Rund 5 Millionen Menschen in der Schweiz sind in Arbeit – mit Ausbruch der Corona-Pandemie ist diese Zahl gesunken. Seit Anfang der neunziger Jahre waren nicht mehr so wenige Menschen erwerbstätig, heisst es beim Bundesamt für Statistik (BfS).
Ein Aspekt dabei: Die Zahl der Erwerbstätigen ist doppelt so stark zurückgegangen wie die Zahl der Arbeitslosen gestiegen ist.
Zwar war die Arbeitslosenquote zuletzt stabil bei 3,2 Prozent, doch zeigt dies nur bedingt die tatsächliche Lage auf dem Arbeitsmarkt. Denn durch die Corona-Krise haben seit Ende 2019 mehr als 100’000 Personen in der Schweiz ihren Job verloren. Aber nur die Hälfte davon taucht in den offiziellen Arbeitslosenzahlen auf.
225'000 da, aber nicht präsent
Der Grund: Viele Menschen zogen sich in den vergangenen Monaten aus dem Arbeitsmarkt zurück. Das heisst, sie suchten nicht aktiv nach einer Stelle. Damit gelten sie nicht als stellensuchend beziehungsweise arbeitslos.
Dieses Phänomen ist zwar nicht ganz neu in der Schweiz, das Ausmass überrascht die Ökonomen der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (Kof) dennoch. Im zweiten Quartal waren 225’000 Personen zwar für eine Arbeit verfügbar, suchten allerdings nicht nach einem Job.
Ausgeprägter als in früheren Krisen
Michael Siegenthaler, Arbeitsmarktexperte der Kof, schätzt, dass mindestens die Hälfte der Menschen, die in der Corona-Krise ihren Job verloren haben, gar nicht erst nach einem neuen suchen. Dies seien 56’000 Personen – 30 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. «Der Erwerbsrückzug ist in dieser Krise deutlich ausgeprägter als in vorherigen Krisen», sagt Siegenthaler.
Viele seien einfach entmutigt und suchten daher erst gar nicht nach einer neuen Stelle. Die Gründe seien vielfältig: Fehlende Aussicht auf einen neuen Job, aber auch die Betreuung von Kindern zuhause habe viele Personen von der Jobsuche abgehalten – vor allem Frauen, die vorher in Teilzeit arbeiteten.
Daneben zogen sich laut Kof vor allem junge und ältere Menschen aus dem Arbeitsmarkt zurück – etwa Studierende, die einen Nebenjob in der Gastronomie hatten, nun aber nicht nach einer neuen Stelle suchen. «In den Altersgruppen der 15- bis 24-Jährigen und der über 65-Jährigen ist der Anteil derjenigen, die gerne eine Arbeit hätten, aber nicht mehr aktiv danach suchen, besonders gross», sagt Siegenthaler.
Aber auch aus Angst vor dem Virus hielten sich einige Menschen zurück und bleiben lieber zuhause, nachdem sie ihren Job verloren haben, vor allem wenn sie zuvor im Detailhandel oder der Gastronomie arbeiteten.
So wenige Erwerbstätige wie in der Ölkrise
Der Rückgang der Erwerbstätigkeit in der Schweiz sei der krasseste in Jahrzehnten – zuletzt sei dieses Phänomen hierzulande in der Ölkrise der siebziger Jahre zu beobachten gewesen, sagt Michael Siegenthaler. In anderen Ländern gibt es ähnliche Entwicklungen: Auch in Deutschland haben sich viele Menschen in der Krise vorerst vom Arbeitsmarkt zurückgezogen. Laut dem deutschem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) tragen die wieder steigenden Infektionszahlen zur Verunsicherung bei.
Besonders bekannt ist das Phänomen in den USA: Bereits in der Finanzkrise von 2008 verloren viele Amerikaner – vor allem ältere – den Job und kehrten nie in den Arbeitsmarkt zurück. Der starke Anstieg dieser «Discouraged Workers» zeige, wie düster die Aussichten für jene ohne Job sind, analysiert die «New York Times».
Mehr «Discouraged Workers» in den USA
Seit Februar ist ihr Anteil fast um ein Drittel gestiegen. Und diese tauchen ebenso wie hierzulande nicht in den US-Arbeitslosenzahlen auf, die zuletzt wieder gesunken war.
Ob dieses Phänomen in der Schweiz zu einem permanenten Trend wird, ist unklar. Siegenthaler erwartet, dass viele Menschen wieder eine Stelle suchen, sobald die gesundheitlichen Bedenken abnehmen.
Das bedeutet allerdings, dass die Arbeitslosigkeit dann entsprechend ansteigen wird, wenn diese Stellensuchenden wieder in der Statistik auftauchen. Mit dem Höhepunkt der Arbeitslosigkeit rechnet die Kof Anfang 2021.