Die Rede von Donald Trump am WEF wirkte für viele Zuhörende überaus selbstbezogen. Stimmen Sie überein?
Kenneth Rogoff: Trumps Reden sind eigentlich immer so. Abgesehen davon, dass er hier mehr mit Zahlen und Fakten hantierte, hat er nicht wirklich Überraschendes gesagt. Es war eigentlich eine sehr disziplinierte Rede.
Wie kommen Sie darauf?
Ich glaube, Trump machte sich Sorgen, ausgebuht zu werden. Normalerweise spricht er ja in riesigen Stadien vor sorgfältig ausgewähltem Publikum. In Davos dagegen hat es sehr viele Leute, die ihn nicht mögen. Und die ihn wohl am liebsten ausgebuht hätten.
Der Ökonom Kenneth S. Rogoff ist seit 1999 Professor für Public Policy an der Harvard University. Von 2001 bis 2003 war zudem er Chefökonom des Internationalen Währungsfonds. Weltweit bekannt wurde er durch seine Krisen-Zyklen-Analyse «This Time is Different: Eight Centuries of Financial Folly» («Dieses Mal ist alles anders»), das er zusammen mit Carmen Reinhart 2009 publizierte. Rogoff trägt den Titel eines Schach-Grossmeisters.
Worauf stützen Sie ihre Einschätzung?
Donald Trump pausiert normalerweise in seinen Reden und wartet auf Applaus. Er schaut sich nach Lob um. Man hat ihm wohl davon abgeraten, dies in seiner Davos-Rede zu tun.
Was ist Ihr Ausblick für die US-Wirtschaft 2020?
Die US-Wirtschaft wird sicher etwas an Schwung verlieren, aber sie wird noch immer ziemlich gut laufen. Die Arbeitslosigkeit ist noch immer sehr tief. Die Schlüsselfrage ist, ob der Konjunkturoptimismus zurückkehrt. Denn die Investitionen sind doch ziemlich tief geblieben. Ich glaube, dass dieser Optimusmus nicht zurückkehren wird.
Weshalb?
Es besteht eine unglaubliche Verunsicherung im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen im November. Trump ist ein Unsicherheitsfaktor, aber das sind auch mögliche Gegenkandidaten wie Bernie Sanders oder Elisabeth Warren. Da treffen wir auf völlig unterschiedliche politische Programme. Es ist tatsächlich schwierig: Wie soll man sich auf solche politische Extreme vorbereiten?
Donald Trump übt enormen Druck auf Die US-Notenbank aus. Diese hat im letzten Jahr die Leitzinsen tatsächlich gesenkt, wie Trump dies wünschte. Ist die Fed tatsächlich so unabhängig, wie sie sein sollte?
Die Fed ist extrem unabhängig, und Trump sollte es unterlassen, verbal dermassen gegen die Fed loszuziehen. Die Notenbank hat im letzten Jahr sehr unabhängig gehandelt, obwohl Trumps objektive Kritik nicht ganz falsch war. Die Fed hatte die Leitzinsen zu früh angehoben. Die Fed hat dies auch erkannt und wieder Schritte zurück gemacht.
Die US-Börsen profitieren von der lockeren Notenbankpolitik. Werden die Aktienmärkte weiter steigen, zumindest bis zu den US-Wahlen?
Das wissen andere Leute hier in Davos wohl besser als ich. Ich finde es äusserst schwierig, den Verlauf der Börsen vorauszusagen. Ich habe kein grosses Vermögen, ich bin bloss Akademiker.
Bloss ein Bauchgefühl?
Natürlich haben wir ein hohes Niveau erreicht an den Märkten. Und auf Fünfjahressicht werden wird wohl kaum die Renditen haben wie in der Vergangenheit.
- Dieses Gespräch erschien zuerst in cash.ch, Titel: «Trump hatte wohl Angst, in Davos ausgebuht zu werden».