An König Artus’ Tafelrunde sassen je nach Erzählung zwischen 12 und 16 Ritter, die über die Ethik der Ritterlichkeit diskutierten. Auch der sogenannte Business Roundtable ist eine Tafelrunde. Nur sitzen dort statt Ritter die Vorsitzenden der mächtigsten US-Unternehmen.
Larry Fink von Blackrock und Tim Cook von Apple gehören dem Roundtable genauso an wie Jamie Dimon, Chef der grössten US-Bank JP Morgan. Auch der Roundtable befasst sich mit Grundfragen, solchen der Wirtschaft allerdings.
Internationale Aufmerksamkeit erregte dieses Gremium 2019 mit einem überraschenden Bekenntnis zum wahren Zweck des unternehmerischen Wirkens.
Ein Unternehmen soll sich nicht mehr bloss dem Profit und damit den Interessen der Besitzer und Aktieninhaber verschreiben, sondern gleichberechtigt immer auch die Interessen von Kundinnen und Kunden, Beschäftigten, Zulieferern und der Gemeinschaft, in dem es tätig ist, im Auge haben.
Die Jahrzehnte der auch vom Roundtable hochgehaltenen Doktrin der Orientierung am sogenannten Shareholder-Value warfen die Managerinnen und Manager über Bord. An die Stelle der reinen Profitorientierung tritt jene am Stakeholder-Value; gesellschaftliche Verantwortung wird als wichtiger erachtet als die Profitmaximierung.
«The Business of Business is Business»
Seit Nachhaltigkeit in Bezug auf die Umwelt (Ecology), gesellschaftliche Verantwortung (Social) und gute Unternehmensführung (Governance) – zusammengefasst mit ESG – auch in der Wirtschaft an Bedeutung gewonnen hat, ist die Orientierung am Stakeholder-Value endgültig zum neuen Imperativ für Unternehmerinnen und Unternehmer und das Topmanagement geworden.
In der Praxis ist das aber mit erheblichen Herausforderungen verbunden. Das war ein wesentlicher Grund, weshalb der 2006 verstorbene Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman sich einst vehement gegen eine Verantwortung von Unternehmen über den Profit hinaus ausgesprochen hat.
«The Business of Business is Business»: Das Geschäft der Unternehmen ist ihr Geschäft, war Friedmans berühmter Leitspruch. Eine gesellschaftliche Verantwortung hat hier nichts verloren.
Um erfolgreich zu geschäften, müsste es laut Friedman ohnehin im Interesse der Unternehmen sein, ihre Stakeholder zufriedenzustellen. Darüber hinausgehende gesellschaftliche Ziele obliegen anderen Institutionen und der Politik.
Ein schwer zu bewältigender Spagat
Welchen Schwierigkeiten Unternehmen begegnen, wenn ihr Management sich für gesellschaftliche Anliegen ausspricht, wurde jüngst besonders deutlich. Ein Beispiel ist Disney-CEO Bob Chapek. Ihm ist die gesellschaftliche Verantwortungsgeschichte über den Kopf gewachsen.
«Die Öffentlichkeit erwartet heute eine politische Stellungnahme von Unternehmen.»
Als im US-Staat Florida – wo Disney besonders mit Disney World stark vertreten ist – der Unterricht über Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung auf der Unterstufe (Kindergarten bis dritte Klasse) verboten werden sollte, äusserte sich der Disney-Chef erst nicht dazu. Dafür kam er in der Öffentlichkeit unter Druck.
Es wurde ihm als Billigung des neuen Gesetzes ausgelegt. Der Disney-Aktienwert sackte auch deshalb deutlich ab. Als Chapek sich darauf entschuldigte und das Gesetz öffentlich kritisierte, entzog dann aber der republikanische Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, Disney Steuervorteile.
Die Debatte hat auch die Schweiz erreicht
Das neue Engagement der Unternehmen trägt zuweilen aber auch Früchte. Das Trust-Barometer der US-Beratungsfirma 2022 zeigt, dass die Bevölkerung den Unternehmen mehr gesellschaftliche Verantwortung zutrauen als der Regierung.
Die Debatte hat auch die Schweiz erreicht. Die Zögerlichkeit, mit der sich der Schweizer Multi Nestlé aus dem russischen Geschäft zurückzog, brachte eine Welle an Hassnachrichten im Internet mit sich. Die Öffentlichkeit erwartet heute eine politische Stellungnahme von Unternehmen.
Erfüllen sie die Erwartung nicht, werden die Firmen und als Sündenböcke deren Topmanagement auf die öffentliche Anklagebank gezerrt.
«Die Einnahme politischer Rollen durch Wirtschaftsgrössen stösst auch bei der Bevölkerung in der Schweiz auf hohe Akzeptanz.»
Unternehmen kommen heute kaum mehr darum herum, sich zu gesellschaftspolitischen Fragen zu positionieren. Das tun denn auch immer mehr Schweizer Unternehmen vermehrt. Während sie bisher indirekt via Verbände und Lobbyisten die Politik zu beeinflussen trachteten, tun es heute ihre Chefinnen und Chefs selbst und immer lauter.
Und sie scheinen sich darin bisher wohlzufühlen: Der Breitling-Chef Georges Kern politisiert für die GLP, der sonst verschwiegene Vontobel-Chef Zeno Staub äusserte sich öffentlich im Abstimmungskampf zum CO2-Gesetz und der Roche-VRP Christoph Franz fiel mit Äusserungen zu einem Impfzwang auf.
Die Einnahme politischer Rollen durch Wirtschaftsgrössen stösst auch bei der Bevölkerung in der Schweiz auf hohe Akzeptanz – die bisher oft gescholtenen Grossunternehmen werden greifbar. Immerhin gab es in der Schweiz eine Konzernverantwortungsinitiative, die implizit davon ausging, dass grosse Konzerne ohne staatliche Massregelung unverantwortlich handeln.
Jetzt geben sich Unternehmenslenkerinnen und -lenker alle Mühe, das Gegenteil zu beweisen.
Neue Regeln noch und noch
Gesteigert wird die Herausforderung auch durch staatliche Regulierungen. Und die Veröffentlichung eines Nachhaltigkeitsreports basierend auf neu etablierten Standards ist für Unternehmen praktisch zur Pflicht geworden. Es gilt nicht nur transparent zu zeigen, wo das Unternehmen steht, sondern auch, was es alles für die Gesellschaft tut.
Das führt dann auch zu «Schönrederei» oder einem unnötigen Aufwand, wie Kritikerinnen und Kritiker bemängeln. Wer aber einen Nachhaltigkeitsreport erstellt, wird belohnt: mit höheren ESG-Rankings, positiver Berichterstattung und gesteigertem Interesse.
«Es werden bereits wieder Stimmen laut, die eine Trennung der Wirtschaft und der Gesellschaft fordern.»
Die geschäftlichen Ziele mit diesen teilweise auch diffusen und widersprüchlichen Ansprüchen an Nachhaltigkeit im Bereich Umwelt, Soziales und Führung zusammenzuführen, ist für Führungskräfte von Unternehmen aller Grössen jedenfalls eine Gratwanderung.
Solange aber das Vertrauen in Regierungen weiter schwindet, wird von der Wirtschaft noch mehr erwartet, dass sie eine Führungsrolle übernimmt. Doch die Gefahr ist gross, dass Firmen damit überfordert werden.
Kein Wunder, werden bereits wieder Stimmen laut, die eine Trennung der Wirtschaft und der Gesellschaft fordern. So könnten die Ideen von Milton Friedman eine Wiedergeburt erleben: The Business of Business is Business.
Der Rest ist Aufgabe demokratisch gewählter Regierungen, die Regeln im Sinn der Nachhaltigkeit setzen, an denen sich dann die Unternehmen auszurichten haben.