehungsweise eine Deflation bringt meist ein schwieriges Umfeld für Aktien mit sich, denn beides gilt als Zeichen einer schwachen Konjunkturphase.

Roche bietet solides Wachstum

Aktien, die dem Gewinnwachstum von Unternehmen folgen und vom Konjunkturzyklus abhängen, verlieren in diesem Umfeld regelmässig an Wert. Um regelmässige Erträge zu erzielen, sollten Aktieninvestoren sich deshalb an dividendenstarke Aktien von Unternehmen aus defensiven Branchen halten, deren Geschäftsmodell nicht allzu stark an den allgemeinen Konjunkturverlauf gekoppelt ist. «Dazu gehört etwa die Pharmaindustrie», sagt Hauck & Aufhäuser-CIO Pfingsten. In der Schweiz zählt er Roche zu den Unternehmen, die selbst in einem deflationären Umfeld weiter solide wachsen dürften.

Stark zyklische Branchen indes können zumindest kurzzeitig ebenfalls von sinkender Inflation profitieren. Sinken die realen Preise, steigt nämlich die Nachfrage nach Produkten, die Konsumenten sich normalerweise nicht einfach so leisten. Davon könnten etwa Luxusgüterhersteller profitieren. Allerdings nur solange, wie die gefürchtete Deflationsspirale nicht in Gang kommt. Denn wenn immer mehr Verbraucher grössere Anschaffungen in der Hoffnung auf noch günstigere Preise verschieben, ist das schlecht für zyklische Branchen. Aktien von Energie sowie Roh- und Grundstoff-Produzenten sollten Anleger meiden, empfehlen Analysten. Die Energie- und Rohstoffpreise – allen voran der Ölpreis – sind bereits stark gesunken, die Tendenz ist weiterhin fallend. Eine unmittelbare Trendwende sehen sie nicht. Das dürfte die Unternehmen dieser Branchen beuteln und die Aktienkurse weiter drücken.

Global aufstellen

Bei der Auswahl sollten sich Investoren zudem nicht nur auf Europa beschränken, sondern sich global aufstellen. «Eine weltweite Deflation halte ich für sehr unwahrscheinlich», sagt Hauck & Aufhäuser-CIO Pfingsten. In den USA etwa schreitet das Wirtschaftswachstum schneller voran als in Europa. Auch einzelne Schwellenländer erstarken wieder, etwa Vietnam, Indonesien und die Philippinen. In diesen Volkswirtschaften läuft es gut. Anleger, die sich breit aufstellen wollen, sollten einen Blick auf diese Märkte risikieren.

Selbst Gold, das allgemein als Inflationsschutz gilt, kann in deflationären Zeiten eine sinnvolle Beimischung zum Portfolio sein. Die Credit Suisse hat in Zusammenarbeit mit der London Business School die jährliche Entwicklung aller grossen Anlageklassen in den 19 wichtigsten Ländern der Welt bis ins Jahr 1900 zurückberechnet. Ein Ergebnis der Auswertung: Goldbesitzer erzielten die höchsten Realerträge mit dem Edelmetall in Zeiten extremer Deflation.