Inmitten der Corona-Pandemie appelliert die französische Regierung an die Supermärkte des Landes «Produkte aus Frankreich» aufzustocken. «Wirtschaftspatriotismus» nennt es Finanzminister Bruno Le Maire.

Die Lebensmittelhändler des Landes nehmen sich den Aufruf zu Herzen: Die Supermarktkette Carrefour bezieht Obst und Gemüse bereits zu 95 Prozent aus Frankreichberichtet die Wirtschaftszeitung «Les Echos». Der Branchenverband Féderation du Commerce et de la Distribution kündigt an, dass frische Produkte aus dem Ausland, die in den französischen Supermarktregalen fehlen, nicht ersetzt werden.

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«Unsere Lebensmittelversorgung an andere zu delegieren, ist Wahnsinn», sagte Präsident Emmanuel Macron schon vor ein paar Wochen: «Wir müssen die Kontrolle zurückgewinnen». Mit anderen Worten: Frankreich will die Handelsgrenzen innerhalb der EU teilweise wieder hoch ziehen und den Agrar- und Lebensmittelmarkt abschotten statt an die europäischen Nachbarn zu exportieren.

Für Brüssel ist das ein Grund zur Sorge, denn es untergräbt die Regeln des Binnenmarkts. Zumal die Lieferketten ohnehin schon gestört sind durch die Grenzkontrollen, welche innerhalb des Schengen-Raums zur Eindämmung der Corona-Pandemie wieder eingeführt wurden. Nicht nur im Lebensmittel- und Agrarsektor, sondern auch beispielsweise für medizinische Güter. Mehr als 60 Länder weltweit beschränken derzeit den Export von medizinischen Gütern. 

Heimischen Nahrungsmittelsektor schützen

Nutzen nun gewisse Länder die Krise, um ihre eigenen Märkte zu schützen? Die Landwirtschaft ist seit jeher ein heikles Thema innerhalb der Europäischen Union. Die Agrar-Schwergewichte in EuropaFrankreich, Italien und Spanien – drängen die EU seit Jahren, ihre heimischen Produkte stärker zu schützen. Nun scheint die Corona-Krise eine gute Gelegenheit für Frankreich, die Interessen seiner Bauern an vorderste Stelle zu setzen, während Brüssel um die Wiederbelebung des Binnenmarkts kämpft.

Der Aufruf Macrons sei ein Rückschritt für die europäische Integration, sagt Simon Evenett von der Universität St. Gallen (HSG): «Grenzüberschreitende Lieferketten auszusetzen, ist kurzsichtig». Für Macron, der sich gerne als grosser Europäer gibt, gelte: «Europa in guten Zeiten, Frankreich in schlechten».

Le Maires «Wirtschaftspatriotismus» sei das, was Donald Trump in den USA mit seiner «America First»-Politik betreibt. Der Handelsexperte der HSG beobachtet den zunehmenden Protektionismus mit grosser Sorge. Dass sich Länder auf der ganzen Welt jetzt von der Globalisierung abwenden, sei nichts anderes als die «ökonomische Variante von Nationalismus».

Besonders für die kleine, weltoffene Schweiz sei dies alarmierend: Wenn der internationale Handel verzerrt wird, sei der hiesige Wohlstand gefährdet.

A sign says 'Do not touch' as artichokes lie on a table at the Annecy market on March 20, 2020 in Annecy, France.

Gemüse aus Frankreich: Wenn es nach Präsident Macron geht, bleibt es nun im Land.

Quelle: Getty Images

Binnenmarkt offen halten

Mehrere europäische Lebensmittelverbände fordern nun, die EU-Kommission müsse «alles in ihrer Macht stehende» tun, um den Binnenmarkt offen zu halten, damit die europäischen Konsumenten mit Lebensmittel versorgt werden können. Die geschlossenen Grenzen schränken allerdings nicht nur den freien Warenverkehr ein, sondern auch die Bewegungsfreiheit von Arbeitskräften innerhalb der EU.

So denkt Frankreich beispielsweise auch darüber nach, Saisonarbeiter für die Obst- und Gemüseernte – die vorwiegend aus osteuropäischen Ländern kommen – und nun nicht mehr einreisen dürfen, durch eigene Arbeitskräfte zu ersetzen, die infolge der Corona-Krise ihre Jobs verloren haben. 

Die Antwort der Europäischen Kommission: Vergangene Woche forderte die Behörde die Mitgliedsstaaten auf, sogenannte «Green Lanes» einzurichten, die dem grenzüberschreitenden Warenverkehr mit einer maximalen Verzögerung von 15 Minuten Vorrang einräumen.

Weniger Warenverkehr an Schweizer Grenzen

Auch die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) reagiert auf die Ausnahmesituation und hat «Green Lanes» eingerichtet. So können Grenzgänger, die etwa im Gesundheitswesen arbeiten, «bevorzugt» in die Schweiz einreisen und werden schneller abgefertigt.

Zudem ist der Warenverkehr eingeschränkt: Seit Mitte März sind 11 Prozent weniger Waren in die Schweiz importiert und 20 Prozent weniger exportiert worden. Gemäss Auskunft der EZV habe dies jedoch andere Gründe als Zolleinschränkungen, vielmehr sei dies eine Folge der eingeschränkten Wirtschaftsaktivitäten in Europa und der Welt seit Ausbruch der Pandemie. Der freie Warenverkehr in der Schweiz sei nicht unterbrochen.

Bleibt zu hoffen, dass die Tendenz zum wirtschaftlichem Nationalismus nur vorübergehend ist, und nicht langfristig die Prinzipien des Binnenmarkts und damit der EU aushöhlt. Auch für die Schweiz hätte dies gravierende Folgen.

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