Vergessen Sie Schindler, Novartis, Nestlé oder die Swatch Group. Die wahren Giganten im Geschäft mit China sind andere, und die kennt kein normaler Mensch: Valcambi, Pamp, Argor Heraeus, Metalor. Sie verarbeiten Gold. Sie importieren und exportieren es. Letztes Jahr verschickte die Schweiz insgesamt 432 Tonnen des Edelmetalls ins Reich der Mitte – gelbe Barren im Wert von 17,3 Milliarden Franken; das waren fast 40 Prozent mehr als 2017.
Zum Vergleich: Die gesamte Schweizer Industrie – von ABB bis Zehnder – lieferte den Chinesen zur gleichen Zeit Waren für 12,2 Milliarden Franken.
Schweiz bedrängt Hong Kong
Nun ist es ein offenes Geheimnis, dass die Schweiz die Drehscheibe des internationalen Edelmetall-Geschäfts ist, wobei der Stoff ganz konkret ins Land und wenig später wieder hinausgebracht wird: Fast zwei Drittel allen weltweit abgebauten Goldes wird im Tessin oder in der Romandie verarbeitet. Dabei wuchs der direkte Export nach China im letzten Jahrzehnt massiv, allerdings mit deutlichen Aufs und Abs. So sprang der Goldexport nach China im vergangenen Jahr um fast 40 Prozent nach oben, nachdem er im Jahr zuvor um über 25 Prozent gefallen war.
Im letzten Jahr aber schaffte es die Schweiz, Hong Kong als Einfallsachse für Edelmetall mehr und mehr zu bedrängen: Aus der Metropole am Perlfluss gelangten 2018 deutlich weniger Barren in die Volksrepublik als 2017 – minus 21 Prozent.
Den Marktkennern fiel dabei eines auf: Die Chinesen verlangten zuletzt insbesondere nach mehr 1-Kilo-Barren. «Die Schweiz bietet vor allem solche Produkte», sagt Giovanni Staunovo, Edelmetall-Analyst bei der UBS: «Die 12,5-Kilo-Standardbarren aus aller Welt werden zum grössten Teil in hiesigen Raffinerien in kleinere Einheiten umgewandelt.»
Auf ein entscheidendes Detail verweist dabei Thorsten Polleit, der Chefökonom der Goldhandelsfirma Degussa: Die Kilobarren sind jene Einheiten, die zumeist von Sparern, von institutionellen Anlegern oder auch für Goldfonds benötigt werden.
Und so vermutet Polleit, dass sich in den Exportstatistiken der Zolldirektion in Bern wohl bereits früh spiegelte, wie sehr sich in China die Sorge vor einer Krise ausbreitet: Offenbar legen die Menschen im Reich der Mitte mehr und mehr Edelmetall zur Seite für härtere Zeiten.
Goldwürfel von 2,8 x 2,8 Metern
«Gold ist bekanntlich ein Inflations- und Kreditausfallschutz – beziehungsweise wird als solcher gesehen», sagt Thorsten Polleit.«Es wäre also nicht verwunderlich, wenn insbesondere die Sorgen vor einer Wirtschaftskrise die Privaten in China wie auch die Investoren zu einer erhöhten Goldnachfrage bewegen.»
In der Branche wird zugleich gemunkelt, dass sich Chinas Staatsbetriebe – beziehungsweise staatsnahe Giganten – ebenfalls grössere Goldbestände zugelegt haben.
Würde man all das Gold, das letztes Jahr aus der Schweiz ins Reich der Mitte geflogen wurde, in einen Würfel giessen: Er wäre auf jeder Seite 2,8 Meter lang. Doch die höhere Nachfrage nach Swiss-Importen hat auch erhebliche heimische Ursachen, analysiert Stefan Graber von Credit Suisse: «Die Volksrepublik ist selber der weltgrösste Goldproduzent – und die chinesische Minenproduktion fiel in den ersten Monaten 2018 deutlich ab», sagt der CS-Rohstoffstratege: «Das hat die logische Folge, dass die Konsumentennachfrage übers Ausland gedeckt werden muss.»
Und schliesslich sind die Chinesen nicht nur die grössten Produzenten des gelben Metalls – sondern auch die eifrigsten Goldkäufer der Erde.
Kaum als Treiber dürfte hingegen die chinesische Zentralbank gewirkt haben: Zwar stockten die Notenbanken der Welt 2018 ihre Goldbestände insgesamt massiv auf – um 651 Tonnen. Das war der höchste Wert seit 1971. Aber Chinas Volksbank hielt sich dabei auffällig zurück – zumindest offiziell: Sie erhöhte ihre Bestände bloss um 10 Tonnen.