Mit den Verwerfungen im US-Bankensektor und der resultierenden Verunsicherung auch in Europa ist eine Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank um 50 Basispunkte in dieser Woche keine ausgemachte Sache mehr. Am Geldmarkt wird für den Donnerstag nur noch eine Leitzins-Erhöhung um 34 Basispunkte eingepreist.

Die Wahrscheinlichkeit eines Zinsschritts um 50 Basispunkte wird inzwischen bei weniger als 50 Prozent gesehen. Der Zinsgipfel beim Einlagensatz der EZB wird von Händlern nun bei 3,30 Prozent erwartet und damit um rund 90 Basispunkte niedriger als noch vor einer Woche. 

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Rasche Abkehr vom ursprünglichen Plan

Die Neubewertung zeigt, wie schnell sich die Erwartungen an die Geldpolitik ändern können, wenn Anzeichen für systemische Risiken auftauchen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte auf der letzten geldpolitischen Sitzung im Februar eine Anhebung um einen halben Prozentpunkt als sehr wahrscheinlich bezeichnet. Der Markt sah es damals als nahezu sicher an, dass es so kommen wird.

«Die EZB befindet sich in einer schwierigen Lage, da sie gezwungen sein könnte, ihre für diese Woche versprochene Zinserhöhung um 50 Basispunkte zurückzunehmen», sagte Steven Barrow, Leiter der G10-Strategie der Standard Bank. «Sollte dies der Fall sein, würde dies einmal mehr zeigen, dass es keinen Sinn macht, wenn die Zentralbanken künftige Zinsschritte ankündigen, es sei denn, die Leitzinsen bleiben bei null.»

Inflationsbekämpfung als wichtiges Ziel

In Reaktion auf die Pleite der amerikanischen Silicon Valley Bank setzte am Finanzmarkt eine Flucht aus dem Risiko ein, der zu massiven Bewertungssprüngen bei Staatsanleihen führte. Deutsche Schatzanweisungen sind am Montag so gesucht, dass die gegenläufig zum Kurs tendierende Rendite um zeitweise 60 Basispunkte fiel. In den USA gingen Händler zwischenzeitlich davon aus, dass die US-Notenbank Fed angesichts der Verwerfungen im Bankensektor wohl komplett von weiteren Zinserhöhungen absehen werde. 

«Wir sind zuversichtlich, dass die europäischen Behörden bei Bedarf ebenso schnell eingreifen und die Auswirkungen auf die Durchführung der Geldpolitik und die Finanzstabilität bewerten werden», sagte der italienische Finanzminister Giancarlo Giorgetti.

Nach Ansicht von Bloomberg Economics verringern die Ereignisse die Wahrscheinlichkeit, dass die EZB auf ihrer Sitzung in dieser Woche eine weitere starke Erhöhung der Kreditkosten beschliesst. Einige Analysten sind der Meinung, dass die EZB Gefahr läuft, sowohl die systemischen Auswirkungen der SVB-Verwerfungen falsch einzuschätzen als auch die Inflation nicht so aggressiv zu bekämpfen wie nötig.

«Die Entscheidung wird schwierig werden, und es besteht das Risiko eines politischen Fehlers von beiden Seiten», sagte Fredrik Repton, Portfoliomanager bei Neuberger Berman. «Meiner Meinung nach ist es aus Sicht des Risikomanagements wahrscheinlich am besten, einen Schritt von 25 Basispunkten zu machen.»

(Bloomberg/mth)