Auf den ersten Blick erscheint die Erklärung einfach: Die Gaspreise steigen, weil Europas Nachfrage im Winter hoch ist – derweil wartet die entscheidende Gas-Zulieferleitung, die Pipeline Nord-Stream 2, immer noch auf die Betriebsbewilligung der Regierung in Berlin.
Ein saisonales Problem also, allenfalls auch ein Polit-Problem, und irgendwie eine vorübergehende Sache: so der Eindruck.
Doch es gibt eine zweite Ebene. Denn auch Asiens Schwellenländer haben begonnen, mehr und mehr auf Gas zu setzen – zuvorderst Indien und Indonesien. Dies erhöht den Aufwärtsdruck auf die Preise, und es wird im Markt mehr und mehr spürbar.
Laut Angaben von Händlern haben beispielsweise die Indian Oil Corporation und Gujarat State Petroleum jüngst Spotladungen mit Flüssigerdgas gekauft, nachdem sie monatelang vom Markt abwesend gewesen waren. Indonesien – eigentlich ein wichtiger Exporteur – hat seine Gasproduzenten gebeten, lokale Kunden zu bevorzugen. Derweil haben Thailand und Bangladesch in den letzten Tagen Ausschreibungen getätigt: Sie streben ebenfalls schnelle Flüssigerdgas-Lieferungen an.
Das steigende Interesse aus Süd- und Südostasien kommt zur erhöhten Nachfrage aus Europa hinzu: Und deshalb erreichten die Preise im letzten Monat Rekordhöhen.
Der Faktor China
Der Verbrauch von Heizstrom und Brennstoffen, der bei Wintereinbruch im Winter sowieso einen Schub erlebt, ist zusätzlich gestiegen, da sich die grossen Volkswirtschaften nach der Pandemie zu beleben begannen. Auf der anderen Seite bleibt das Angebot eingeschränkt, weil in den letzten Jahren eher zuwenig in die Erschliessung von Gasfeldern investiert worden war.
Kunden aus Süd- und Südostasien sind nun – trotz der höheren Preise ungewöhnlich – aktiv auf dem Spotmarkt für Ladungen für die Lieferung von Januar bis März, so informierte Händler. Obwohl diese Länder zu den preisempfindlichsten Flüssiggas-Kunden zählen, sind sie gezwungen, Käufe zu tätigen, um die Versorgung von Haushalten und Industrie nicht kürzen zu müssen.
Am stärksten zeigt sich diese Dynamik in Pakistan, wo eine Gasknappheit laut einer Industrie-Handelsorganisation die wichtigen Textilexporte drosselt; für Premierminister Imran Khan bauen sich hier wirtschaftliche und politische Risiken auf.
Ein Faktor, der die Preise noch zusätzlich ansteigen lässt, sind die grossen Lagerbestände in China, das 2021 Japan als weltgrössten Flüssiggas-Importeur überholt hat. Asiens führende Volkswirtschaft hat sich im vergangenen Jahr bemüht, seine Erdgasvorräte aufzufüllen. Es geht gut versorgt in die kältesten Monate und benötigt kaum mehr – es sei denn, das Wetter wird in China deutlich kälter. Das bedeutet, dass es im pazifischen Raum noch einige Reserven gibt.
Immer mehr Erdgasladungen werden von China nach Europa umgeleitet – und Händler geben Hunderttausende Dollar aus, um von einem seltenen Preisaufschlag zu profitieren, bevor er verschwindet.
Dreizehn Flüssigerdgas-Frachter, die vor allem in den USA und Westafrika ausgelaufen waren, werden nach Versanddaten der Daten-Firma Kpler sowie von «Bloomberg» nun kurzfristig umgeleitet: Sie steuern Europa an – und nicht wie geplant Asien. Vor einer Woche hatte es noch acht solche Fälle gegeben. In einem Fall wurde ein Schiff durch den Panamakanal zurückgeschickt, was ein zweites Mal Kanalgebühren bedingt – laut «Bloomberg»-Schätzungen ein Betrag von rund 400’000 Dollar.
Tempo Teufel
Händler schicken die Tanker auf teure Umwege um den halben Globus, weil die Energiekrise in Europa das Gas auf dem Kontinent im Vergleich zu Asien teurer gemacht hat. Da jedoch immer mehr Ladungen nach Europa strömen, um die Krise zu lindern, schliesst sich das Arbitragefenster schnell. Es taugt möglicherweise schon nicht mehr für Sendungen, die im Februar ankommen.
Auf der anderen Seite könnten die Preise in Asien durch eine schwächere Nachfrage aus China belastet werden, selbst falls es in Nordostasien kälter wird, so Händler. Die Ladungen drehen ab von China, da die Fabrikaktivitäten vor den Neujahrsfeiertagen nachgelassen haben und vor den Olympischen Winterspielen neue Luftverschmutzungs-Grenzen in Kraft treten.
Flüssiggas, das ursprünglich im Januar nach Tianjin im Norden Chinas geliefert werden sollte, wird in andere Häfen in Asien und Europa umgeleitet, da sich die Nachfrage stärker als erwartet verlangsamt, sagt Mathew Ang, Analyst bei Kpler.
(«Bloomberg», rap)