Womöglich hilft es, sich diesem gigantischen Projekt des Energieverbunds Lengg mit einigen Kennzahlen zu nähern. 10'000 Tonnen CO2 werden ab 2027 jährlich eingespart, was vier Millionen Litern fossilem Erdöl oder 1400 bewaldeten Fussballfeldern entspricht, deren Bäume der Atmosphäre CO2 entziehen. Seit dem Herbst werden zwei Seewasserleitungen (jeweils 230 Meter lange Rohrschlangen mit einem Durchmesser von 80 cm) auf dem Zürichsee verlegt. Die Planung läuft seit zwölf Jahren, und die Gesamtkosten betragen mindestens 70 Millionen Franken.
Und schliesslich: Der Anteil an erneuerbarer Energie beträgt 90 Prozent – und ab 2040 sogar 100 Prozent.
Diese Ziffern verdeutlichen die Dimensionen des Energieverbunds Lengg, der europaweit grössten Partnerschaft dieser Art. Es ist eine gemeinsame Operation von mehreren renommierten Zürcher Kliniken, die mit Energie aus dem Zürichsee versorgt werden. Und es ist das Leuchtturmprojekt der Zusammenarbeit im Gesundheitscluster Lengg auf verschiedenen Ebenen.
Durchgeführt und finanziert wird der Bau durch das Zürcher Unternehmen Energie 360°, deren Gesamtprojektleiter Mark Disler bei seinen Ausführungen ins Schwärmen gerät: «Das ist für uns in allen Bereichen ein grosses und grossartiges Projekt. Es ist allein schon ziemlich spektakulär, auf diese Weise Energie aus dem Zürichsee zu holen, sie zu veredeln und schliesslich den beteiligten Instituten zur Verfügung zu stellen.» Es sei auch technisch ein modernes und gleichzeitig anspruchsvolles Vorhaben mit Strahlkraft, sagt Disler.
Bei der idyllischen Wässerig-Wiese in Zollikon entsteht seit dem Frühling 2024 auf einer imposanten Baustelle die Seewasserzentrale. Das Wasser wird etwa 220 Meter vor dem Ufer in einer Tiefe von über 30 Metern entnommen und zur unterirdischen Energiezentrale geleitet. Von dort aus wird die Energie über ein Fernleitungsnetz übertragen, um den Zürcher Stadtteil Lengg sowie die Gemeinde Zollikon mit erneuerbarer Energie zu versorgen. Die Verbindungsleitung ins Gebiet Lengg wird mittels Spülbohrungen errichtet, wodurch Lärm und Staub minimiert werden. Sobald die Leitung im Gebiet ankommt, werden die Verteilleitungen herkömmlich verlegt. «Alle Aufgaben müssen perfekt erledigt werden», sagt Mark Disler, «weil es bei den angeschlossenen Instituten nie zu einem Energieausfall kommen darf.»
Und auch für das generelle Ziel von Energie 360°, alle Anlagen bis 2040 mit erneuerbarer Energie zu beliefern, sei das Projekt enorm bedeutsam.
Beim Gesundheitscluster Lengg ist die Begeisterung über die klimaneutrale Energieversorgung ebenfalls spürbar. Christian Clement ist der Geschäftsführer des Vereins, in dem sich 2016 die wichtigsten Institutionen Lenggs zusammengeschlossen haben. Dieser bündelt die Interessen der Kliniken mit teilweise unterschiedlicher Ausrichtung.
Christian Clement betont, dass alle Beteiligten gemeinsam an einem Strang ziehen: «Es ist schön zu sehen, dass die Mitglieder des Gesundheitsclusters Lengg, die teilweise auch Konkurrenten sind, näher zusammengerückt sind. So ergeben sich viele sinnvolle Synergien, von denen alle profitieren.» Die Verantwortlichen der Institute pflegen heute einen regen Austausch, die Kliniken stellen sich gegenseitig zum Beispiel auch Räumlichkeiten zur Verfügung.
Im Gesundheitscluster Lengg sind die Universitätsklinik Balgrist, die Klinik Hirslanden, die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, die Schulthess Klinik, die Schweizerische Epilepsie-Stiftung, die Klinik Lengg sowie die Mathilde-Escher-Stiftung und das Kinderspital vertreten. In ein paar Jahren werden sie ebenso wie die Gemeinde Zollikon mit thermischer Energie aus dem Zürichsee versorgt werden, Balgrist, Hirslanden, Schulthess und EPI bereits ab 2027. «Im Gesundheitscluster setzen wir uns für Nachhaltigkeit ein, weshalb der Energieverbund für uns einen hohen Stellenwert hat», sagt Clement.
Ganzheitlicher Service für eine klimafreundliche Zukunft
Mit dem Energieverbund Lengg erhalten die angeschlossenen Kliniken nicht nur erneuerbare Energie, sondern auch einen umfassenden Service, der den Betrieb deutlich erleichtert. Energie 360° bietet ein Rundum-sorglos-Paket: Von der zuverlässigen Energieversorgung über eine Fernüberwachung bis hin zu einem Pikettdienst – alle technischen Aufgaben werden übernommen. Dadurch können sich die Kliniken voll auf ihre Patientenversorgung konzentrieren, während gleichzeitig stabile Energiekosten garantiert sind. Der Energieverbund sorgt so nicht nur für eine klimafreundliche Lösung, sondern auch für betriebliche Effizienz und Planbarkeit.
Nach ausführlichen Beratungen und Studien hat sich der Verein für das ambitionierte Seewasserprojekt entschieden, weil es langfristig gesehen die nachhaltigste und sinnvollste Lösung ist. Christian Clement betont den Mehrwert für alle angeschlossenen Institutionen sowie den Vorzeigecharakter: «Es ist ein starkes Signal, die Herausforderungen der Zukunft gemeinsam anzugehen. Davon profitieren alle, weil es viel schwieriger und weniger effizient wäre, wenn jede Institution einen eigenen Weg gehen würde.»
Mit fast 10'000 Mitarbeitenden, rund 1500 Betten und etwa 50'000 Patientinnen und Patienten im Jahr sowie einem Umsatz von 1,3 Milliarden Franken jährlich sind die Partner im Gesundheitscluster Lengg auch volkswirtschaftlich ein entscheidender Faktor für Zürich. Der Energieverbund ist symbolhaft für den wegweisenden Zusammenschluss.
Der Zeitplan sieht vor, dass 2025 vor allem weiter an der Seewasserzentrale und an den Leitungen gearbeitet wird, während 2026 die neuen Energiezentralen in den Institutionen gebaut werden. Schliesslich benötigen die beteiligten Spitäler viel Kälte für die Kühlung der OP-Säle und der Geräte, aber auch jederzeit genügend Wärme. «Wenn der Hebel dann umgelegt wird», sagt Christian Clement, «darf nichts schiefgehen.»
Vielleicht wird man in ein paar Jahrzehnten sagen, dass mit dem Energieverbund Lengg ein Meilenstein gelegt worden sei. Und auch die Wässerig-Wiese in Zollikon wird nach den Bauarbeiten dank einiger Aufwertungen in neuem Glanz strahlen.