Die sommerliche Ferienstimmung trügt: Hinter den Toren der Schweizerische Nationalbank (SNB) ist die Atmosphäre vor der Zinssitzung der Europäischen Zentralbank am Donnerstag angespannt.
Denn die Euro-Hüter rund um den scheidenden EZB-Präsidenten Mario Draghi könnten Experten zufolge zumindest die Weichen für eine Zinssenkung im September stellen - oder sich bereits zu einem solchen Schritt durchringen.
Das wiederum könnte die SNB dazu zwingen, nachzuziehen und ihrerseits den bereits rekordtiefen Leitzins von minus 0,75 Prozent weiter zu kappen. Denn ansonsten droht ein Höhenflug des Frankens, der der exportorientierten Schweizer Wirtschaft schadet.
Franken auf Höchststand
Allein die Aussicht auf eine Zinssenkung der EZB hat den Franken in den vergangenen Tagen auf den höchsten Stand zum Euro seit zwei Jahren katapultiert. Ein Euro kostete am Dienstag nur noch 1,0968 Franken. Zu Jahresbeginn waren es noch rund 1,13 Franken.
«Die Zinsdifferenz zwischen der Euro-Zone und der Schweiz droht weiter abzuschmelze», sagte Volkswirt Daniel Hartmann vom Vermögensverwalter Bantleon. «Investitionen in der Schweiz werden somit relativ attraktiver, was den Franken stärkt.
Der SNB wird nichts anderes übrigbleiben, als nachzuziehen.» Hartmann hält im September - oder spätestens im Dezember - eine Zinssenkung auf minus 0,85 oder minus 0,95 Prozent für wahrscheinlich. Dann finden die regulären Zinssitzungen der Schweizer Währungshüter statt. Es wäre die erste Zinssenkung seit viereinhalb Jahren.
Mit seiner Einschätzung ist Hartmann nicht allein: Am Markt erwarten die Anleger derzeit mit einer Wahrscheinlichkeit von über 50 Prozent eine Zinssenkung der SNB spätestens im September. Die Notenbank selbst will sich zu ihren Plänen nicht äußern. SNB-Präsident Thomas Jordan hatte zuletzt jedoch betont, die Zentralbank habe noch Handlungsspielraum, die Zinsen weiter zu senken.
Alles hängt an der EZB - und am Wechselkurs
Andere Experten halten ein solches Szenario noch nicht für eine ausgemachte Sache. Ob es dazu komme, hänge vor allem von der Kommunikation der EZB ab, sagte Chefstratege Frank Häusler von Vontobel Asset Management.
«Wenn die EZB nur eine Senkung vornimmt und nicht viel mehr macht, kommt die SNB noch nicht in Zugzwang. Wenn die EZB aber einen weiteren Zinsschritt nach unten ankündigt oder weitere Anleihenkäufe, dann wird die SNB auch handeln müssen», sagte er.
UBS-Ökonom Alessandro Bee hält die Wechselkursentwicklung für ausschlaggebend dafür, wie die SNB reagiert. Um kurzfristige Franken-Höhenflüge zu verhindern, hat die SNB in den vergangenen Jahren bevorzugt zu Interventionen am Devisenmarkt gegriffen.
Sie kauft dabei mit selbst gedruckten Franken Fremdwährungen wie Euro. Einige Experten erwarten, dass dies auch weiterhin das Mittel erster Wahl bleiben dürfte - auch weil eine weitere Ausweitung der Bilanz der Notenbank weniger unerwünschte Nebeneffekte hätte als eine Zinssenkung.
Experten zufolge droht dann Aufstand
Denn die Negativzinsen befeuern einen riskanten Hype am Immobilienmarkt, lasten auf Vorsorgeeinrichtungen und Pensionsfonds sowie den Banken. «Wenn die SNB die Zinsen erneut spürbar senkt, kommt es in der Bevölkerung und der Politik zu einem Aufstand», sagte ein Schweizer Kapitalmarktexperte. Die Notenbank habe lange einseitig auf die Interessen der Export-Firmen Rücksicht genommen. «Bezahlt haben das die Anleger und die Pensionskassen in Form einer tiefen Verzinsung der Altersguthaben.»
Und auch Banken rüsten sich bereits für einen solchen Schritt - zumindest verbal: UBS-Chef Sergio Ermotti spielt mit dem Gedanken, die Negativzinsen an Kunden weiterzureichen, statt sie selbst zu schultern - auch wenn das nach seiner eigenen Einschätzung wohl schwierig durchzusetzen sein dürfte.
(reuters/mlo)