Auch das ist eine Form von Anlagenotstand. Value-Anleger sind frustriert. Und zwar rund um den Globus. Während es beispielsweise den Dow Jones in den letzten zwölf Monaten um rund 15 Prozent nach oben gezogen hat, hinken US-Value-Fonds und -ETFs weit zurück. Der USA Value-ETF (ISIN: IE00BD1F4M44) notiert heute auf demselben Kurslevel wie vor einem Jahr. Auch auf Sicht von zwei Jahren zeigen Value-Investments eine klare Underperformance. Während der Dow Jones in den letzten 24 Monaten ein Plus von 30 Prozent abwirft, brachten Value-ETFs oft nur halb so viel Rendite.
Nicht viel anders sieht die Entwicklung am heimischen Aktienmarkt aus. Während der SPI Total Return in den letzten zwölf Monaten um 20 Prozent zulegen konnte, treten viele heimische Value-Fonds auf der Stelle.
Value-Investoren setzen auf hoch bewertete Titel…
Aber nicht nur Value-Anleger sind frustriert, auch die Manager von Value-Fonds und anderen Value-Anlagevehikel sind unzufrieden. Sogar renommierte Value-Häuser greifen inzwischen nach neuen Anlagen und vollziehen damit zumindest teil- oder zeitweise einen Paradigmenwechsel.
Nicht mehr «value» – also unterbewertete Aktien mit tiefem Kurs/Gewinn- (KGV) oder Kurs/Buchwert-Verhältnis (KBV), hoher Dividende und reichlich Eigenkapital – stehen jetzt im Fokus, sondern Wachstum, Tech, hochgehypte Werte und auch teils massiv überhitzte Qualitätsaktien.
Nicht wenige grundsätzlich value-orientierte Investoren legen sich wegen der Kursflaute bei grundsoliden Titeln nun ganz andere Werte ins Portfolio. Da taucht etwa eine Zalando auf. Der Online-Händler wächst zwar rasant, ist aber mit KGVs weit über 50 kein Schnäppchen und ganz sicher nicht «value».
… und Warren Buffett legt sich Amazon ins Depot
Sogar Investorenlegende und Value-Papst Warren Buffett scheint die Flaute an den Nerv zu gehen. Erst vor zwei Monaten Anfang Mai berichtete der Investor über den Einstieg seiner Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway (ISIN: US0846707026) bei Amazon. Amazon ist mit einer Marktkapitalisierung von 850 Milliarden Dollar – zum Vergleich: Nestlé bringt es auf etwa 300 Milliarden Dollar – nicht nur die gewichtigste Aktie der Welt, sondern scheint mit einem geschätzten 70er-KGV in diesem Jahr ebenfalls wie Zalando alles andere als günstig und damit überhaupt nicht «value».
Aber überwiegend aufgrund von – nicht realisierten – Kursverlusten im Portfolio von Berkshire Hathaway im ersten Quartal in Höhe von 25,4 Milliarden Dollar kommt offensichtlich sogar ein Buffett unter Druck und sucht nach neuen Performance-Treibern. Amazon immerhin bringt in diesem Jahr bereits ein Kursplus von 20 Prozent und hat sich in den letzten zwei Jahren kursmässig verdoppelt.
«Es ist wesentlich besser, ein wundervolles Unternehmen zu einem fairen Preis zu kaufen, als ein faires Unternehmen zu einem wundervollen Preis zu erwerben.»
Warren Buffett
Experten warnen aber – das Ende des Tech-Booms könnte kurz bevorstehen
Angesichts der Value-Flaute auf der einen und den hohen Kursgewinnen bei Techs andererseits ist die Versuchung also hoch die Performance noch zu retten. Kritische Beobachter sagen aber: Wenn sogar schon Value-Investoren anfangen, hochgejubelte und überbewertete Tech-Titel oder überhitzte Qualitätsaktien wie etwa auch eine Nestlé – der Nahrungsmittelkonzern kommt immerhin bereits auf ein KGV im Bereich um 25 – ins Portfolio zu legen, dann könnte das ein Zeichen dafür sein, dass es bald zum nächsten Paradigmen- und Zyklen-Wechsel kommt: Nicht mehr «Tech-» und «Wachstum» könnten kursmässig die Nase vorne haben, sondern wieder «value».
Für value-orientierte Anleger bedeutet das: Auch wenn die aktuelle Underperformance frustrierend ist: Dabei bleiben. Denn langfristig betrachtet bietet Value-Investing die Chance auf eine klare Outperformance zum breiten Aktienmarkt. Dazu gleich noch mehr.
Value-Investoren haben vor allem Geduld
Und Value-Investing ist grundsätzlich auch mit Geduld verbunden. Denn bei diesem Investment-Stil kaufen Anleger Aktien, die unter ihrem fairen Wert notieren. Der Vater des Value-Investing, der Dozent und Wirtschaftswissenschaftler Benjamin Graham – einer seiner Schüler war übrigens Warren Buffett – hatte Ende der 1920er-Jahren herausgefunden: Aktien haben einen inneren, einen fairen Wert und der Kurs der Aktie schwankt um diesen Wert. Die Aktie ist damit manchmal zu teuer und manchmal zu billig.Und genau in Zeiten der Unterbewertung steigen Value-Investoren ein. Sie warten dann ab, bis der Kurs den fairen Wert erreicht.
Ein Kompass für die Ermittlung von «billig» und «teuer» sind die anfangs erwähnten Kennzahlen wie KGV oder KBV. Natürlich gibt es noch andere Dinge und wer es als Value-Investor ganz genau nimmt, betrachtet bei der Bewertung auch weiche Faktoren wie das Management oder die Marken und Markstellung eines Unternehmens.
Bisher lag Buffett auf lange Sicht auf der Seite der Gewinner
Buffett sagt dazu: «Es ist wesentlich besser, ein wundervolles Unternehmen zu einem fairen Preis zu kaufen, als ein faires Unternehmen zu einem wundervollen Preis zu erwerben.» Vielleicht hat Buffett jetzt auch mit Amazon den richtigen Riecher. Immerhin hatte man den Star-Investor auch zur Jahrtausendwende schon belächelt. Sein Investment-Stil des «Kaufen und liegen lassen» sei out und Substanz nicht gefragt. Das mag zwar wie aktuell auf den ersten oberflächlichen und schnellen Blick richtig scheinen, aber die langfristige Performance gibt Buffett dann doch recht.
Bringt der Dow Jones in den letzten 19 Jahren seit Juli 2000 im Jahr des Platzens der Dot.com-Blase «nur» ein Plus von rund 150 Prozent, so kletterte die auf unterbewertete Aktien fokussierte Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway im gleichen Zeitraum auf das Sechsfache: +500 Prozent. Und vielleicht ist am Ende doch sogar auch eine Amazon «value». Buffett wird’s schon wissen.