Aus Sicht von EZB-Chefin Christine Lagarde ist trotz der einsetzenden wirtschaftlichen Erholung die Zeit noch nicht reif für eine Diskussion über ein Ende der Krisen-Anleihenkäufe durch die Notenbank. «Es ist viel zu früh, um diese Themen zu debattieren», sagte Lagarde der Zeitschrift «Politico» in einem Interview, das die Europäische Zentralbank (EZB) am Montag auf ihrer Webseite veröffentlichte.

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Die konjunkturelle Erholung müsse fest, solide und nachhaltig sein. Man nehme einem Patienten nicht die Krücken weg, bevor die Muskeln beginnen, sich wieder ausreichend aufzubauen, so dass der Patient sich wieder auf seinen eigenen zwei Beinen bewegen könne.

Vorkrisenniveau im ersten Quartal 2022

«Wir sind an einem Wendepunkt», sagte Lagarde. Zwar müssten alternative Virus-Varianten beachtet werden, aber die Wirtschaft sei auf dem Weg der Besserung und schreite in Richtung Vorkrisenniveau voran. Dieses werde sie nach den jüngsten ökonomischen Projektionen der Notenbank-Ökonomen wahrscheinlich während des ersten Quartals 2022 wieder erreichen. Lagarde merkte aber an, dass sie damit nicht unterstelle, dass das Notfall-Kaufprogramm PEPP am 31. März stoppen werde.

«Wir haben genügend Flexibilität, aber was den wirtschaftlichen Ausblick angeht, bewegen wir uns in die richtige Richtung», sagte die EZB-Chefin. Ökonomen gehen derzeit davon aus, dass der EZB-Rat auf seiner Sitzung im September über ein Ende der PEPP-Käufe diskutieren wird. Die EZB hatte am Donnerstag auf ihrer Zinssitzung beschlossen, dass die Anleihenkäufe des billionenschweren Krisen-Programms PEPP auch im nächsten Quartal deutlich umfangreicher ausfallen sollen als zum Jahresstart.

Das auf 1,85 Billionen Euro angelegte Programm soll noch mindestens bis Ende März 2022 laufen und in jedem Falle so lange, bis die Krisenphase vorüber ist. Das PEPP ist eine der wichtigsten Waffen der Euro-Wächter im Kampf gegen die ökonomischen Folgen der Pandemie.

Streit zwischen Karlsruhe und Brüssel

Lagarde äusserte sich in dem Interview auch zu dem Streit über ein Urteil des deutschen Bundesverfassungsgericht vom Mai 2020. Das Gericht hatte damals ein älteres Staatsanleihe-Kaufprogramm der EZB als teilweise verfassungswidrig eingestuft. Damit stellten sich die Karlsruher Richter gegen den Europäischen Gerichtshof (EuGH), der Ende 2018 entschieden hatte, dass die Käufe nicht gegen das EU-Recht verstossen.

Lagarde merkte an, die EU müsse nicht nur auf das deutsche Verfassungsgericht achten, sondern auf alle derartigen Verfassungsgerichte oder höchsten Gerichte in den Ländern. «Aber soweit es uns betrifft, wir unterliegen europäischem Recht und wir fallen unter die Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs», sagte die Notenbankchefin.

Die EU-Kommission hat wegen des Karlsruher Richterspruchs inzwischen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Sie sieht in dem Urteil einen ernstzunehmenden Präzedenzfall. Die Kommission befürchtet, dass die Integrität des EU-Rechts und letztlich auch die europäische Integration beeinträchtigt wird. Dabei hat die Kommission besonders Länder im Blick, wo sie bereits ohnehin eine Schwächung des Rechtsstaatsprinzip sieht.

(reuters/gku)