Vollbeschäftigung, niedrige Zinsen – und an den Tankstellen kostet das Benzin gerade einmal halb so viel wie vor zwei Jahren. Und doch haben die USA einen Wahlkampf erlebt, der von Beleidigungen und Hass geprägt war. Der siegreiche Donald Trump gewann auch deshalb, weil er wirtschaftspolitische Versprechen abgab, die Experten für abwegig oder völlig absurd halten.

Schlagworte wie «Desaster» und «Phantasieprogramm» zeugten in den vergangenen Wochen von der Fassungslosigkeit vieler Ökonomen. Elf Millionen Einwanderer sollen das Land verlassen, Importzölle massiv steigen, die Rückkehr zu fossilen Energieträgern wie Kohle hat Trump ebenfalls angekündigt. Sowohl für Familien als auch Konzerne will er die Steuern drastisch senken – gleichzeitig jedoch auch die Staatsschulden senken. Nicht zu vergessen: Die angekündigte Grenzmauer, deren Kosten von rund 25 Milliarden Dollar die Mexikaner übernehmen sollen.

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Mit seinem «Phantasieprogramm» trifft Trump auf eine Wirtschaft, die längst nicht mehr so gut in Form ist, wie sie es sein könnte. Die «Handelszeitung» zeigt die fünf wichtigsten wirtschaftspolitischen Baustellen der USA und legt dar, wie Trump dazu steht.

1. Stagnierende Löhne 

Lange galt die USA als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. In der Realität jedoch ist das Gegenteil der Fall: Die Reallöhne der meisten Menschen steigen bereits seit Jahrzehnten nicht mehr (siehe Grafik). Einer kleinen Gruppe von Profiteuren steht eine grosse Masse an vermeintlich Abgehängten gegenüber. Das spielte Trump klar in die Hände.

Das Problem: Zwar hat die US-Wirtschaft die globale Krise viel schneller als die meisten anderen Industriestaaten hinter sich gelassen. Die Arbeitslosenquote hat sich seit 2009 auf unter 5 Prozent halbiert – damit herrscht nach gängiger Definition Vollbeschäftigung. Doch diese Zahl täuscht über die wahre Verfassung des Arbeitsmarkts hinweg. Neue Jobs wurden nicht in der Industrie geschaffen, sondern vor allem im schlechter bezahlten Service-Sektor. Statt Ingenieuren, Mechanikern und Maschinenführern sind Krankenschwestern, Köche und Verkäufer gefragt.

Der Niedriglohnsektor boomt, während im mittleren Bereich kaum neue Jobs entstehen. Und gemäss den Langfristprojektionen des US-Arbeitsministeriums ist vorerst kein Ende in Sicht. Also brauchen die USA einen grösseren Sozialstaat. Das sagt selbst Hans-Werner Sinn, der langjährige Präsident des Münchner Ifo-Instituts und Verfechter eines schlanken Staates (Video). Die OECD empfiehlt mit Blick auf die USA sogar eine Anhebung des Mindestlohnes. Dafür plädierte zuletzt auch Trump.

 

2.  Lahmende Produktivität

Doch mehr Umverteilung bekämpft am Ende womöglich doch nur ein Symptom. Denn die wahren Probleme der US-Wirtschaft liegen tiefer: Seit Jahren wächst die Produktivität kaum noch, die stagnierenden Löhne spiegeln diese Entwicklung. Ein Phänomen, das in vielen Ländern – inklusive der Schweiz – zu beobachten ist und Ökonomen Rätsel aufgibt. 

Lange galt die US-Wirtschaft als besonders wachstumsstark. Doch sukzessive hat die amerikanische Notenbank Fed das langfristige Wachstumspotenzial in den vergangenen Jahren nach unten korrigiert. Das Problem: Der vor der Finanzkrise boomende Immobilienmarkt überzeichnete die Schlagkraft der grössten Volkswirtschaft der Welt.

Um die Produktivität zu steigern, will Trump Steuern kürzen und weniger Regulierung für Firmen. Keith Wade, Chefökonom von Schroders, hält eine andere Marschroute für richtig: «Entscheidend ist, dass die Wirtschaft besser in Gang kommt. Die Geldpolitik ist mit ihren Möglichkeiten weitgehend am Ende», sagt er. «Jetzt muss der Staat Geld in die Hand nehmen und Investitionen anschieben.» 

3.  Marode Infrastruktur

Immerhin: Sowohl Demokraten als auch Republikaner sind sich einig, dass der Staat die marode Infrastruktur auf Vordermann bringen muss. Einst war das Land führend, doch Vorzeigeprojekte wie den Hoover Dam und die Golden Gate Bridge gibt es schon lange nicht mehr. Die Realität sind einstürzende Autobahnbrücken und marode Trinkwassersysteme. Der amerikanische Verband der Bauingenieure zählte im vergangenen Jahr 88 hochgefährliche Staudämme und 1300 strukturell mangelhafte Brücken.

Bis 2020 sind Investitionen in Höhe von 3,6 Billionen Dollar nötig, damit sich die zerbröselnde Infrastruktur nicht negativ auf das Wachstum auswirkt. Die Summe entspricht einem Fünftel der jährlichen Wirtschaftsleistung. Richtig umgesetzt, könnten Infrastrukturinvestitionen für die US-Wirtschaft eine Positivspirale in Gang setzen. Doch dazu müssten auch Ausgaben für erneuerbare Energien und nachhaltigen Transport gehören. In der Rückbesinnung auf Kohlekraftwerke kann die Zukunft der grössten Volkswirtschaft der Welt nicht liegen. Und: Mit Trumps Ankündigung grossflächiger Steuersenkungen ist ein Infrastrukturprogramm nicht finanzierbar.

4.  Handelspolitik in der Sackgasse

Wie kein anderes Land auf der Welt standen die USA in den vergangenen Jahrzehnten für freien, grenzüberschreitenden Handel. Doch breite Schichten fühlen sich abgehängt, wähnen sich trotz günstigen Konsumgütern als Opfer der Globalisierung. Diese Stimmung machte sich Trump bereits zu Beginn seines Wahlkampfes zunutze, als er die Vorzüge des Freihandels leugnete. Diversen Ländern warf er zuletzt vor, Amerikaner mit einer künstlich schwachen Währung «auszubeuten». Bei vielen Wählern traf Trump damit den Nerv.

Konkret stellt er sich gegen die geplante Transpazifische Handelspartnerschaft mit 13 Staaten der Pazifikregion, darunter Japan, Australien und Malaysia. Auch das amerikanisch-europäische Abkommen TTIP will er verhindern. Mit seiner Politik will Trump Millionen Arbeitsplätze, die in den vergangenen Jahren nach Asien und Mexiko verschwanden, wieder in den USA ansiedeln. Vor allem die Verlagerung der Autoindustrie von Detroit nach Mexiko ist ihm ein Dorn im Auge.

Doch ein Rückfall in den Protektionismus ginge mit hohen Kosten für viele Menschen einher. Geplante Zölle auf Produkte aus Mexiko und China in Höhe von bis zu 45 Prozent treiben die Konsumentenpreise. Müssen Millionen Migranten wie angekündigt das Land verlassen, schrumpft der Pool von Arbeitnehmern – was unweigerlich zu Lohnsteigerungen führt, bei gleichzeitig schwacher Wirtschaft. Stagflation wäre eine reale Gefahr. 

5.  Ungenügende Bildung

Die Fähigkeiten vieler Jobsuchender in den USA und die Anforderungen einer zunehmend digitalisierten Wirtschaft liegen immer weiter auseinander. Zwar existiert eine hervorragend ausgebildete Elite, doch in der Breite herrscht Tristesse: Erwachsene wie auch Jugendliche schneiden bei international vergleichbaren Wissens- und Mathetests seit Jahren unterdurchschnittlich ab. Gemäss OECD gibt es kaum Durchlässigkeit zwischen den Einkommensschichten. Nur jeder zehnte Student an den 150 besten Universitäten kommt aus der unteren Mittelschicht. College-Kredite belasten Absolventen oft über Jahrzehnte.

So bleibt der amerikanische Traum – vom Tellerwäscher zum Millionär – ein Hirngespinst.  Dabei könnten höhere Investitionen in Bildung die Chancen auf höhere Löhne für alle Amerikaner steigern – nicht sofort, aber auf lange Sicht. Allerdings hielt sich Trump im Wahlkampf sehr bedeckt mit seinen Plänen. Dabei gilt die Bildung bei vielen Amerikanern gemäss Umfragen als eines der wichtigsten Themen überhaupt.

Bekannt sind heute lediglich Trumps persönliche Bemühungen auf dem Gebiet: 2004 gründete er die Trump University, die Kurse zu Immobilienhandel und Vermögensverwaltung anbot. Teilnehmer zahlten offenbar bis zu 35 000 Dollar pro Seminar an das Institut, das nie als Hochschule anerkannt wurde. Wegen illegaler Geschäftspraktiken reichte der Bundesstaat New York 2013 Klage ein. Die Vorwürfe sind noch immer nicht aus der Welt – im Gegenteil: Ende Monat startet ein weiterer Prozess. Dann muss der designierte Präsident der Vereinigten Staaten womöglich selbst vor Gericht aussagen.