Klimakrise und neues Umweltbewusstsein haben Begriffe hervorgebracht, die zwar von allen verwendet werden, deren Definition aber oft unklar bleibt. Ein Paradebeispiel dafür ist «grüne Wirtschaft», wie eine Studie der EPFL zeigt.
Grüne Wirtschaft, grünes Wachstum, nachhaltige Entwicklung, Bio-Wirtschaft, Kreislaufwirtschaft - Konzepte, die ein umweltfreundlicheres Gesellschaftssystem fordern, haben sich in den letzten Jahren vervielfacht, schrieb die ETH Lausanne (EPFL) am Dienstag in einer Mitteilung.
Um ein klareres Bild dieser neuen Konzepte zu erhalten, verglichen Albert Merino-Saum von der EPFL und seine Kollegen rund 140 Definitionen, die in wissenschaftlichen Zeitschriften (117) oder von internationalen Referenzorganisationen (23) veröffentlicht wurden. 95 dieser Definitionen bezogen sich auf «grüne Wirtschaft», 45 auf «grünes Wachstum», wobei die beiden Begriffe oft als Synonyme verwendet wurden.
Nach einigen Erwähnungen am Rande in den 1990-er Jahren gewann die Idee einer grünen Wirtschaft ab 2008 in akademischen und politischen Kreisen an Schwung, insbesondere als Reaktion auf die globale Finanzkrise 2007-2008 und insbesondere auf Anregung der Vereinten Nationen und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
Zwischen 2008 und 2018 habe sich die jährliche Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen zu diesem Thema von Null auf 200 gesteigert, liess sich Merino-Saum in der Mitteilung zitieren.
Keine einheitliche Definition
Das Problem ist, dass es keine einheitliche Definition dieses Konzepts gibt. Alle Studien stimmen mehr oder weniger explizit darin überein, dass die grüne Wirtschaft mehrdimensional ist, aber die Bedeutung, die den sozialen, wirtschaftlichen und technologischen Aspekten beigemessen wird, und die Art und Weise, wie diese Dimensionen ausgedrückt werden, sind sehr unterschiedlich.
«Die Fachartikel haben sich im Laufe der Zeit angesammelt, ohne dass eine Gründungsstudie erwähnt wird, die eine klare Definition des Konzepts der grünen Wirtschaft liefert, wie es normalerweise in der wissenschaftlichen Literatur üblich ist», so der EPFL-Forscher. «Wir wissen also nicht, wovon wir sprechen.»
Durch die Erstellung eines Rasters von etwa 40 wiederkehrenden Elementen ist es den Forschenden gelungen, in den Fachartikeln drei Definitions-«Familien» zu unterscheiden. Diese beschreiben die Wissenschaftler im «Journal of Cleaner Production».
Die erste stellt die Wirtschaft in den Mittelpunkt des Systems und argumentiert, dass «grüne» Finanzen und Handel das ökologische System unterstützen können. «Es ähnelt dem Konzept des 'grünen Wachstums', mit der bemerkenswerten Ausnahme, dass dieses im Allgemeinen die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen nicht berücksichtigt», sagte Merino-Saum.
Die zweite Familie verbindet die grüne Wirtschaft in erster Linie mit dem Wohlergehen der Menschen und konzentriert sich auf Fragen der Gerechtigkeit bei der Verteilung des Reichtums und des Zugangs zu natürlichen Ressourcen. Die letzte Definition betrachtet die technologische und wissenschaftliche Entwicklung als Lösung für ökologische Probleme und als Garantie für die wirtschaftliche Entwicklung.
Klare Ansage nötig
«Unserer Meinung nach sollten wissenschaftliche Artikel über die 'grüne Wirtschaft' künftig in der Präambel immer erklären, zu welcher Begriffsfamilie sie gehören», so Merino-Saum.
Vorausgesetzt, das Konzept der grünen Wirtschaft wird aufrechterhalten. Denn solche Begriffe sind dem Wandel der Zeiten unterworfen und das Konzept scheint bereits etwas aus der Mode zu geraten.
Derzeit dominiert den Forschenden zufolge der Begriff der Kreislaufwirtschaft die Forschung. Bei diesem Thema stieg die Zahl der jährlichen Publikationen zwischen 2008 und 2018 von Null auf 800, mit einem sehr deutlichen Boom im Jahr 2015. Dieser Boom hing insbesondere mit der Lancierung des Aktionsplans «Kreislaufwirtschaft» durch die Europäische Union zusammen.
Laut Merino-Saum wird das Konzept der grünen Wirtschaft nur überleben, wenn es ihm gelingt, sich von seinem «Cousin», der «nachhaltigen Entwicklung», klar zu unterscheiden. Dass Begriffe veralten, geht auch darauf zurück, dass manche Unternehmen oder Institutionen, die sich als ökologisch verantwortungsvoll darstellen wollen, sie für "greenwashing"-Zwecke nutzen. In einem nächsten Schritt wollen Merino-Saum und seine Kollegen andere Konzepte wie «urbane Nachhaltigkeit» oder «Smart Cities» unter die Lupe nehmen.
(awp/tdr)