Klar ersichtlich ist der Strukturwandel bei Schweizer Retailbanken beim Abbau von Filialen. 1992 gab es mehr als 4000 Filialen, aktuell sind es noch rund 2500. Und der Abbau geht weiter. Insbesondere die 255 Raiffeisenbanken in der Schweiz verfügen mit 930 Standorten immer noch über ein sehr dichtes Geschäftsstellennetz. Bis in drei Jahren sollen laut CEO Patrik Gisel noch rund 200 Standorte verschwinden.
Im Zuge des Abbaus haben die Banken aber auch festgestellt, dass der Wert eines physischen Standorts weit über die einfache Kosten-Ertrags-Rechnung hinausgeht. Denn einerseits ist die Nähe zum Kunden und die Wiedererkennbarkeit sowie die Emotionalisierung der eigenen Marke eine wichtige Differenzierungsmöglichkeit im hart umkämpften Markt – zumal mit der Digitalisierung die Vergleichbarkeit gleichartiger Produkte und damit die Wechselbereitschaft der Kunden im Hinblick auf das beste Preis-Leistungs-Angebot weiter zunehmen wird.
Persönlicher Kontakt bei komplexen Geschäften bevorzugt
Wo grundsätzlich der persönliche Kontakt noch bevorzugt wird, ist bei beratungsintensiven Geschäften wie Anlagen, Eigenheimkauf, Vorsorge beziehungsweise Pensionsplanung. Dieses Bedürfnis besteht gemäss Erhebungen bei allen Generatio-nen, also auch bei den Jungen, bei den sogenannten Millennials. Selbst bei ihnen haben sich digitale Angebote, die über Robo-Advisor gesteuert werden, noch wenig durchgesetzt.
Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass Retailbanken nicht nur in ihre digitalen Produkte und Dienstleistungen investieren, sondern auch bedeutende Investitionen in ihren Filialnetzen vornehmen, um ihre physischen Kontaktpunkte auf die Kundenbedürfnisse auszurichten. Einige Finanzinstitute erweitern ihr Filialnetz sogar, etwa die Valiant Bank, die Bank Cler und ihre Muttergesellschaft, die Basler Kantonalbank, oder auch die Bank Linth, um nur einige zu nennen. Dies unter anderem auch, weil Untersuchungen zeigen, dass das Geschäft in Regionen mit einer physischen Präsenz der Bank stärker wächst als ohne, selbst wenn es sich um den Heimmarkt einer Bank handelt. So fahren die meisten Finanzinstitute ein hybrides Geschäftsmodell: Gleichzeitig mit dem kontinuierlichen Ausbau des digitalen Dienstleistungsangebots werden die Filialen kostspielig modernisiert.
Das Set-up moderner Filialen
«Mit ihren neuen Filialkonzepten möchten sich die Banken gegenüber den wichtigsten Konkurrenten differenzieren, eine Emotionalisierung im Banking erreichen, die Kundenfrequenz erhöhen, das digitale Leistungsangebot erlebbar machen und die Kunden so in eine höhere Selbstständigkeit begleiten», schreibt Andreas Dietrich, Institutsleiter am IFZ der Hochschule Luzern im IFZ Retail Banking Blog. Entsprechend findet man in den Filialkonzepten der Retailbanken Gemeinsamkeiten, aber durchaus auch Differenzierungen. Gemeinsam ist beispielsweise verschiedenen Konzepten der Empfangs-Desk, wo eine Bankmitarbeiterin oder ein Bankmitarbeiter Kunden mit einem Tablet empfängt, ihnen weiterhilft und sich bei Wartezeiten um sie kümmert. Auch gibt es in vielen modernen Filialen keine bedienten Bankschalter mehr. Der Zahlungsverkehr vor Ort wird durch Automaten ersetzt. In grösseren Filialen werden technisch nicht affine Kunden bei der Bedienung der Geräte von Bankmitarbeitenden unterstützt. Bei den neuen Filialkonzepten wird grosser Wert darauf gelegt, dass sich der Kunde als Gast in einer sympathisch erlebbaren Atmosphäre fühlt. Die Konzepte reichen von der heimeligen «Stubenbank» (Raiffeisen Region Zofingen) über die Kundenzone mit Strandkörben bei der Bank Linth bis hin zu den kaum mehr als Bankfilialen identifizierbaren hippen Standorten der Bank Cler.
Videoberatung als Alternative zur physischen Präsenz
Auch kommt in den modernen Filialen vermehrt Videoberatung zum Einsatz. So ist etwa die Raiffeisenbank Region Burgdorf schon vor rund drei Jahren mit ihrer virtuellen Empfangsdame, die vom Call Center aus gesteuert wird, in die Schlagzeilen gekommen. Und im Beratungszimmer der Raiffeisen Zofingen kann der Kunde über einen Bildschirm, den der Berater, die Beraterin, direkt mit dem Notebook bespielt, das Beratungsgespräch mitverfolgen. Allfällige Dokumente werden dem Kunden per E-Mail-Kanal zugestellt oder auf dem im Mobiliar integrierten Drucker ausgedruckt. In modernen Filialen teilweise neu angewandt wird die begleitende Videoberatung. Die Basler Kantonalbank beispielsweise nennt das «VideoExpert»: Während eines Beratungsgesprächs können für spezifische Fragen BKB-Experten dazugeschaltet werden. Die Raiffeisenbank Mischabel-Matterhorn wiederum bietet ihren Kunden Videoberatung ausserhalb der Öffnungszeiten an. Dadurch wird Videoberatung zu einem guten Kompromiss, indem digitale Kanäle eingesetzt werden, ohne dass der persönliche Kontakt zum Kunden verloren geht.
Eine interessante Idee für Kleinstfilialen kommt vom Bankautomaten-Hersteller Auriga: Die sogenannten White-Label-Financial-Hubs. Hierbei geht es um Infrastruktur-Partnerschaften unter Konkurrenzbanken. In diesen White-Label-Filialen stehen Automaten verschiedener Finanzinstitute, die sich so die Filialkosten teilen können. Diese neue Art der Bankfiliale setzt aber voraus, dass Banken ihre Automaten mit innovativer Software und mit Self-Service-Technologien ausstatten, die eine positive Nutzererfahrung möglich machen. So könnten Banken ihre Standortvielfalt bewahren und gleichzeitig die Kosten für Infrastruktur deutlich senken.
Lesen Sie den ganzen Schwerpunkt zum Thema «Transformation im Retailbanking» in der neuen «Schweizer Bank».