Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hält still. Während die US-Notenbank aggressive Zinsschritte im laufenden Jahr angekündigt hat und die Europäische Zentralbank ihre Anleihenkäufe rascher als bisher erwartet zurückfahren will, kommt von der Schweizerischen Nationalbank nach ihrer heutigen «Lagebeurteilung» die gleiche Botschaft wie alle Vierteljahre seit 2015: Der Leitzins bleibt bei minus 0,75 Prozent – ein Tiefen-Weltrekord – und das Team um Präsident Thomas Jordan ist «bei Bedarf» weiter bereit, am Devisenmarkt zu intervenieren, «um dem Aufwertungsdruck auf den Franken entgegenzuwirken».
Die auffälligste Neuerung in der heute veröffentlichten Einschätzung betrifft die Inflationsprognose. Noch im Dezember, der letztmaligen Einschätzung, rechnete die SNB für das ganze laufende Jahr mit einer Inflation von 1 Prozent, die damit deutlich unter dem oberen Zielwert der Notenbank von 2 Prozent gelegen hätte. Die neue Prognose ist jetzt mehr als doppelt so hoch bei einer Inflationsrate von 2,1 Prozent.
Eine Neueinschätzung hat sich schon deshalb aufgedrängt, weil der gemessene Anstieg der Konsumentenpreise im Februar (im Vergleich zum Vorjahr) bereits bei 2,2 Prozent lag.
Verblüffender Teuerungs-Optimismus
Nichtsdestotrotz bleibt die SNB für die weitere Zukunft der Teuerung in der Schweiz beinahe weiterhin so optimistisch wie noch im Dezember: Im nächsten Jahr soll sie sich selbst bei der fortgesetzt expansiven Geldpolitik nur auf 0,9 Prozent belaufen, 0,3 Prozent mehr als noch im Dezember angenommen.
Das überrascht nicht nur angesichts der eigenen drastischen Fehleinschätzung zum laufenden Jahr, sondern auch mit Blick auf das internationale Umfeld. Bei den wichtigsten Handelspartnern der Schweiz geht die Teuerung gerade durch die Decke und die Rohstoffpreise drohen angesichts der Invasion von Russland in die Ukraine noch weiter anzusteigen.
Die verblüffend optimistische Einschätzung erklärt die SNB mit ihrer Hauptprognose zur Konjunkturentwicklung. Wörtlich heisst es in der «Lagebeurteilung»: «Die SNB geht in ihrem Basisszenario für die Weltwirtschaft davon aus, dass die Energiepreise vorerst hoch bleiben, es aber in den grossen Wirtschaftsräumen nicht zu akuter Energieknappheit kommt.»
Die aktuelle Entwicklung an den Rohstoffmärkten und die Pläne der Europäer, sich weiter von russischem Gas und Öl abzukoppeln, lassen diese Einschätzung als noch fragwürdiger erscheinen als die SNB-Prognose zur weiteren Inflationsentwicklung.
«Sehr grosse Unsicherheit» als wichtigste Erkenntnis
Das gilt auch mit Blick auf den Frankenkurs. Seine Aufwertung in jüngster Zeit hat über eine Vergünstigung der Importpreise die Teuerung in der Schweiz immerhin gedämpft. Damit ist aber nicht weiter zu rechnen, weil die Nationalbank sich einer weiteren Aufwertung entgegenstemmen würde. Das hat sie deutlich gemacht, als sie erstmals wieder interveniert hat, als der Euro die Parität zum Franken erreicht hat, also 1 Euro 1 Franken und kurzzeitig sogar weniger gekostet hat.
Fairerweise muss man der SNB und anderen Konjunkturinstituten zurechnen, dass sie ihre Prognosen nur aufgrund vorliegender Entwicklungen machen können und weder einen Kriegsverlauf noch alle damit verbundenen Folgen voraussagen können. So betont auch die Nationalbank immerhin die «sehr grosse Unsicherheit» ihrer Prognosen und dass die Risiken «nach unten» gerichtet seien. Diese Sätze haben weit mehr Gewicht als alle konkreten Voraussagen.
Deutlich wird aus der heutigen Verlautbarung allerdings, dass die SNB angesichts ihrer Einschätzung noch für längere Zeit nicht mit einem Zinsanstieg rechnet und sicher nicht vor einem Vorpreschen vor der Europäischen Zentralbank (EZB). Die EZB wird ihren Leitzins laut Einschätzungen der Finanzinstitute nicht vor Ende Jahr anheben. Doch auch zu diesen Prognosen besteht eine erhebliche Unsicherheit und die Risiken sind abwärtsgerichtet.