Trotz des Strafzinses von 0,10 Prozent nutzen viele Banken die Einlagefazilität der Europäischen Zentralbank (EZB). Per Sonntagabend stieg das Volumen weiter auf über 26 Milliarden Euro an. Händler vermuteten, dass einige Institute aus regulatorischen oder buchhalterischen Gründen ihr Geld bei der Notenbank horteten. Nach Aussage eines Händlers sind es vor allem Banken, die noch am Tropf der EZB hängen. Möglicherweise handele es sich auch um Banken, die Kredite vergeben hätten, sagte ein anderer Händler. Dies liege durchaus im Sinne der EZB.
Die Überschussliquidität – also das Geld, das die Banken nicht zur Erfüllung der Mindestreserve benötigen – lag bei 133 Milliarden Euro. Die Tagesgeldsätze notierten laut Händlern in einer Spanne von minus 0,02 bis plus 0,02 Prozent. Der Interbankenzinssatz für Übernachteinlagen Eonia sei per Freitag mit 0,025 Prozent über dem an Fronleichnam erreichten Rekordtief von 0,010 Prozent festgestellt worden. Angesichts des Monats-, Quartals- und Halbjahres-Ultimo in einer Woche dürften die Sätze im Wochenverlauf eher etwas anziehen, fügte ein Händler hinzu.
Draghi: «Das ist ein Signal»
Derweil können sich Anleger und Investoren wohl darauf einstellen, dass die Leitzinsen im Euroraum noch lange an der Nulllinie kleben werden. Darauf deuten Äusserungen ranghoher Notenbanker vom Wochenende hin. Gefragt danach, wie lange die Zinsen noch niedrig blieben, sagte EZB-Chef Mario Draghi der niederländischen Zeitung «De Telegraaf»: «Wir haben den Zugriff der Banken auf unbegrenzte Liquidität bis Ende 2016 verlängert. Das ist ein Signal.»
Draghi spielte damit auf die sogenannte «Vollzuteilung» an, die die Europäischen Zentralbank (EZB) Anfang Juni um eineinhalb Jahre verlängert hatte. Seither können die Geldhäuser bis Ende 2016 darauf zählen, dass sie sich bei der Notenbank gegen Sicherheiten so viel Zentralbankgeld wie benötigt leihen können. Bisher galt das Verfahren nur bis Mitte 2015.
Zinswende in der Euro-Zone nicht vor 2016?
Draghi verwies zudem auf das ebenfalls Anfang Juni beschlossene neue Kreditprogramm der EZB, unter dem sich die Banken Zentralbankgeld für bis zu vier Jahre leihen können. «Das zeigt, dass die Zinssätze über eine längeren Zeitraum niedrig bleiben werden." Wenn sich die wirtschaftlich Erholung festige, würden auch die Leitzinsen wieder steigen, sagte Draghi. EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny schlug in die gleiche Kerbe. Der österreichischen «Kronen Zeitung» sagte er: «Sobald es ein deutliches Wachstum, also mehr als zwei Prozent gibt, tritt die Zinswende ein. Das wird aber aus heutiger Sicht kaum vor 2016 sein.»
Notenbankchef Draghi liess abermals die Tür offen für breitangelegte Wertpapierkäufe (Quantitative Lockerung). Diese kämen in Frage, falls sich Inflation oder Inflationserwartungen weiter verschlechterten. Ein derartiges Programm könne sich sowohl auf Staatsanleihen als auch private Kredite beziehen.
Die EZB hatte Anfang Juni ein umfangreiches Lockerungspaket beschlossen, um zu verhindern, dass der Euroraum in eine wachstumsschädliche Deflation abgleitet. Sie reduzierte ihre Leitzinsen auf neue Tiefstände, führte eine Gebühr auf EZB-Bankeinlagen ein (Negativzins) und kündigte neue Langfristkredite für die Banken an. Zudem setzte sie den Entzug von Zentralbankgeld aus, das sie einst durch Staatsanleihekäufe geschaffen hatte (SMP-Sterilisierung) und verlängerte die Vollzuteilung.
(awp/reuters/moh/sim)