Die Tiefzinspolitik der Notenbanken soll eigentlich die Wirtschaft entlasten. Eine Branche bingt sie aber erst recht in die Bredouille: Die Lebensversicherer. Denn deren Geschäftsmodell basiert auf langfristig gewährten Garantiezinsen - und die sind in einer Tiefzinsumgebung kaum noch zu erwirtschaften.
So finden die Lebensversicherer am Rentenmarkt gegenwärtig Coupons von 2 Prozent für eine jetzt zur Zeichnung stehende 24-jährige Obligation der Zürcher Kantonalbank; die Garantieleistungen für die Lebensversicherungen liegen aber bei der Swiss Life bei 2,6 Prozent, bei der Bâloise sind es 2,7 Prozent und beim Lebensversicherungsarm der Zurich Financial Services gar 3 Prozent.
Swiss Life besonders anfällig
«Selbstverständlich sind die rekordtiefen Zinsen eine Herausforderung in der Lebensversicherung, was besonders die Finanzierung der hohen Zinsgarantien und die Erwirtschaftung der Renditeprognosen betrifft, die während der Hochzinsphasen der Vergangenheit abgegeben wurden», sagt Pascal Hollenstein, Sprecher der Axa in Winterthur. Auch die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma beobachtet die Sache sehr genau, wie ein Sprecher mitteilt.
Die Swiss Life hat deshalb bereits die Versicherungsmakler vertraulich darauf vorbereitet, dass sie auf Anfang 2011 die Überschussrenten kürzen wird. «Als Lebensversicherer sind wir gesetzlich dazu verpflichtet, die vertraglich garantierten Zinsen jederzeit bis zum Ende der Vertragslaufzeit ausreichend zu finanzieren und entsprechend Reserven zu bilden», bestätigt Sprecher Dajan Roman. Mit einer angepassten Überschusspolitik werde eine ausreichende Marge sichergestellt.
Doch damit ist es noch nicht getan, wie Jay Cohen, Analyst bei der Bank of America, zu bedenken gibt. «Wenn die Zinsen fallen, steigt der Buchwert aufgrund der nicht realisierten Anlagegewinne.» Die Folge: Die Prognosen für die Anlageerträge, von denen die Versicherungsindustrie lebt, sind zu optimistisch. «Seit 1975 gab es im Versicherungssektor lediglich fünf Jahre, in denen der Verkauf von Policen positive Erträge abgeworfen hat», rechnet Keith Walsh, Analyst bei der Citigroup vor. Gesamthaft hätten alleine die Versicherer in den USA beim Verkauf von Policen 445 Milliarden Dollar draufgelegt.
Die Zinssätze sind dabei der Schlüssel zur Profitabilität - sie entscheiden über den wirtschaftlichen Erfolg der Branche. Von den grösseren europäischen Assekuranzhäusern gilt die Swiss Life bei den Analysten unisono als sehr zinssensitiv. Hier ist der technische Zinssatz zwischen 2005 und 2010 von 3,14 Prozent auf 2,57 Prozent gefallen. Die in diesem Jahr gesunkenen Renditen haben den Firmenwert laut den Analysten von Morgan Stanley zudem um knapp 30 Prozent reduziert - das wäre viel mehr als bei jeder grösseren europäischen Versicherung.
Pro Jahr 10 Prozent weniger Ertrag
Die auslaufenden Obligationen mit hohen Coupons - Versicherungen tendieren dazu, Anleihen bis zur Fälligkeit zu halten - können zudem nur zu deutlich schlechteren Konditionen wieder angelegt werden. Besonders bei Lebensversicherungen zieht sich diese Übergangszeit hin, weil hier der Anlagezeitraum länger ist als bei Sachversicherungen. Dennoch verringern sich die Gesamterträge eines typischen Obligationenportefeuilles jedes Jahr um 5 bis 10 Prozent.
Das wirkt sich schliesslich auch auf die Bilanzen aus. Obligationen steigen, wenn die Zinsen fallen. Da die Anlagen in der Bilanz der Versicherer in der Schweiz zu Marktpreisen bewertet werden müssen, die Verpflichtungen aber unverändert bleiben, führt ein Rückgang der Zinsen paradoxerweise zu einer vermeintlich besseren Kapitalausstattung. Daraus ergeben sich laut Robin Buckley, Analyst bei der Deutschen Bank, in der Assekuranz grosse Herausforderungen. «Vor allem bei traditionellen Lebensversicherungen wurden früher generöse Garantien abgegeben, die sich jetzt nicht mehr mit den Verpflichtungen decken», sagt Buckley.
Lebensversicherungen wie Zurich Life könnten sich zwar über ein geschicktes Abstimmen von Anlageerträgen und Garantieleistungen dem Druck der niedrigen Zinsen entziehen, heisst es bei der Zurich. Diesen Eingriff nahm das Unternehmen über «Swaptions» vor, den Tausch einer Prämie gegen einen hinsichtlich Laufzeit und Zinssatz fixierten Swap. Die Axa Winterthur bediente sich vor einigen Jahren desselben Instruments, Swiss Life arbeitet derzeit an einer solchen Absicherung.
Doch solche Swaptions abzuschliessen sei heute nicht mehr so einfach möglich wie früher, sagt Stefan Schürmann, Analyst bei Vontobel. Zudem wüssten die Investoren der Lebensversicherer dann kaum mehr, wie die Cashflows für die kommenden Jahre durch die Swaptions tatsächlich gesichert sind. «Der Markt erhält keinen detaillierten Einblick , wie und in welchem Ausmass die Swaptions genau gemacht werden», kritisiert Schürmann.
Kosten müssen herunter
Sowieso sei es aber für solche Absicherungsbemühungen jetzt zu spät, moniert Buckley von der Deutschen Bank. Eine Absicherung mache nämlich nur Sinn, bevor die Zinsen fallen. «Wir erwarten, dass besonders betroffene Versicherungen wie die Swiss Life den Effekt der Zinsen auch durch Kostenkürzungen begrenzen werden», schlussfolgert Jon Hocking, Analyst bei Morgan Stanley. Andere Lebensversicherungen dürften dagegen die Fremdwährungsanteile der Obligationen in ihren Portefeuilles erhöhen, oder sie verkaufen Produkte, bei denen sie das Zinsrisiko an die Versicherer oder an die Banken weitergeben (siehe Text nebenan) - oder sie investieren massiv in Immobilien.
Kehrtwende beim Neugeschäft
Denn mit einem guten Immobilienportefeuille lässt sich immer noch eine Rendite von bis zu 6 Prozent erzielen. «Der Trend, dass Banken den Versicherungen Risiken abnehmen und ausserhalb der Bilanz verlagern, dürfte auch nicht mehr umzukehren sein», meint Vontobel-Experte Schürmann.
Und im Neugeschäft werden massiv Risiken umverteilt. «Bei modernen Versicherungsprodukten ist nicht ein technischer Zinssatz massgebend, sondern allfällige Garantien werden flexibel und in Abhängigkeit der aktuellen Marktzinsen gestaltet», sagt Swiss-Life-Sprecher Roman. Für das Neugeschäft strebt der grösste Schweizer Lebensversicherer jetzt an, mindestens 70 Prozent des Neugeschäfts über die Gruppe mit modernen Versicherungsprodukten oder reinen Risikoprodukten zu zeichnen.
Auch die Axa Winterthur hat laut Hollenstein im Bereich Einzelleben Produkte an den Markt gebracht, deren Renditepotenzial vom Zinsumfeld weniger abhängig sei. «Weitere solche Produkte sind für das Jahr 2011 geplant.»