Ocrelizumab: Auf diesem Zungenbrecher ruhen gerade milliardenschwere Hoffnungen. Der Name steht für einen Antikörper, der gegen multiple Sklerose helfen soll, eine unheilbare Erkrankung des zentralen Nervensystems. Das Medikament Ocrevus ist zwar noch nicht auf dem Markt, aber auf dem besten Weg zur Zulassung in den USA, und auch in der Europäischen Union läuft ein Antrag. In sechs Jahren könnte ein veritabler neuer Blockbuster entstanden sein, mit einem Umsatzpotenzial von bis zu 4,4 Milliarden US-Dollar jährlich, schätzt Tim Race, Pharmaanalyst der Deutschen Bank.
Ocrelizumab gehört zu den aussichtsreichsten Neuentwicklungen von F. Hoffmann-La Roche. Der Schweizer Pharmakonzern, der oft ein wenig im Schatten seines grossen Basler Konkurrenten Novartis steht, eröffnet sich damit voraussichtlich ein neues Therapiefeld. Roche ist als Weltmarktführer in der Diagnostik und in der Krebstherapie bekannt, mit Medikamenten wie Rituxan, Avastin und Herceptin. Zu den wichtigsten Forschungsfeldern gehört derzeit die Krebs-Immuntherapie.
Roche – ein Kauf
Roche war in der jüngeren Zeit überaus erfolgreich: Der Konzernumsatz stieg im ersten Halbjahr um rund 5 Prozent auf 25 Milliarden Franken, der Gewinn legte um 3 Prozent auf 5,5 Milliarden Franken zu. Bereits damit ist es überaus wahrscheinlich, dass die Generalversammlung im kommenden Frühling die Dividende für die Aktionäre erneut erhöhen wird, so, wie es bereits seit mehr als zehn Jahren regelmässig geschehen ist. Die Dividendenrendite des Valors liegt damit voraussichtlich bei 3,3 bis 3,5 Prozent. Der Abbau von 190 Stellen, der am Donnerstag bekannt wurde, schlägt nicht zu Buche.
Bei all dieser substanziellen Stärke erscheint der jüngste Kursverlauf bei Roche als umso erstaunlicher. Seit dem Jahresbeginn hat die Aktie rund 13 Prozent an Wert verloren, notiert derzeit um 240 Franken. Zum Höchstkurs Ende 2014 bei fast 300 Franken hat der Titel momentan fast 20 Prozent Luft. Genau dort, bei 295 Franken, sieht Tim Race von der Deutschen Bank das Kursziel. Er rät zum Kauf.
Zika-Virus – eine Chance für Roche?
Tatsächlich sind es weniger fundamentale Schwächen, die den Kurs zuletzt nach unten gedrückt haben, sondern vielmehr trägt auch daran der grosse Widersacher Novartis die Hauptschuld. Dem Konkurrenten gehört nämlich derzeit ein Drittel von Roche. Nun will Novartis ihr 13 Milliarden Franken schweres Aktienpaket aber verkaufen – dem Vernehmen nach möglichst noch in diesem Jahr. Für die Transaktion braucht es neue Grossinvestoren, hinter den Kulissen wird unter Hochdruck danach gesucht, heisst es aus dem Umfeld. Weil eine derart grosse Transaktion den Kurs drücken kann, waren zuletzt offenbar viele Hedge Funds und Arbitrage-Händler aktiv. Sie haben ihre Bestände aufgelöst, um sich günstig neu eindecken zu können, sobald die Novartis-Anteile auf den Markt kommen. Auch Short-Positionen auf den Roche-Valor waren zuletzt gefragt, also Wetten auf sinkende Kurse.
Diese Situation könnte langfristig orientierten Investoren eine interessante Kaufgelegenheit eröffnen. Zumal Roche zuletzt noch mehr Positives vermeldete. So hat die Diagnostik-Sparte von Roche einen Bluttest entwickelt, mit dem sich der derzeit in mehreren Ländern grassierende Zika-Virus nachweisen lässt. Die US-Pharmabehörde FDA hat dem noch nicht offiziell zugelassenen Verfahren vor wenigen Tagen eine Notfall-Zulassung erteilt, um den Kampf gegen den Virus zu beschleunigen, der sich derzeit auch in Florida ausbreitet. Der Zika-Virus wird durch Mücken übertragen und soll für Missbildungen bei Neugeborenen verantwortlich sein. Virologen sehen weltweit ernsthafte Anzeichen für eine drohende Epidemie. Ein sichereres Verfahren zur Diagnose kann als ein wichtiger Schritt gesehen werden, um einen Ausbruch eindämmen zu können – und kann Roche eine neue wichtige Einnahmequelle verschaffen.