Engländer und Amerikaner verschulden sich gerne, am Sparen haben sie keine grosse Freude. Ganz anders dagegen die Deutschen, aber beispielsweise auch die Chinesen: Sie sind die Sparweltmeister und versuchen, Schulden zu vermeiden. Die Schweiz liegt sogar noch vor diesen Staaten. Das sind bekannte Fakten. Doch nach wie vor unbeantwortet ist die Frage, woran das liegt: Geschichte? Tradition? Wirtschaftsstruktur?
Derzeit gewinnt eine ganz andere Theorie Anhänger. Demnach könnte die Muttersprache darüber entscheiden, ob jemand eher zum Sparen oder zum Schuldenmachen neigt. Die grammatischen Strukturen seien entscheidend dafür, wie ein Sprecher auf die Welt blickt, und würden so letztlich auch sein ökonomisches Verhalten bestimmen, so die These.
Finanzen von Unternehmen beeinflusst
Das Erstaunliche: Umfangreiche statistische Vergleiche haben dies inzwischen untermauert. Und eine aktuelle Studie der Business School CEIBS in Shanghai belegt nun sogar, dass die Sprache nicht nur das Sparverhalten des Einzelnen, sondern auch die Finanzen von Unternehmen beeinflusst.
Die zugrunde liegende Annahme, dass die Sprache auf Denken und Handeln der Menschen wirkt, ist dabei so alt wie umstritten. Schon Wilhelm von Humboldt formulierte entsprechende Gedanken. Bekannt ist die Theorie in der Linguistik seit den 50er-Jahren jedoch vor allem als sogenannte Sapir-Whorf-Hypothese, benannt nach zwei Sprachwissenschaftlern.
«Morgen ich gehen Berlin»
Der Ökonom Keith Chen von der Yale Universität hat die Idee aufgenommen und auf die Wirtschaftstheorie übertragen. Getrieben worden ist er dabei von seinen eigenen Erfahrungen als Sohn chinesischer Einwanderer, der in den USA aufgewachsen ist und somit in zwei Sprachwelten lebt. Besonders angetan hat es ihm dabei der unterschiedliche Blick der Sprachen auf die Zukunft.
Denn will Chen auf Englisch ausdrücken, dass er am kommenden Tag nach Berlin fährt, so sagt er: «Tomorrow I will go to Berlin.» Auf Chinesisch dagegen sagt er: «Mingtian wo qu Bolin», wörtlich übersetzt: «Morgen ich gehen Berlin.» Der wesentliche Unterschied ist, dass Chinesen keine Zukunftsform für das Verb benutzen. Die Tatsache, dass die Handlung in der Zukunft stattfindet, wird nur aus dem Wort «morgen» ersichtlich.
Das ist genau wie im Deutschen: «Morgen fahre ich nach Berlin.» Zwar könnte man auch sagen «Morgen werde ich nach Berlin fahren», doch dies ist eher unüblich. Normalerweise sprechen Deutsche über die Zukunft, indem sie grammatikalisch in der Gegenwart bleiben – genau wie Chinesen, aber auch wie Schweden oder Finnen, Japaner oder Niederländer, Esten oder Norweger. Hier spricht man von «schwachem Futur» – im Gegensatz zum starken Futur, das neben dem Englischen auch im Französischen, Spanischen oder Türkischen vorherrschend ist.
Unterschied zwischen Gegenwart und Zukunft
Hierin liegt für Chen der Grund für das unterschiedliche Sparverhalten: Immer wenn jemand im Englischen oder einer anderen Sprache mit dominanter Futurform über die Zukunft spricht, müsse er die künftigen Geschehnisse gedanklich klar von der Gegenwart trennen. «Der Unterschied zwischen Gegenwart und Zukunft fühlt sich stärker an«, sagt er. «Und das macht es schwerer zu sparen.« Denn der Vorteil, der sich aus Erspartem in der Zukunft ergibt, fühlt sich ferner an.
Das klingt zunächst recht seltsam, auch Chen selbst nennt es eine «fantasievolle Theorie« – untermauert sie aber gleichzeitig mit Zahlen. So hat er die Sparraten in den OECD-Ländern daraufhin untersucht, welche Sprache im jeweiligen Land vorherrscht. Das Ergebnis: Im Durchschnitt sparen Menschen, die in der Gegenwartsform über die Zukunft sprechen, fünf Prozent mehr als die anderen.
In der Schweiz Sprachen beider Arten
Aber damit nicht genug: Chen hat in einem weiteren Schritt Länder ausgewählt, in denen Sprachen beider Art gesprochen werden, beispielsweise die Schweiz (Deutsch vs. Französisch und Italienisch), Belgien (Flämisch vs. Französisch) oder Malaysia (Chinesisch vs. Malaiisch). Sodann hat er einzelne Personen aus einer Sprachgruppe Menschen aus der anderen Sprachgruppe gegenübergestellt und dabei darauf geachtet, dass diese jeweils in ähnlichen wirtschaftlichen Verhältnissen leben.
«Bei jenen, die eine Sprache ohne Futurform sprechen, ist die Wahrscheinlichkeit 30 Prozent höher, dass sie Geld sparen«, beschreibt er das Ergebnis. «Und wenn sie in Rente gegen, sind ihre Ersparnisse im Schnitt 25 Prozent höher als bei den Sprechern einer Sprache mit Futurform.« Wohlgemerkt: Es handelt sich um Menschen, die im gleichen Land leben, vielleicht sogar Tür an Tür, und sich einzig und allein durch die zu Hause gesprochene Sprache unterscheiden.
Was das Futur für Firmen bedeutet
So erstaunlich diese Erkenntnisse schon sind, sie werden von einer Studie, die Anfang März von der Business School CEIBS veröffentlicht worden ist, noch übertroffen. Die Autoren untersuchten, ob die besagten sprachlichen Unterschiede sich auch auf die Finanzen von Unternehmen auswirken, die in den jeweiligen Ländern beheimatet sind.
Die Antwort ist ein klares Ja. «Die Sprache wirkt sich nicht nur auf das ökonomische Verhalten Einzelner aus, wie zuletzt durch ökonomische Studien gezeigt wurde«, so die CEIBS-Autoren. «Die sprachlichen Effekte gehen auch auf das Verhalten auf Unternehmensebene über.»
Offenbar führe das Sprechen über die Zukunft in der Gegenwartsform dazu, dass mögliche ungünstige Bedingungen am Kreditmarkt in der Zukunft als unmittelbarer wahrgenommen würden, dies lasse die Firmen in Bezug auf ihre Finanzen vorsichtiger agieren.
Barreserven in bestimmten Sprachregionen höher
So sind die Barreserven der Firmen in Sprachregionen, die keine Futurform benutzen, deutlich höher als in den anderen Gebieten. Besonders eindrucksvoll ist nach Ansicht der Shanghaier Ökonomen jedoch die Veränderung, die sich in diesem Punkt nach 1997 in Hongkong vollzogen hat, nachdem die einstige britische Kronkolonie wieder Teil Chinas wurde. Denn damals verschob sich nicht nur die sprachliche Dominanz zugunsten des Chinesischen, parallel dazu erhöhten viele Firmen in Hongkong auch ihre Barreserven.
Die These, dass die Sprache über die Finanzen entscheidet, scheint also durch allerlei Zahlen und Statistiken gut untermauert. Und doch erscheint sie vielen nach wie vor seltsam. Doch wer weiss, vielleicht zeigt sich der Effekt ja bald auch anderswo: In den Bilanzen jener deutschen Firmen, die intern zunehmend auf Englisch kommunizieren. Noch gibt es dazu keine Untersuchung.
Dieser Artikel ist zuerst in unserer Schwester-Publikation «Die Welt» erschienen.