Das Erfolgsmodell Schweiz ist bedroht – von innen wie von aussen. Von aussen, da sich immer mehr Länder wirtschaftlich abschotten, zum Teil hohe Zölle auf Importgüter erheben. Der zunehmende Protektionismus bedroht den freien Handel, auf den die kleine offene Volkswirtschaft Schweiz angewiesen ist.
Von innen, da die Bevölkerung immer weniger den Empfehlungen der Wirtschaftsverbände Folge leistet. Die Formel «Was gut ist für die Wirtschaft, ist gut für die Schweiz» hat viel von ihrer Durchschlagskraft verloren. Das war zuletzt beim Ja zu einer 13. AHV-Rente zu erkennen, könnte sich am 9. Juni bei den Abstimmungen zum Gesundheitswesen wiederholen.
Skepsis und Ängste
Wirtschaft und Bevölkerung scheinen sich zunehmend zu entfremden, es droht ein Graben zwischen Wirtschaft und Gesellschaft. Warum das so ist, wollte Heike Scholten (53) genauer wissen: «Die These, die Wirtschaft verliere Abstimmungen, weil die Bevölkerung wirtschaftsfeindlich sei, greift zu kurz», so die Sozialwissenschaftlerin und Unternehmerin. Also hat sie die «Wir, die Wirtschaft» ins Leben gerufen, um herauszufinden, was die Menschen in der Schweiz über die Wirtschaft denken. «Wir haben mit 70 ausgewählten Menschen eine Mini-Schweiz gebildet und einen Tag lang über die Wirtschaft gesprochen», erklärt Scholten.
Das Resultat der Auswertung der 21 Gruppendiskussionen und fast 1900 Gesprächsminuten zeigt: Die Bevölkerung ist zwar nicht wirtschaftsfeindlich, das Verhältnis ist allerdings von Skepsis und Ängsten geprägt. Zum Beispiel vor Wohlstandsverlust und sinkender Lebensqualität.
Stolz auf den Sonderfall
Ein zentraler Punkt: Die Menschen in der Schweiz fühlen sich dem Land sehr verbunden – und fordern das Gleiche von den Unternehmen ein. Die immer mal wieder geäusserten Abwanderungsdrohungen grosser Schweizer Firmen kommen bei der Bevölkerung schlecht an. Ebenso wie Briefkastenfirmen, die zwar Einnahmen bringen, «aber in den Gemeinden sonst nicht präsent sind», wie es in einer Diskussion heisst.
«Die Menschen sind stolz auf die Schweiz und ihr Erfolgsmodell», erklärt Scholten. «Sie wissen, dass wir wirtschaftlich und politisch ein Sonderfall sind.» Ein Sonderfall, der Wohlstand und Lebensqualität garantiert.
Eine globalisierte Wirtschaft ist zentral für den Erfolg der kleinen, offenen Volkswirtschaft Schweiz. Allerdings soll auch global fair und gerecht gewirtschaftet werden. Deshalb ist für die Studienteilnehmenden klar: Die Konzerne sollen die Verantwortung für die Umsetzung und Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards tragen, moderne Arbeitgeber sein und die Menschen ins Zentrum der Wirtschaftstätigkeit stellen.
Angst vor dem Abstieg
Vor allem die Menschen auf dem Arbeitsmarkt. «Themen rund um den Arbeitsmarkt bereiten sowohl auf persönlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene Sorgen», so Scholten. «Es geht um die Zuversicht in die persönliche Existenzgrundlage.» Deshalb sehen die Menschen die Arbeitgeber in der Pflicht, sich noch mehr um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, den Verbleib älterer Arbeitnehmender oder um existenzsichernder Löhne zu kümmern.
Die Studie zeigt: Viele Menschen plagen Zukunftsängste, gerade auch im Hinblick aufs Alter. Stagnierende Löhne und steigende Lebenshaltungskosten führten zu einer sich vergrössernden Schere zwischen Arm um Reich und zum Schwinden der Mittelschicht, wie viele befürchten. Auch wenn die Wirtschaft nicht alle Ängste nehmen kann, wichtig ist, dass sie die Sorgen und Nöte der Bevölkerung ernst nimmt. Damit das Vertrauen in das Erfolgsmodell Schweiz wieder wachsen kann.
Was ist wirklich gut
Interessant: Viele stört der von der Politik so hochgehaltene «Kantönligeist» bei den Steuern. Die unterschiedliche Belastung gleicher Einkommen je nach Kanton und Gemeinde sei nicht nachvollziehbar.
Was also tun: «Ohne eine gute Wirtschaft, keine gute Gesellschaft», sagt Scholten. «Allerdings müssen wir darüber streiten, was dieses «Gute» ist – auf der Basis von Fakten und Information.»
Oder man müsste die eingangs erwähnte Formel umschreiben: Was gut ist für die Schweiz und ihre Bevölkerung, ist auch gut für die Wirtschaft.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Blick.ch unter dem Titel «Das fordert die Bevölkerung von der Wirtschaft».
1 Kommentar
Die Wirtschaft hat es immer noch nicht begriffen. Der Ruf nach Fachkräften aus dem Ausland lässt die Bevölkerung der Schweiz anwachsen. Dieses Bevölkerungswachstum verursacht aber mehr Arbeit, als durch die Zuwanderung an Arbeitskraft in die Schweiz kommt. Der durch das Bevölkerungswachstum notwendige Ausbau der Infrastruktur bringt einige Probleme mit sich und kostet die Allgemeinheit viel Geld. Gleichzeitig nimmt die Lebensqualität ab. Wir brauchen zwar Zuwanderung, aber das Bevölkerungswachstum ist Gift für unsere Gesellschaft. Wir müssen die Wirtschaft so steuern, dass nicht weiter Firmen in die Schweiz ziehen und weitere Arbeitsplätze schaffen. Dann muss es zum Grundsatz der Schweiz werden, dass alle anfallenden Arbeiten mit der lokalen Bevölkerung abgearbeitet werden. Die Wirtschaft muss sich nach den aktuellen Bedürfnissen der arbeitswilligen Bevölkerung richten, mehr Flexibilität zeigen und die lokalen Arbeitskräfte bedarfsgerecht aus- und weiterbilden. Der Bevölkerung geht es nur gut, wenn es einer Wirtschaft gut geht die auch im Interesse der Allgemeinheit wirtschaftet. Eine Wirtschaft die ihre Manager und anderen Arbeitskräfte im Ausland holt wirtschaftet nicht im Interesse der Schweiz und der lokalen Bevölkerung.