Über fintool.ch wollen Sie den Leuten mithilfe von kurzen Online-Videos Finanzwissen vermitteln. Was würde ein Video zum Thema Finanzplanung oder Vorsorge beinhalten?
Erwin Heri*: Mit unseren Kurzvideos wollen wir das Finanzwissen von Herr und Frau Schweizer verbessern. Ein Teil davon ist Vorsorge- und Finanzplanung. Ein Video widmet sich beispielsweise dem Thema «Aktien für 30-Jährige».
Worum geht es dabei?
Wir sprechen die Generation der 30-Jährigen an. Diese steht vor einem demografischen Problem. Es ist offen, wie es um die staatliche Vorsorge in 30 Jahren stehen wird. Sicher scheint mir, dass die AHV dereinst nicht so ausgestaltet sein wird, wie sie heute noch ist. Wie auch immer die Antwort lautet: Es wird Zeit für die heute 30-Jährigen, sich darüber Gedanken zu machen.
Was schlagen Sie vor?
Sie sollten ihre individuelle Vorsorge ausbauen. Eine Möglichkeit besteht beispielsweise darin, jedes Jahr in Aktien zu investieren – zum Beispiel immer am Geburtstag 10'000 Franken. Entscheidend ist, dass diszipliniert in einen Aktienfonds oder einen ETF investiert wird und nicht in Einzeltitel. Anschliessend darf die Investition nicht mehr angefasst werden.
Was springt dabei heraus?
Der Blick zurück zeigt: Hätte ein heute 60-Jähriger vor 30 Jahren so investiert, wären die 30-Mal 10'000 Franken an Investitionen auf 1,5 Millionen Franken angewachsen. Und zwar nicht, weil Aktien in diesem Zeitraum eine aussergewöhnlich gute Performance gezeigt hätten, sondern weil sie um 7 Prozent pro Jahr zugelegt haben. Dies entspricht einer durchschnittlichen langfristigen Rendite am Aktienmarkt, wie Analysen der vergangenen 150 Jahre gezeigt haben. Mit dieser einfachen Überlegung könnte ein grosser Teil der Vorsorgeprobleme angepackt werden. Ich nenne dies die vierte Säule, die leider noch nicht steuerprivilegiert ist.
Bei dieser Strategie gehen Sie von anhaltend steigenden Aktienmärkten aus. Wie kommen Sie zu dieser Annahme?
Es ist nicht einzusehen, weshalb sich die Aktienmärkte in den nächsten 30 Jahren schlechter entwickeln sollten als in den vergangenen 100 Jahren. Entscheidend ist, dass die Gelder voll in Aktien investiert sind, und zwar nach dem «Buy and hold»-Prinzip, sprich Kaufen und Halten, und dass die Dividenden wieder angelegt werden.
Die Buy-and-hold-Strategie ist nicht unumstritten.
Tatsächlich ist die Strategie stark umstritten. Das war sie aber immer. Dies liegt nicht zuletzt an den perversen Anreizstrukturen in der Finanzindustrie. Denn ausser dem Kunden hat niemand ein Interesse an Buy-and-hold.
Der Kunde aber profitiert?
Es gibt kein besseres Investmentkonzept für langfristige Anleger. Mit einem systematischen Ansatz konnte kaum jemand langfristig eine bessere Performance erreichen. Warren Buffett vielleicht – aber auch er investiert eigentlich nach dem Buy-and-hold-Prinzip.
Welche perversen Anreizstrukturen sprechen Sie an?
Wenn jemand passiv in einen Index investiert und die Anlage nicht mehr anrührt, dann gibt es daran nicht viel zu verdienen. Der Ansatz ist äusserst langweilig, doch das ist erfolgreiches Investieren eigentlich immer. Nach dem gleichen Ansatz kann eine Grossmutter für ihre Enkel sparen.
Sie bezweifeln, dass die staatliche Vorsorge in 30 Jahren noch so sein wird wie heute. Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen für die Vorsorgewerke?
Unser Drei-Säulen-System ist weltweit etwas vom Besten, das es gibt, auch wenn es nicht perfekt ist. Aber es gibt Stellschrauben, die hin und wieder angepasst werden müssten. Offensichtlich scheitern die Anpassungen am politischen Prozess. Ein Beispiel von vielen: Der Umwandlungssatz ist nichts weiter als ein Zinssatz. Wenn sich dieser in den vergangenen zehn Jahren mehr als halbiert hat, dann muss auch der Umwandlungssatz angepasst werden. Das macht politisch unglaubliche Probleme, folgt aber der ökonomischen Logik.
Soeben wurde der Mindestzinssatz für Pensionskassengelder auf 1,25 Prozent gesenkt. Da bleibt für die Versicherten nicht mehr viel.
Die Ertragsraten sind, was sie sind. Real bleibt immer noch etwas und das Ganze gilt nur für den obligatorischen Teil.
Was empfehlen Sie 65-Jährigen, die vor ihrer Pensionierung stehen und privates Vorsorgekapital auf der Seite haben?
Es gibt eine Regel, die besagt, dass die Aktienquote «100 minus das Alter» betragen soll. Davon halte ich gar nichts. Eine Aktienquote hat nicht automatisch etwas mit dem Alter zu tun. Angenommen, ein heute 60-Jähriger hat das System angewandt und mit 30 zu sparen begonnen. Dann dürfte er heute, abzüglich Kosten, 1 Million Franken auf der Seite haben.
Was soll er nun tun?
Mit der Hälfte davon kann er sich, wenn er den Betrag in Zerobonds anlegt, während zwölf Jahren eine jährliche Rente von 50'000 Franken auszahlen. Dann ist er 72 Jahre alt. Doch es bleiben heute noch 500'000 Franken zur Anlage. Diese können im Aktienmarkt investiert bleiben, da es historisch, mit Ausnahme der Krisenjahre 1928 und 1929 keinen Zeitpunkt gab, in dem man über zwölf Jahre am Aktienmarkt Geld verloren hätte. Im Zweifelsfall bleibt der Betrag gleich, sodass für weitere zwölf Jahre mindestens eine Rente von 50'000 Franken ausbezahlt werden kann. Im Zweifelsfall aber mehr.
Damit kein Verlust anfällt, muss doch der Einstiegszeitpunkt günstig sein.
Selbst bei einem Einstieg auf dem Höhepunkt im Jahr 2000 haben die Anleger nichts verloren. Wichtig ist, dass die Dividenden reinvestiert werden.
Was halten Sie von Obligationen für die Vorsorge?
Auch Obligationen sind volatil. Wenn die Zinsen steigen, dann verliert man schnell 10 bis 15 Prozent. Selbst wer die Obligationen bis zum Verfall über eine Laufzeit von zehn Jahren hält, schneidet nicht besser ab als mit Aktien. Diese haben zwar eine höhere Volatilität, doch wen die Volatilität von Obligationen über zehn Jahre nicht interessiert, den sollte die Volatilität von Aktien über die gleiche Zeitspanne auch nicht interessieren.
Bei Obligationen erhalten die Anleger zusätzlich einen Zins.
Bei Aktien gibt es die Dividende. Die Dividendenrendite liegt durchschnittlich bei 2 bis 3 Prozent. Dadurch ergibt sich ein Zinseszinseffekt über den langen Anlagehorizont. Sollte die Dividende nicht automatisch reinvestiert werden, sollte das Geld nicht einfach verkonsumiert werden, sonst ist der Zinseszinseffekt, und damit die Performance, im Eimer. Deshalb lohnt sich der Kauf eines reinvestierenden Produktes.
Soll man besonders auf Aktien mit einer hohen Dividendenausschüttung setzen?
Nur wenn das Portfolio breit diversifiziert bleibt. Kann das Unternehmen die Dividende zudem aus der Agioreserve zahlen, kommen noch steuerliche Vorteile hinzu.
Was halten Sie von Gold als Reserve?
Gold ist nichts wert. Die Bewertung eines Finanzaktivums berechnet sich immer aus den abdiskontierten, zukünftigen Erträgen. Da Gold keine Erträge abwirft, ist es finanztechnisch wertlos. Hinzu kommt, dass das Edelmetall langfristig eine relativ schlechte Performance zeigte, auch wenn einzelne Leute darin eine Reservewährung sehen. Doch selbst im Ernstfall taugt Gold nicht als Währung. Dann übernehmen andere Güter die Rolle des Tauschmittels. Auch die übrigen Rohstoffe sind spekulative Güter, vergleichbar mit Kunstoder Sammelobjekten, die nicht in ein strategisches Anlageportfolio gehören. Ich will aber um Gottes Willen niemandem vor dem Glück stehen.
Je nach Werk hätte sich der Kauf von Kunst gelohnt.
Einzelne Arbeiten haben sich beeindruckend entwickelt. Doch die durchschnittliche Performance solcher Anlageklassen war nicht überragend. Zudem darf man diese «Preziosen» nicht mit durchschnittlichen Aktienanlagen vergleichen, sonst müsste man auch hier die besten Titel zum Vergleich heranziehen. Dann können Kunstobjekte wiederum nicht mithalten.
Viel Geld liegt nach wie vor auf Sparkonti. Doch diese haben inzwischen wohl ausgedient.
Man benötigt ein Transaktionskonto für den täglichen Gebrauch und die «eiserne Reserve». Der Rest sollte investiert werden, wobei auch Cash zur Asset Allocation gehört.
Doch wo soll das Geld deponiert werden, angesichts von möglichen Negativzinsen?
Die Negativzinsen sind unerfreulich, aber wohl nur vorübergehend. Ein Bankkonto bringt ohnehin Kosten. Wenn die Negativzinsen nicht überwälzt werden, dann würden die Gebühren erhöht. Zudem erzielen Sparer, dank der negativen Inflation, real dennoch einen Vermögenszuwachs.
Zusammengefasst lautet ihre Empfehlung also: Aktiensparen, langfristig, diszipliniert und emotionslos.
Dies gilt für die persönliche Vorsorge. Zwar wäre auch eine Lösung über die dritte Säule möglich. Dann müsste man die Restriktion aufgeben, dass statt 100 Prozent nur 50 Prozent in Aktien investiert werden darf. Die dritte Säule dient zur langfristigen Vorsorge, also sollte man auch die langfristigen Charakteristika der Finanzmärkte ausnützen dürfen. Viele Leute haben aber noch nicht verstanden, dass der Aktienmarkt einen langfristigen Trend nach oben von 5 bis 8 Prozent zeigt, da sie sich nicht vorstellen können, woher der Trend kommt.
Sagen Sie es uns.
Er kommt von den Gewinnen der Unternehmen. Und diese werden solange steigen, als wir alle zusammen Lust an Innovation haben und unser Erfindergeist nicht zur Neige geht. Und glauben sie mir, die kommenden Generationen werden diesbezüglich mindestens so begierig sein, wie wir es waren und sind.
* Erwin Heri ist Professor für Finanztheorie und Partner bei der Fintool AG. Er studierte in Basel, Bern und Stanford. Das Unternehmen Fintool.ch ist eine videobasierte Internetplattform für die Finanzausbildung. |