Nach sechs Jahren Bullenmarkt gibt es nur noch wenige wirklich günstig bewertete Aktien. So gilt beispielsweise die US-Börse inzwischen gemessen an Kriterien wie Marktkapitalisierung im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt schon eher als überteuert. In Europa ist die Lage noch etwas günstiger, insbesondere unter Anwendung eines kleinen Tricks. Dieser besteht darin, sich nicht auf die aktuell erzielten Unternehmensgewinne zu fokussieren, sondern auf eine Normalisierung der Ergebnisse zu hoffen, sobald die durch die Euro-Krise ausgelöste Ertragsdelle überwunden ist.

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Viel Nachholpotenzial hat in dieser Hinsicht mit Italien eines jener EU-Länder, die am stärksten in den Krisenmodus gerutscht waren. Allerdings kann man im Fall Italien nicht nur eine kurzfristige Krisenattacke attestieren, sondern muss fast schon von einem schleichenden Verfall sprechen. Denn, dort wurde es praktisch über Jahrzehnte hinweg versäumt, mit nachhaltigen Reformen das Land auf Vordermann zu bringen.

Renzi setzt Reformen um …

Immerhin: Der seit Februar 2014 amtierende Ministerpräsident Matteo Renzi versucht, verkrustete Strukturen aufzubrechen und das Ruder herumzureissen. Von den zwölf für die Jahre 2015 und 2016 geplanten Reformen wurden gut die Hälfte bereits umgesetzt. Frischer Wind weht auch auf Privatisierungsebene. Der gerade erfolgte Börsengang der italienischen Post ist der grösste seit 1999, als der Staat einen Anteil am Versorger Enel an den Markt gebracht hatte. Fortgesetzt werden, soll der Privatisierungsprozess mit den Bahnen und der Flugsicherung Enav.

Auch die Geschäfts- und Konsumklimaindizes lassen für dieses und für das kommende Jahr auf ein zumindest moderates Wirtschaftswachstum hoffen. Nach drei Jahren Rezession ist das doch ein Hoffnungsschimmer. Vor was für Herausforderungen Renzi aber nach wie vor steht, lässt sich an der Staatsverschuldung ablesen. Diese stieg im zweiten Quartal mit 136 Prozent, gemessen am Bruttoinlandprodukt, trotz aller Einsparanstrengungen wieder auf den höchsten Stand seit der Euro-Einführung vom Jahr 1999.  

… und die Zinsen fallen weiter

Neue Nervosität ist unter den Anlegern wegen der Staatsverschuldung aber noch nicht aufgekommen. Vielmehr sorgt die Politik der Europäischen Notenbank, zusammen mit dem demonstrierten Reformeifer, für fallende Renditen am italienischen Anleihemarkt. Jüngst konnte sogar erstmals überhaupt eine zwei Jahre laufende Staatsanleihe mit einem negativen Zins platziert werden.

Was für ein Unterschied zu den rund 8 Prozent, die noch beim Höhepunkt der EU-Kreditkrise vom Jahr 2011 berappt werden mussten. Diese Entwicklung an der Renditefront hilft nicht nur dem Staat bei der Bedienung seiner Schuldenverpflichtungen, sondern ermöglicht auch den italienischen Unternehmen eine günstigere Kreditaufnahme.

Hohes Gewinnwachstum der Unternehmen

Die Ergebnisschätzungen für die Firmen des Landes wurden zuletzt trotzdem nach unten korrigiert, insgesamt herrscht unter den Analysten für das laufende und für die beiden kommenden Jahre aber weiterhin viel Zuversicht vor. Laut J.P. Morgan wird für die im MSCI Italien Index enthaltenen Unternehmen für 2015 bis 2017 mit Gewinnsteigerungen von 26,1, 18,1 und 17,1 Prozent gerechnet.

Das ist ein beeindruckender Trend und erklärt, warum Aktien aus Italien in der Gunst der Investoren deutlich vorangekommen sind. Während der FTSE/MIB Index dem Euro Stoxx 50 Index im laufenden Bullenmarkt seit März 2009 lange hinterherhinkte, kann er 2015 plötzlich mit einer besseren Wertentwicklung aufwarten. Ein Trend, der durchaus anhalten könnte, sofern Italien politisch und wirtschaftlich weiter in die richtige Richtung marschieren sollte.

Anleger achten auf das zyklisch adjustierte KGV

Gestützt wird diese These wie eingangs angedeutet durch Bewertungsüberlegungen. Am Markt-KGV für 2015 lässt sich das bei einem Wert von 16,6 zwar nicht unbedingt festmachen, aber auf Basis der für 2017 erwarteten Gewinne ermässigt sich dieser Wert auf deutlich günstigere 12,0. Relativ gut schneidet Italien auch gemessen am zyklisch adjustierten KGV, auch CAPE oder PE10 genannt, ab. Nach Angaben des deutschen Vermögensverwalters StarCapital beträgt das CAPE für Italien 12,2. Verglichen mit den anderen 65 Ländern, die StarCapital ebenfalls einer Analyse unterzieht, ist das eine relativ niedrige und damit günstige Kennziffer.

Zum Vergleich: Das CAPE für die Schweiz wird mit 21,6 angegeben und für die USA mit 23,2. Basierend auf historischen Erfahrungen wird daraus für die italienische Börse für die nächsten 15 Jahre ein Kurspotenzial von 9 Prozent p.a. abgeleitet, was im internationalen Vergleich derzeit ebenfalls ein relativ guter Wert ist. Der Schweiz und den USA werden jedenfalls mit 4,7 Prozent und 4,1 Prozent nur deutlich geringere langfristige Aktienmarktrenditen zugebilligt.

Tiefer Buchwert

Besonders günstig schneidet Italien übrigens auch mit Blick auf den Buchwert als Bewertungskriterium ab. Die Société Générale beziffert das Kurs-Buchwert-Verhältnis für Italien im Durchschnitt auf 1,2 – in Europa sind es weit höhere 1,75. Das lässt sich derzeit zwar noch mit einer geringen Profitabilität der italienischen Unternehmen erklären, beläuft sich deren Eigenkapitalrendite im Durchschnitt doch nur auf rund 3 Prozent – Europa rund 9 Prozent –, doch wegen der für Italien erhofften überdurchschnittlich hohen Gewinnsteigerungen sollte sich diese Kluft zunehmend verringern.

«Wie zahlreiche Studien belegen, haben jene Aktienmärkte langfristig das grösste Renditepotenzial, welche anhand ihrer fundamentalen Bewertungsindikatoren wie Kurs-Buchwert-Verhältnis oder zyklisch adjustiertes Kurs-Gewinn-Verhältnis attraktiv bewertet sind», weiss Norbert Keimling, Leiter der Kapitalmarktforschung bei StarCapital:

Börse Italien – die grössten Schnäppchen

Wer auf ein niedriges Kurs-Buchwert-Verhältnis als Erfolgskriterium bei der Aktienanlage setzen möchte, der findet in Italien sogar noch einige attraktivere Titel, als es der bereits moderate Durchschnittswert für diese Kennziffer andeuten würde. Die Analysten der US-Investmentbank Jefferies führen in einer Liste gleich 18 italienische Standardtitel auf, die mit einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von unter eins ausgestattet sind. Allerdings ist das nicht immer in allen Fällen direkt ein Qualifikationskriterium für eine gute Aktie. Denn mitunter ist ein niedriges Kurs-Buchwert-Verhältnis auch Ausdruck für operative Probleme oder es muss sehr lange darauf gewartet werden, bis sich am Markt die Erkenntnis durchsetzt, dass ein Titel tatsächlich unterbewertet ist.

Um die Chancen zu erhöhen, bietet es sich deshalb an, bevorzugt auf Titel zu setzen, bei denen der Kurs bereits eine gewisse Dynamik entfaltet hat und somit eine Neubewertung bereits in Gang gekommen zu sein scheint.

Telecom Italia – Anleger spekulieren auf eine Übernahmeschlacht

Das ist zum Beispiel der Fall beim Einzelhandels-Immobilienunternehmen Immobiliare Grande Distribuzione SiiQ [ISIN: IT0003745889, KGV(e): 12,1, KBV: 0,6; Dividendenrendite (e): 4,4 Prozent], bei Beni Stabili [ISIN: IT0001389631, KGV(e): 17,8, KBV: 0,8; Dividendenrendite (e): 3,3 Prozent] und beim Kreditinstitut Mediabanco [ISIN: IT0000062957, KGV(e): 13,7, KBV: 0,8; Dividendenrendite (e): 2,7 Prozent].

Losgelöst vom Buchwert geben ansonsten die folgenden drei Aktien den Eindruck, als ob ihre Kurse weiter nach oben ziehen sollten. A2A [ISIN: IT0001233417, KGV(e): 16,5, KBV: 1,4, Dividendenrendite (e): 3,2 Prozent] und Iren [ISIN: IT0003027817, KGV(e): 13,6, KBV: 1,0, Dividendenrendite (e): 3,5 Prozent], wobei diese beiden Versorger einen für italienische Verhältnisse vergleichsweise hohen freien Cashflow erwirtschaften. Telecom Italia [ISIN: IT0003497168, KGV(e): 27,7, KBV: 1,5, Dividendenrendite (e) : 0,0 Prozent], wobei sich die Kursphantasie hier daran entzündet, dass sich bei diesem Telekomkonzern sowohl der französische Multimilliardär und Unternehmer Xavier Niel als auch der französische Industrielle Vincent Bollore eingekauft haben und folglich könnte es zu einer Übernahmeschlacht kommen.