Die Corona-Krise hat ein tiefes Loch in die deutschen Staatsfinanzen gerissen. Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen gaben im ersten Halbjahr 51,6 Milliarden Euro mehr aus als sie einnahmen.
Das teilte das deutsche Statistische Bundesamt am Dienstag anhand vorläufiger Daten mit. Bezogen auf die gesamte Wirtschaftsleistung lag das Defizit bei 3,2 Prozent. Bei den Einnahmen gab es erstmals seit 2010 einen Rückgang im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die Ausgaben des Staates erhöhten sich dagegen um 9,3 Prozent.
Tief in der Rezession
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) brach im zweiten Quartal um 9,7 Prozent im Vergleich zum Vorquartal ein. In einer ersten Schätzung war die Wiesbadener Behörde sogar von einem Minus von 10,1 Prozent ausgegangen.
Im März und April hatten in Folge der Pandemie Teile der deutschen Wirtschaft faktisch stillgestanden. Ähnlich verhielt es sich in vielen anderen grossen Volkswirtschaften, was den Aussenhandel massiv belastete.
Nach Angaben der Wiesbadener Behörde brachen im zweiten Vierteljahr die Exporte und Importe von Waren und Dienstleistungen massiv ein. Auch die privaten Konsumausgaben und die Investitionen der Unternehmen in Ausrüstungen wie Maschinen waren rückläufig. Bereits zum Jahresanfang war die Wirtschaftsleistung leicht gesunken. Europas grösste Volkswirtschaft steckt in einer tiefen Rezession.
«Der Horror ist nun aber beendet»
Volkswirte gehen davon aus, dass die Konjunktur im zweiten Halbjahr wieder Fahrt aufnimmt, vorausgesetzt die Infektionszahlen steigen nicht erneut deutlich an. «Nach dem starken Einbruch im ersten Halbjahr dürfte die deutsche Wirtschaft im Sommerquartal 2020 sehr kräftig wachsen», heisst es beispielsweise im jüngsten Monatsbericht der Deutschen Bundesbank.
«Das einzig Gute an all diesen Daten ist, dass sie einen letzten Blick in den Rückspiegel gewähren», so Ökonom Carsten Brezeski von der Bank ING. «Mit Blick auf die Zukunft braucht es keinen Raketenwissenschaftler, um vorherzusagen, dass die Wirtschaft im dritten Quartal eines der besten Ergebnisse aller Zeiten erzielen wird.» Alle Indikatoren deuteten auf einen anhaltenden Anstieg während der Sommermonate hin.
Thomas Gitzel von der VP Bank sieht es ähnlich: «Das zweite Quartal war ein einziges Desaster. Die Details sehen noch schlimmer aus als der eigentliche Wachstumseinbruch. Egal ob es sich um die Investitionen, den privaten Konsum, die Exporte oder auch die Importe handelt, alles war im freien Fall.»
«Der Horror ist nun aber beendet. Das dritte Quartal wird auf der positiven Seite Rekorde brechen», so Gitzel. «Die Stunde der Wahrheit schlägt dann in den Herbst- und Wintermonaten. Die Reaktivierung der ausgesetzten Insolvenzantragspflicht könnte im Herbst zu einer Pleitewelle führen.» Wenngleich derzeit das Gefühl eines Krisenendes aufkommen möge, drohe der deutschen Wirtschaft ein heisser Tanz im Herbst.»
Milliardenschweres Hilfspaket
Die deutsche Bundesregierung hatte nach Beginn der Pandemie im März in Europa ein milliardenschweres Hilfspaket geschnürt. Um die Konjunktur anzukurbeln, legte sie im Sommer mit einem 130 Milliarden Euro schweren Paket für die Jahre 2020 und 2021 nach. Unter anderem wurde die Mehrwertsteuer vom 1. Juli an für ein halbes Jahr gesenkt: von 19 auf 16 Prozent beziehungsweise von 7 auf 5 Prozent. Das soll den Konsum als wichtige Stütze der Konjunktur anschieben.
Steuerausfälle, steigende Ausgaben und Rettungspakete werden nach Einschätzung von Ökonomen im Gesamtjahr tiefe Löcher in die staatlichen Kassen reissen. Die EU-Staaten hatten wegen der Corona-Krise erstmals die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts ausgesetzt, wonach das Haushaltsdefizit nicht über drei Prozent und die Gesamtverschuldung nicht über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen darf. Deutschland hatte zuletzt im Gesamtjahr 2011 ein Defizit verbucht.
Die Bundesregierung rechnet trotz der erwarteten Erholung im Gesamtjahr mit der schwersten Rezession der Nachkriegszeit. Sie ging zuletzt von einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 6,3 Prozent aus. Ähnlich düster sind andere Vorhersagen.
(awp/reuters/gku)